Gutachten: Regierungsentwurf zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen ist verfassungswidrig

Der Regierungsentwurf des "Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften" ist nach einem vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) in Auftrag gegebenen Gutachten in der jetzigen Form verfassungswidrig. Der Entwurf missachtet nach Auffassung des Steuerrechtsexperten Ulrich Hufeld verfassungsmäßige Grundsätze des Steuerverfahrensrechts. Der Gesetzgeber habe sich auch nicht mit der Frage von Entschädigungsleistungen auseinandergesetzt, was aber dringend geboten wäre, heißt es in dem am 06.09.2018 veröffentlichten Gutachten.

Staat darf sich nicht aus Verantwortung verabschieden

"Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass Wettbewerbsgleichheit besteht und alle Unternehmer die Umsatzsteuer abführen", betont Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des bevh. Die Zielrichtung des Gesetzgebers, Umsatzsteuerausfälle im internationalen Marktplatzgeschäft zu verhindern, sei schon aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit absolut richtig. Es könne aber nicht sein, dass der Staat sich komplett aus seiner Verantwortung verabschiedet, kritisierte Wenk-Fischer.

Verband spricht sich für Split-Payment-Verfahren aus

Das Gutachten zeige Möglichkeiten auf, inwieweit eine verhältnismäßige und damit verfassungsrechtlich zulässige Zielerreichung gelingen könnte. Als Alternative zu dem geplanten Vorhaben wäre nach Auffassung des bevh grundsätzlich auch ein sogenanntes Split-Payment-Verfahren denkbar, das heißt eine Aufteilung der Zahlungen in den Nettoanteil an den Händler und die Umsatzsteuer an den Fiskus. Vor der "großen Keule", der generellen gesetzlichen Verpflichtung, wäre ein weniger einschneidendes Verfahren wie etwa ein geregelter Informationsaustausch zwischen Finanzbehörden und Betreibern sowie darauf gestützte "Anordnungen" denkbar. Solche behördliche Anordnungen würden gewährleisten, dass die Marktzugangsregulierung ein öffentlich-rechtlicher und mit den dafür vorgesehen rechtlichen Möglichkeiten angreifbarer Rechtsakt bleibt.

Maßnahmen dürfen nicht entschädigungslos bleiben

Rechtsstaatlich sei es geboten, eine solche intensive Inanspruchnahme Dritter für staatliche Aufgaben daran zu knüpfen, dass diese nicht entschädigungslos erfolgt. Dieser anerkannte Grundsatz finde sich zum Beispiel in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 23 JVEG und sollte laut Gutachten auch für den hier geplanten staatlichen Eingriff in das Privateigentum Dritter festgelegt werden.

Verband schlägt Schwellenwert vor

Statt einer unverhältnismäßigen, weil allumfassenden Verpflichtung zur Überwachung aller Marktplatzteilnehmer, sei es gewerblich oder privat, empfiehlt das Gutachten die gesetzliche Festlegung und Bezifferung einer auf die eigene Plattform bezogenen Bobachtungsschwelle. Einen im Effekt vergleichbaren Schwellenwert kenne das Umsatzsteuerrecht schon, zum Beispiel für Umsätze sogenannter Kleinunternehmer (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG: grundsätzliche Nichterhebung der Umsatzsteuer bei Umsatz bis 17.500 Euro im vorangegangenen Jahr). Vorgeschlagen wird zudem die Schaffung einer funktionstüchtigen elektronischen Abfragemöglichkeit für die betroffenen Marktplätze und Plattformen beim zuständigen Bundeszentralamt für Steuern (§ 22f Abs. 1 Satz 6 UStG-E).

Unklarheiten bei Begrifflichkeiten moniert

Im Vorfeld hatte der bevh schon mehrfach einzelne Punkte des Gesetzesentwurfs kritisiert. Besonders, dass es auf absehbare Zeit kein solches elektronisches Verfahren geben wird, obwohl der Entwurf ein solches Verfahren selbst vorsieht. Statt dass der Staat selbst seine "Hausaufgaben" in Sachen Digitalisierung mache, nehme er die private Wirtschaft in die Pflicht. Zudem gebe es Unklarheiten, welche Dienste überhaupt "elektronische Marktplätze" sind. Auch blieben die Marktplätze in der Frage, wann gewerbliches und damit steuerlich relevantes Handeln vorliegt, völlig im Dunkeln, wenn der Gesetzgeber nicht, wie angeregt, Grenzwerte angebe.

Redaktion beck-aktuell, 7. September 2018.