Großbritannien: Eltern kämpfen um Leben ihres todkranken Sohnes

In Großbritannien hat sich die Familie des unheilbar kranken Archie erfolglos durch alle Instanzen gekämpft, um sein Sterben zu verhindern. Dem Supreme Court zufolge würden lebenserhaltende Maßnahmen das Sterben nur verlängern. Nachdem mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte abgelehnt hat, sich in den Fall einzumischen, haben die Eltern nun beim High Court in London beantragt, den Jungen zum Sterben in ein Hospiz bringen zu dürfen.

Ärzte wollen den Jungen sterben lassen

Archies Mutter Hollie Dance, die sich bisher kämpferisch gezeigt hatte, wirkte nun gebrochen. "Das ist das Ende", sagte sie am Abend zu Reportern vor der Klinik, in der Archie liegt. Nun geht es in erster Linie um einen würdigen Tod. "Der Gesundheitsdienst NHS, die Regierung sowie die Gerichte in diesem Land und in Europa mögen die Behandlung aufgegeben haben, aber wir nicht", sagte Dance. Die behandelnden Ärzte wollen den Jungen sterben lassen. Sie meinen, dies sei in seinem besten Interesse. Archies Eltern sind es, die ihren Sohn bislang mit einem unermüdlichen Rechtsstreit am Leben gehalten haben. Nachdem sie die juristischen Möglichkeiten in Großbritannien ausgeschöpft hatten, appellierten sie schließlich an den Menschrechtsgerichtshof in Straßburg - vergebens.

Supreme Court: Lebenserhaltende Maßnahmen würden Sterben nur verlängern

Seit April liegt Archie im Koma. Bei einem Unfall hatte er sich zu Hause in Southend-on-Sea schwere Hirnverletzungen zugezogen, womöglich bei einer Internet-Mutprobe. Die Ärzte haben keine Hoffnung mehr, dass sich sein Zustand noch wesentlich bessern wird - im Gegenteil. Das ist auch der Grund, warum alle britischen Gerichte - bis hin zum Supreme Court - es abgelehnt haben, die lebenserhaltenden Maßnahmen fortzusetzen. Die Richter am Supreme Court erklärten am 02.08.2022, da es keine Aussicht auf eine wirkliche Genesung gebe, würden die lebenserhaltenden Maßnahmen nur "das Sterben verlängern".

Familie wollte Schicksal nicht hinnehmen

Nur wenige Stunden vor der zuletzt angesetzten Abschaltung der Geräte am 03.08.2022 reichten Archies Eltern dann in Straßburg einen Antrag ein. "Irgendwann werde ich eine ernsthafte Therapie brauchen", sagte Hollie Dance danach vor dem Krankenhaus im Osten Londons zu Reportern. "Aber momentan habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken." Der Barts NHS Health Trust, der das Krankenhaus betreibt, sagte zu, die Geräte laufen zu lassen, solange eine abschließende gerichtliche Entscheidung aussteht. Dass es in der Heimat keine Chancen für Archie gibt, hatte die Familie mittlerweile akzeptiert. Doch das Schicksal einfach hinnehmen, will sie auch nicht. Es habe Angebote aus Japan und Italien gegeben, wo man bereit sei, Archie weiter zu behandeln. "Man sollte ihm das erlaube", sagte Dance, die bis zuletzt fest daran geglaubt hat, dass ihr Sohn gesundheitliche Fortschritte mache.

Eltern möchten Sohn in Hospiz sterben lassen

Nach der Entscheidung des EGMR möchten die Eltern ihren Sohn nun zumindest in ruhiger Umgebung in einem Hospiz sterben lassen - statt in einem lauten, sterilen Krankenhauszimmer. Dafür haben sie einen entsprechenden Antrag beim High Court in London eingereicht. Entgegen früherer Versprechen habe die Klinik dies abgelehnt, sagte Dance erschüttert. "Archie ist in einem solch instabilen Zustand, dass ein erhebliches Risiko sogar dann besteht, wenn er innerhalb seines Krankenhausbettes gedreht wird, was im Rahmen seiner fortlaufenden Pflege erfolgen muss", teilte der Krankenhausbetreiber mit. "Dies bedeutet, dass in seinem Zustand eine Verlegung mit dem Krankenwagen in eine völlig andere Umgebung höchstwahrscheinlich die vorzeitige Verschlechterung beschleunigen würde, die die Familie vermeiden möchte."

Britischer Gesundheitsdienst unter finanziellem Druck

Archis Mutter fordert Reformen, damit nicht noch mehr Eltern vor Gericht ziehen müssen, wenn sie ihr Kind nicht aufgeben wollen. In der Tat erinnert der tragische Fall an ähnliche Auseinandersetzungen um unheilbar kranke Kinder in Großbritannien. Was im besten Sinne des Patienten ist, entscheiden oft Richter auf Empfehlung von Medizinern. Der finanziell stark unter Druck stehende britische Gesundheitsdienst neigt dazu, lebenserhaltende Maßnahmen sehr viel früher zu entziehen, als das etwa in Deutschland der Fall wäre, wo es zuweilen eher Konflikte gibt, wenn Kranke oder Angehörige Geräte aus eigenem Willen abschalten wollen.

Larissa Schwedes; Benedikt von Imhoff, 4. August 2022 (dpa).