Gesundheitsausschuss: Apothekenstärkungsgesetz ist europarechtlich riskant

Experten halten die in Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2016 geplante Regelung zur Einhaltung des einheitlichen Abgabepreises für verschreibungspflichtige Medikamente im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung für europarechtlich riskant. Dies hat eine Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag zum Apothekenstärkungsgesetz der Bundesregierung vom 16.09.2020 gezeigt.

Entwurf: Einhaltung des einheitlichen Abgabepreises soll im SGB V geregelt werden

Mit der Reform will die Bundesregierung in Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2016 einheitliche Preise für verschreibungspflichtige Medikamente sicherstellen und Rabattangebote europäischer Versandapotheken verhindern. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Regelungen zur Einhaltung des einheitlichen Abgabepreises für Arzneimittel in das SGB V eingefügt werden. Apotheker sollen zudem mehr Geld für Notdienste und spezielle Dienstleistungen bekommen, etwa für die Versorgung von Krebskranken oder Pflegefällen. Durch eine entsprechende Änderung der Arzneimittelpreisverordnung sollen 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

AOK-Bundesverband: Selektivverträge sicherere Alternative

Der AOK-Bundesverband monierte, die Neuregelung zugunsten eines einheitlichen Abgabepreises könnte erneut eine Befassung des EuGH nach sich ziehen. Als sicherere Alternative wären Selektivverträge denkbar als Voraussetzung für eine Abrechnung mit der Krankenkasse. Es werde auch die Chance vertan, die regionale Arzneimittelversorgung zukunftsfähig aufzustellen, indem den Vertragspartnern vor Ort Gestaltungsspielräume eröffnet würden.

GKV-Spitzenverband: Erhebliches Risiko der Europarechtswidrigkeit

Ähnlich kritisch äußerte sich der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung, der sich dafür aussprach, den Apothekenmarkt für neue Versorgungsformen zu öffnen und die Vergütung umzustrukturieren. Die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen reichten nicht aus, um eine patienten- und zukunftsorientierte Versorgung langfristig sicherzustellen. Die Preisvorschrift berge die erhebliche Gefahr, dass sie mit Europarecht nicht vereinbar sei. Darüber hinaus bestehe mit den vorgesehenen Änderungen die Gefahr, dass die Geltung der gesamten Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verloren gehe.

DGB: Geplante Neuregelung unnötig

Der DGB sieht die jetzt geplante rechtliche Konstruktion als unnötig an. Von den 35 Milliarden Euro, die Apotheken mit rezeptpflichtigen Medikamenten umsetzten, entfielen ein bis zwei Prozent auf den Versandhandel. Damit bleibe die Vor-Ort-Apotheke die mit Abstand wichtigste Anlaufstelle für Versicherte. Dies werde sich voraussichtlich auch in Zukunft nicht ändern. Fraglich sei, ob die neue Rechtskonstruktion auf europäischer Ebene Bestand habe.

Redaktion beck-aktuell, 18. September 2020.