Britische Innenministerin betont Festhalten an Plänen
"Wir lassen uns nicht davon abschrecken, das Richtige zu tun und die Grenzen unserer Nation zu schützen", sagte Innenministerin Priti Patel am Dienstagabend nach der Entscheidung des EGMR. Man arbeite nun bereits daran, den nächsten Flug vorzubereiten, ergänzte Pratel. Sie sei enttäuscht, dass Klagen und Rechtsstreits in letzter Minute dafür gesorgt hätten, dass der Flug nicht habe abheben können. Sie sei überrascht, dass der EGMR sich eingeschaltet habe, nachdem britische Gerichte zuvor anders entschieden hätten. London hatte mit dem Flug seinen umstrittene Ruanda-Pakt einläuten wollen, mit dem die konservative Regierung weitere Schutzsuchende von der Einreise ins Vereinigte Königreich abschrecken will.
Abschiebeplan stößt auf scharfe Kritik
Die zugrundeliegende Vereinbarung sieht vor, dass Schutzsuchende, die illegal nach Großbritannien gelangt sind, unabhängig von ihrer Nationalität oder Herkunft in das ostafrikanische Land gebracht werden und dort gegen Zahlungen der britischen Regierung die Möglichkeit für einen Asylantrag erhalten. Selbst wenn sie dort als Flüchtlinge anerkannt werden, soll es in keinem Fall eine Rückkehr nach Großbritannien geben. Die Vereinten Nationen und viele andere Organisationen sehen darin einen Bruch internationalen Rechts und einen gefährlichen Präzedenzfall. Sogar der zur politischen Neutralität verpflichtete Thronfolger Prinz Charles soll sich Medienberichten zufolge "entsetzt" über den Plan geäußert haben.
Nationale Gerichte gaben grünes Licht
Von britischen Gerichten gab es für den Flug zwar grundsätzlich grünes Licht, allerdings waren viele Einzelklagen erfolgreich, weshalb die Zahl der für Dienstagabend eingeplanten Passagiere in den Tagen zuvor immer kleiner wurde. In den Stunden vor dem geplanten Abflug sorgte die außergewöhnliche Intervention des EGMR dann dafür, dass die Zahl der Ausreisenden schließlich auf null sank und der Flug komplett gestrichen wurde. Die Entscheidung des Straßburger Gerichts löste gewissermaßen eine Kettenreaktion aus: Die verbleibenden Betroffenen konnten sich auf die Entscheidung berufen und auch ihre eigene Ausreise zunächst erfolgreich verhindern.
EGMR verhindert Abflug im Eilverfahren
Straßburg hatte die britischen Behörden in einer sogenannten einstweiligen Maßnahme aufgefordert, einen irakischen Asylsuchenden, der ursprünglich an Bord sein sollte, frühestens drei Wochen nach einer finalen Entscheidung in seinem in Großbritannien laufenden Verfahren außer Landes zu bringen. Einstweilige Maßnahmen sind dem Gericht zufolge verbindlich und werden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr eines irreparablen Schadens ausgesprochen. In gerade einmal gut einer Stunde sei der Plan für den ersten Ruanda-Flug "wie ein Kartenhaus" in sich zusammengefallen, kommentierte der BBC-Korrespondent Dominic Casciani nach der Entscheidung.
EGMR-Urteile in Großbritannien derzeit noch verbindlich
Der EGMR gehört zum Europarat. Gemeinsam setzen sich die von der Europäischen Union unabhängigen Organe für den Schutz der Menschenrechte in den 46 Mitgliedstaaten ein. Bislang hat das Straßburger Gericht auch in Großbritannien in solchen Fragen das letzte Wort. Die jüngste Entscheidung dürfte die Debatte befeuern, ob dies so bleiben soll. Danach gefragt, deutete Premierminister Boris Johnson am Dienstag in einem Interview an, dass Änderungen nicht auszuschließen seien.