"Gebäudetyp E: Das steht für einfaches und innovatives Bauen - aber eben auch für sicheres Bauen. Es geht bei unserem Gesetz um die Reduzierung verzichtbarer Komfortstandards, nicht um die Reduzierung der Sicherheit", teilte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Montag mit.
Er bezeichnete den Gebäudetyp-E als einen "wichtigen Beitrag, um auf die stark gestiegenen Baukosten zu reagieren". Der Gesetzentwurf solle Bauen in Deutschland günstiger, einfacher und unbürokratischer machen.
Laut dem Gesetzentwurf, den das Bundesjustizministerium am Montag vorstellte, sollen Bauherren und Architektinnen künftig einfacher von bestimmten regulatorischen Vorgaben abweichen können. Sie sollen gemeinsam festlegen können, welche Baustandards für ein Projekt notwendig sind und wo Abweichungen sinnvoll erscheinen, ohne Abstriche bei Gebäudesicherheit und Gesundheit.
Das "Gebäudetyp-E-Gesetz" (vollständiger Titel: Entwurf eines Gesetzes zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus) setzt dabei insbesondere bei den Allgemein anerkannten Regeln der Technik an. Die vorgesehenen Änderungen im Bau- und Werkvertragsrecht können mehr Freiheit bei der Planung für Architekten und Ingenieure mit sich bringen und haben Konsequenzen auch für deren Haftpflichtversicherungen.
Die Allgemein anerkannten Regeln der Technik und ihre Folgen
Hintergrund der Pläne aus dem BMJ ist die aktuell strenge Rechtsprechung. Der BGH (vgl. z.B. Urteil vom 14.11.2017 - VII ZR 65/14) unterstellt, dass bei jedem Architekten-/ Ingenieurvertrag, falls nicht ausdrücklich, so doch zumindest stillschweigend vereinbart werde, die allgemein anerkannten Regeln der Technik als (Mindest-) Beschaffenheitsvereinbarung einzuhalten. Wer sie verletzt, läuft somit Gefahr, ein mangelhaftes Werk abzuliefern.
Zwar können Architekten und Ingenieurinnen über die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses mit den Bauherren auch schon heute entgegen diesen anerkannten Regeln der Technik planen. An die damit verbundene Aufklärungspflicht werden aber hohe Anforderungen gestellt, weshalb stets ein Restrisiko beim Planer verbleibt.
Was die allgemein anerkannten Regeln der Technik genau sind, ist bislang nicht gesetzlich normiert. Nach der Rechtsprechung und Literatur handelt es sich um diejenigen technischen Regeln für bauliche Anlagen, die in der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und feststehen sowie insbesondere in den Kreisen der für die Anwendung der betroffenen Regeln zuständigen Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortlaufender praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind (siehe schon OLG Hamm, Urteil vom 17.08.1990 – 26 U 180/89)
Diese Definition unter Beweislastgrundsätzen zufriedenstellend zu bedienen, ist freilich nicht einfach. Daher setzt die Judikative oft auch eine Vielzahl von DIN-Normen mit den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik gleich, die dann im Zweifel ebenfalls planerisch umgesetzt werden müssen.
Obwohl DIN-Vorschriften im Grunde nur private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2013 – V ZR 182/12), kann deren Missachtung dann nach den Anscheinsbeweisgrundsätzen leicht dazu führen, dass es nun der Architekt oder Bauunternehmer ist, der einen vom Bauherrn zunächst erbrachten Anschein der Mangelhaftigkeit erschüttern muss, indem er den Gegenbeweis erbringt. Das ist mindestens schwierig, oft gar nicht möglich.
"Fachkundige Unternehmen" können bald ohne Aufklärung abweichen
Nun will die Bundesregierung das Werk-/Bauvertragsrecht anpassen. Geplant ist eine Ergänzung des § 650a BGB (Bauvertrag) um einen neuen Absatz 3, der Regelungen zu den anerkannten Regeln der Technik enthält. Für sicherheitsrelevante Normungen wird künftig für alle Verträge gesetzlich vermutet, dass sie zu den anerkannten Regeln der Technik gehören. Für Komfort- und Ausstattungsmerkmale wird hingegen bei allen Verträgen vermutet, dass diese keine anerkannten Regeln der Technik abbilden. Damit würden die Regelungen auch auf Verträge zwischen privaten Bauherren und den Planenden ausstrahlen.
Für den Gebäudetyp E soll eine spezielle Regelung in § 650o BGB-E es "fachkundigen Unternehmen" auf beiden Seiten ermöglichen, gezielt für ein Vorhaben Vereinbarungen zu treffen, ohne die allgemein anerkannten Regeln der Technik vollumfänglich beachten zu müssen. Man wird davon ausgehen dürfen, dass Verträge zwischen zwei Unternehmen aus dem Baubereich gemeint sind, zum Beispiel Bauträger und Architektin. Sie sollen künftig nicht mehr über Risiken und Konsequenzen eines Abweichens von den anerkannten Regeln der Technik aufklären müssen.
Haben die Unternehmer keine Vereinbarung zu einem Abweichen von den anerkannten Regeln der Technik getroffen, soll eine tatsächliche Abweichung künftig unter gewissen Voraussetzungen keinen Mangel des Bauwerks mehr begründen. Das soll dann gelten, wenn die Abweichung dem Besteller vor Ausführung der Bauleistung angezeigt wird, dieser nicht unverzüglich widersprochen hat und die dauerhafte Sicherheit und Eignung des Gebäudes gewährleistet ist.
Versicherungstechnische Aspekte
Der Gebäudetyp E hat auch Auswirkungen auf die Berufshaftpflichtversicherung für Architekten und Ingenieure. Denn nach Versicherungsbedingungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten und Ingenieuren sind Ansprüche wegen Schäden grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, die durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht werden.
Einige Versicherer bieten bereits modifizierte Pflichtwidrigkeitsklauseln an. Sie ermöglichen es beispielsweise, dass der Ausschluss unter zwei Voraussetzungen nicht gilt: wenn geltende Vorschriften oder allgemein anerkannte Regeln der Technik auf Wunsch des Auftraggebers/Bauherrn nicht eingehalten werden sollen und der Auftraggeber/Bauherr auf die Abweichungen und die sich daraus ergebenden möglichen Folgen schriftlich hingewiesen wurde. Es ist damit zu rechnen, dass einige Versicherer ihre Pflichtwidrigkeitsklauseln künftig anpassen werden.
Das Gebäudetyp-E-Gesetz soll im Herbst 2024 im Kabinett beschlossen werden und bereits Anfang 2025 in Kraft treten. Der Entwurf sei in engem Austausch mit Architektenschaft, Bauwirtschaft und weiteren Stakeholdern entwickelt und am Montag an die Länder und Verbände verschickt worden, teilte das BMJ mit. Er wird flankiert von einer umfassenden "Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E", die das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erarbeitet und am 17. Juli 2024 veröffentlicht hat und die den Vertragsparteien als Hilfsmittel bei der Gestaltung von Verträgen für Neu- und Umbauten nach dem Gebäudetyp E dienen soll.
Der Autor Ralph Bodo Kaiser ist Volljurist und Teamleiter der Schadenabteilung von MRH TROWE Insurance Brokers for Architects & Engineers GmbH, einem auf Architekten und Ingenieure spezialisierten Versicherungsmakler. Zuvor war er lange Syndikusanwalt bei mehreren Versicherungsunternehmen im Bereich Bau-/ Architektenhaftpflichtschäden.