EuGH: Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente im grenzüberschreitenden Versandhandel unzulässig
Mit dem angestrebten Versandhandelsverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel reagiert das Bundesgesundheitsministerium auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19.10.2016 (BeckRS 2016, 82517). Der EuGH entschied, dass die in Deutschland geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente die ausländischen Versandapotheken benachteiligt und daher gegen EU-Recht verstößt. So werde ausländischen Apotheken über die Festpreise der Zugang zum deutschen Markt erschwert. Dieses Handelshemmnis sei nicht gerechtfertigt. Eine mögliche Konsequenz aus dem Urteil wäre neben einem Versandhandelsverbot die Aufhebung der Preisbindung auch für rezeptpflichtige Arzneimittel. Während die Union für ein Versandhandelsverbot plädiert, um Rabattaktionen ausländischer Versandapotheken auf Kosten deutscher Präsenzapotheken zu verhindern, ist die SPD mit Blick auf chronisch kranke Patienten gegen ein solches Totalverbot und für einen Interessenausgleich.
Linke fordern Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln
Nach Ansicht der Linksfraktion müssen die deutschen Apotheken vor der Billigkonkurrenz ausländischer Versandapotheken geschützt werden. Sie fordern daher, in Deutschland den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu verbieten (BT-Drs. 18/10561). Ein Preiskampf würde weder zu einer besseren Qualität, noch zu einer Stärkung von Apotheken in strukturschwachen Regionen führen, heißt es darin. Außerdem fordern die Linken, Zuzahlungen bei Medikamenten abzuschaffen (BT-Drs. 18/12090). Derzeit dürften ausländische Versandapotheken den Patienten Rabatte auf die Zuzahlungen bei Arzneimitteln gewähren, inländische Apotheken hingegen nicht. Die Abschaffung der Zuzahlungen auf Arzneimittel würde in Ergänzung zu einem Versandhandelsverbot alle Patienten finanziell entlasten.
Grüne fordern "Höchstpreisbindung" statt Versandhandelsverbot
Die Grünen halten ein Versandhandelsverbot für den falschen Weg. Sie schlagen (BT-Drs. 18/11607) stattdessen vor, die Festpreisbindung in eine Höchstpreisbindung umzuwandeln, von der Apotheken nur nach unten abweichen könnten. Ergänzend dazu sollten Rabatte und Boni nur in einem bestimmten Rahmen zugelassen werden. So könnten Boni auf einen Wert von bis zu einem Euro begrenzt werden.
Apothekerverbände warnen vor Preiswettbewerb
Die Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA) warnte nachdrücklich vor der Eröffnung eines Preiswettbewerbs für Medikamente auf der Abgabeebene und erinnerte an die wichtigen Steuerungsfunktionen des jetzigen Systems. So würden Patienten vor Übervorteilung geschützt und Apotheker vor einem ruinösen Wettbewerb. Bei einem Preiswettbewerb müssten Präsenzapotheken mit einem reduzierten Betriebsergebnis zwischen 20 und 50 Prozent rechnen. Auch ein Sicherstellungszuschlag könnte dieses Problem nicht beseitigen. Bei einem schwachen Betriebsergebnis wäre der Anreiz zur Selbständigkeit "auf null reduziert". An das Preisbildungssystem knüpften überdies wichtige Regulierungen innerhalb der GKV an wie die Zuzahlungen, die Festbeträge und die Regelungen zur Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung. Die aus dem System resultierende Transparenz der Preisbildung sei Voraussetzung für die Kostendämpfung.
Gesundheitsökonom warnt vor Folgen im ländlichen Raum
Der Gesundheitsökonom Uwe May sagte in der Anhörung, ein Preiswettbewerb könnte gerade für Apotheken im ländlichen Raum gravierende Folgen haben. Auch ein begrenzter Rabatt von einem Euro pro verkaufter Packung wäre alles andere als ein sanfter Wettbewerb, sondern könnte dazu führen, dass "Solitär"-Apotheken dicht machen, weil sich der Betrieb nicht mehr ausreichend lohne. Auch eine kleine Preisreduzierung habe eine große Hebelwirkung.
Versandapotheken: Versandhandel bei Spezialarzneien unverzichtbar
Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) erklärte, der Medikamenten-Versandhandel sei bei bestimmten Erkrankungen wie Mukoviszidose unverzichtbar. Patienten bezögen über Versandapotheken viele Spezialrezepturen, die sie in einer herkömmlichen Apotheke nicht bekommen könnten. Zudem gehe die Zahl der Präsenzapotheken struktur- und altersbedingt zurück. Der online-Versandhandel sei überdies barrierefrei. Auf die Warnung des ABDA vor einem Preiswettbewerb erwiderten die Versandapotheken, manche Häuser hätten sich auf rezeptpflichtige Medikamente spezialisiert. Ein Verbot des Versandhandels käme in den Fällen einer Enteignung gleich.
GKV hält Versandhandelsverbot für unzeitgemäß und befürwortet Höchstpreismodell der Grünen
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lehnt ein pauschales Versandhandelsverbot gleichfalls ab. Im Zeitalter der Digitalisierung und angesichts der Förderung von E-Health-Projekten im Gesundheitswesen sei dies unzeitgemäß. Ein solches Verbot würde im Übrigen ausländische wie inländische Apotheken treffen, wobei aus Sicht der Patienten ein Bedarf an Versandapotheken bestehe. Aus dem geringen Anteil des Versandhandels lasse sich schwerlich eine Bestandsgefahr für Präsenzapotheken ableiten. Wenn ausländische Versandapotheken "substanzielle Boni" gewähren könnten, müsse auch die hiesige Vergütungshöhe hinterfragt werden, argumentierte der GKV-Spitzenverband und befürwortete das alternative Höchstpreismodell der Grünen als eine mögliche Lösung.
Selbsthilfeorganisationen: Versandhandel für chronisch Kranke finanziell vorteilhaft
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe bringt der Versandhandel für chronisch Kranke deutliche finanzielle Vorteile. Zudem könnten Präsenzapotheken das Angebot der Spezialversender nicht abdecken. Betroffen wären unter anderem Mukoviszidose-Patienten. Besondere Versorgungsformen müssten somit weiter möglich sein. Im Fall eines Versandhandelsverbots sollten die örtlichen Apotheken dazu verpflichtet werden, in bestimmten Fällen Medikamente per Botendienst zuzustellen.