Großbritannien: Was die geplante Parlamentsschließung für den Brexit bedeutet

Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit seiner Ankündigung einer Parlamentspause vor dem Brexit am 31.10.2019 die schlimmsten Befürchtungen der Gegner eines No-Deal-Brexits wahrgemacht. Die Empörung ist groß. Doch was steckt eigentlich hinter der sogenannten "Prorogation“?

Was soll passieren?

Das Unterhaus kommt nach der Sommerpause nächste Woche erstmals zusammen. Schon in der Woche danach beginnt die viereinhalbwöchige Zwangspause. Sie soll erst enden, wenn die Queen am 14.10.2019 das neue Regierungsprogramm verliest.  Es bleibe danach noch genügend Zeit für alle nötigen Debatten, beschwichtigte Johnson am 28.08.2019 in einem Brief an alle Abgeordneten. "Wenn es mir gelingt, einen Deal mit der EU auszuhandeln, hat das Parlament die Gelegenheit, das zur Ratifizierung eines solchen Deals nötige Gesetz vor dem 31. Oktober zu verabschieden."

Warum kann Johnson das Parlament einfach schließen?

Die Legislaturperioden des britischen Unterhauses werden in mehrere Sitzungsphasen (Sessions) unterteilt. Traditionell dauern die Phasen etwa ein Jahr. Die aktuelle Phase läuft nun bereits seit Sommer 2017 - es ist die längste in beinahe 400 Jahren, wie Johnson anmerkte. Ungewöhnlich ist daher nicht, dass die Regierung eine neue Parlamentsphase einläuten und ihr Programm vorlegen will, sondern der Zeitpunkt inmitten einer heftigen politischen Auseinandersetzung und die Länge der Unterbrechung.

Hätte die Queen die Parlamentsschließung verweigern können?

Theoretisch hätte es in der Macht von Königin Elizabeth II. gelegen, den Antrag der Regierung abzulehnen. Sie hat dies nicht getan und eigentlich galt dies auch im Vorfeld schon als undenkbar. Die britischen Monarchen halten sich seit langer Zeit strikt aus allen politischen Auseinandersetzungen heraus. Die Monarchin dürfte sich aber durchaus bewusst sein, wie heikel die Parlamentsschließung zu diesem Zeitpunkt ist.

Welche Möglichkeiten haben die Abgeordneten, um sich zu wehren?

Die Zustimmung der Parlamentarier für die Prorogation ist nicht notwendig, sie können sie daher mit einer einfachen Abstimmung nicht verhindern. Die Abgeordneten könnten aber noch immer versuchen, ein Gesetz zu verabschieden, um das Brexit-Datum zu ändern und einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Sie dürften sich dabei der Unterstützung von Parlamentspräsident John Bercow sicher sein, der angekündigt hatte, "bis zum letzten Atemzug“ gegen eine politisch motivierte Parlamentsschließung zu kämpfen. Doch die Zeit dafür wird sehr knapp, denn ein Gesetzgebungsprozess muss durch beide Kammern des Parlaments gehen und kann sich besonders bei den Lords im Oberhaus sehr in die Länge ziehen. Dort haben die Brexit-Befürworter schon einmal bewiesen, dass sie bereit sind, mit einer Schwemme von Anträgen und sogenanntem "Filibuster“ (Dauerreden) Gesetzgebungsverfahren zu verschleppen.

Welche anderen Optionen bleiben den No-Deal-Gegnern?

Als Ultima Ratio gilt ein Misstrauensvotum gegen die Regierung von Premierminister Johnson. Dazu bräuchte es aber eine Opposition, die sich über das weitere Vorgehen einig ist, und die Unterstützung von Rebellen aus dem Regierungslager. Brexit-Gegner wie der konservative Abgeordnete Dominic Grieve haben bereits angekündigt, dass sie bereit wären, die eigene Regierung zu stürzen. Doch es dürfte auch in der Labour-Partei möglicherweise einige beinharte Brexit-Befürworter geben, die gerne einen No-Deal-Brexit sähen und Johnson aushelfen würden. Letztlich braucht es vor allem einen Plan, wie es nach dem Sturz der Regierung weitergehen soll. Denn findet sich innerhalb von zwei Wochen keine Mehrheit für eine Regierung, muss neu gewählt werden. Doch den Wahltermin legt der scheidende Premierminister fest. Johnson könnte ihn auf ein Datum nach dem EU-Austritt am 31.10.2019 legen und den No-Deal-Brexit einfach geschehen lassen.

Könnte der Streit vor Gericht entschieden werden?

Eine Gruppe von Abgeordneten hatte bereits vor der Entscheidung der Regierung zur Prorogation eine gerichtliche Überprüfung der umstrittenen Maßnahme angestoßen. Ein schottisches Gericht sollte sich am 06.09.2019 mit dem Thema befassen. Dieser Prozess soll nun nach dem Willen der No-Deal-Gegner beschleunigt werden. Der Court of Sessions in Schottland wäre aber lediglich die erste Instanz in der Frage.

Zorn gegen Johnson wächst

Unterdessen hat Johnson mit der von ihm verordneten Zwangspause einen Sturm der Empörung ausgelöst. Noch am Abend des 28.08.2019 versammelten sich Hunderte Menschen vor dem Parlament und dem Regierungssitz Downing Street in London, um gegen die Parlamentsschließung zu demonstrieren. Am Folgetag wachsen diese Proteste auf den Straßen weiter an. Eine Online-Petition gegen die umstrittene Maßnahme knackte schon in der Nacht die Millionen-Grenze. Die Initiatoren verlangen, dass das Parlamentsgeschehen nicht unterbrochen wird, solange Großbritannien den Austritt aus der Europäischen Union nicht verschiebt oder seinen Austrittsantrag zurückzieht. Solche Petitionen kann jeder Bürger einbringen, sie sind aber vor allem symbolischer Natur.

Bercow: Frevel an der Verfassung

Parlamentspräsident John Bercow sprach von einem "Frevel an der Verfassung". Der frühere Schatzkanzler und Parteifreund Johnsons, Philip Hammond, twitterte: "Zutiefst undemokratisch." Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen. Oppositionsführer und Labourchef Jeremy Corbyn kündigte trotz der Zwangspause einen Versuch an, den No-Deal-Brexit per Gesetz zu verhindern. Auch ein Misstrauensantrag gegen die Regierung will er "zu gegebener Zeit" einreichen. Ob sich dafür derzeit eine Mehrheit fände, ist ungewiss. Die Aktivistin und Geschäftsfrau Gina Miller teilte Berichten zufolge mit, sie habe rechtliche Schritte gegen die Entscheidung eingeleitet. Miller hatte bereits 2017 ein Verfahren gegen die Regierung gewonnen, bei dem es um die Rechte des Parlaments bei der EU-Austrittserklärung ging.

Redaktion beck-aktuell, Christoph Meyer, 29. August 2019 (dpa).

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