Ge­setz soll Struk­tu­ren gegen Kin­des­miss­brauch stär­ken

Tau­sen­de Kin­der und Ju­gend­li­che er­fah­ren jähr­lich se­xu­el­le Ge­walt. Mit einem Ge­setz will die Ampel nun Auf­klä­rung, Prä­ven­ti­on und Auf­ar­bei­tung stär­ken.

Mit einem neuen Ge­setz will die Bun­des­re­gie­rung staat­li­che Struk­tu­ren im Kampf gegen Kin­des­miss­brauch stär­ken und Be­trof­fe­ne stär­ker un­ter­stüt­zen. Pläne dafür hat das Bun­des­ka­bi­nett am Mitt­woch in Ber­lin auf den Weg ge­bracht. Men­schen, die se­xu­el­le Ge­walt in der Kind­heit er­fah­ren haben, sol­len bei der Auf­ar­bei­tung mehr Hilfe be­kom­men, die For­schung zum Thema soll aus­ge­baut und ein zu­stän­di­ger Be­auf­trag­ter oder eine Be­auf­trag­te des Bun­des per Ge­setz dau­er­haft ein­ge­setzt und vom Bun­des­tag künf­tig ge­wählt wer­den. Das "Ge­setz zur Stär­kung der Struk­tu­ren gegen se­xu­el­le Ge­walt an Kin­dern und Ju­gend­li­chen" aus dem Haus von Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus (Grüne) muss nun noch durch Bun­des­tag und Bun­des­rat.

Schon heute gibt es zwar das Amt der "Un­ab­hän­gi­gen Be­auf­trag­ten für Fra­gen des se­xu­el­len Kin­des­miss­brauchs" (UBSKM). Die Stel­le war nach dem so­ge­nann­ten Miss­brauchs­skan­dal 2010 ein­ge­rich­tet wor­den, nach­dem Fälle an re­nom­mier­ten Bil­dungs­ein­rich­tun­gen wie dem Ca­ni­si­us-Kol­leg und der Oden­wald­schu­le öf­fent­lich ge­wor­den waren. Seit­dem wur­den die Be­auf­trag­ten vom Bun­des­ka­bi­nett be­ru­fen. Ein kon­kre­tes Ge­setz dazu gab es bis­her aber nicht.

Die Ampel hatte sich in ihrem Ko­ali­ti­ons­ver­trag vor­ge­nom­men, das zu än­dern, um für den Pos­ten eine dau­er­haf­te Grund­la­ge zu schaf­fen. Die Be­auf­trag­te stehe damit künf­tig auf einer Stufe mit der Wehr­be­auf­trag­ten oder Da­ten­schutz­be­auf­trag­ten, sagte Paus in Ber­lin. Ak­tu­ell führt Kers­tin Claus das Amt. Sie wurde im März 2022 für fünf Jahre vom Bun­des­ka­bi­nett be­ru­fen.

Re­gel­mä­ßi­ger La­ge­be­richt und neues For­schungs­zen­trum

Künf­tig sol­len die Be­auf­trag­ten re­gel­mä­ßig einen La­ge­be­richt vor­le­gen – laut Ge­setz­ent­wurf ein­mal pro Le­gis­la­tur­pe­ri­ode. Ein sol­cher Be­richt, der auf kon­kre­te Miss­stän­de hin­weist, kann dann Grund­la­ge für po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen sein. Neu ent­ste­hen soll da­ne­ben ein "Zen­trum für For­schung zu se­xu­el­ler Ge­walt an Kin­dern und Ju­gend­li­chen", des­sen Er­geb­nis­se in den Be­richt ein­flie­ßen. Dem Amt der oder des Be­auf­trag­ten sol­len dem Ge­setz­ent­wurf zu­fol­ge au­ßer­dem ein Be­trof­fe­nen­rat, der die Be­lan­ge Be­trof­fe­ner in den Blick nimmt, und eine Auf­ar­bei­tungs­kom­mis­si­on zur Seite ge­stellt wer­den, die das Thema unter an­de­rem auf Basis von Zeit­zeu­gen­be­fra­gun­gen und Be­trof­fe­nen­an­hö­run­gen un­ter­sucht. Auch diese Gre­mi­en gibt es heute be­reits, aber eben­falls bis­her ohne ge­setz­li­che Grund­la­ge.

Dau­er­haft ein­ge­rich­tet und fi­nan­ziert wer­den soll zudem eine bun­des­wei­te An­lauf­stel­le, an die sich Men­schen mit Miss­brauch­s­er­fah­run­gen wen­den kön­nen. "Es wird ein Be­ra­tungs­ser­vice fi­nan­ziert, der ge­eig­net ist, die in­di­vi­du­el­le Auf­ar­bei­tung zu för­dern und damit die Le­bens­si­tua­ti­on von Be­trof­fe­nen zu ver­bes­sern", heißt es im Ge­setz­ent­wurf. Bis­her gibt es be­reits ein bei der Miss­brauchs­be­auf­trag­ten an­ge­sie­del­tes Hilfe-Por­tal im Netz und eine Hot­line, an die sich Be­trof­fe­ne wen­den kön­nen. Künf­tig sol­len sie aber noch in­ten­si­ver durch den Pro­zess der Auf­ar­bei­tung be­glei­tet wer­den, etwa auch durch per­sön­li­che Un­ter­stüt­zung beim Thema Ak­ten­ein­sicht.

Er­wach­se­ne mit Miss­brauch­s­er­fah­run­gen in der Kind­heit be­kom­men mit dem Ge­setz spe­zi­el­le Ak­ten­ein­sichts- und Aus­kunfts­rech­te. Die Ju­gend­äm­ter wer­den den Plä­nen zu­fol­ge ver­pflich­tet, Be­trof­fe­nen Ein­sicht in Er­zie­hungs­hil­fe-, Heim- oder Vor­mund­schafts­ak­ten zu geben und Aus­künf­te zu er­tei­len. Zudem wer­den die Ämter dazu ver­pflich­tet, die Akten jahr­zehn­te­lang auf­zu­be­wah­ren.

In­for­ma­tio­nen für Kin­der­ärz­te und Fa­mi­li­en­rich­ter ver­ste­ti­gen

Das schon lau­fen­de Pro­jekt "Me­di­zi­ni­sche Kin­der­schutz­hot­line", eine Te­le­fon­num­mer, an die sich Be­rufs­grup­pen wen­den kön­nen, die re­gel­mä­ßig Kon­takt zu Kin­dern und Ju­gend­li­chen haben, wie Kin­der­ärz­te, Heb­am­men, Fa­mi­li­en­rich­ter oder Ju­gend­hil­fe-Mit­ar­bei­ter, soll dau­er­haft eta­bliert wer­den. Die ge­nann­ten Be­rufs­grup­pen kön­nen sich dort­hin für eine Erst­be­ra­tung wen­den, wenn sie me­di­zi­ni­sche Fra­gen und Fra­gen zum wei­te­ren Vor­ge­hen im Zu­sam­men­hang mit einer mög­li­chen Kin­des­wohl­ge­fähr­dung haben.

Da­ne­ben wird die Bun­des­zen­tra­le für ge­sund­heit­li­che Auf­klä­rung mit dem Ge­setz ver­pflich­tet, ge­mein­sam mit den Bun­des­län­dern bun­des­ein­heit­li­che In­for­ma­tio­nen und Me­di­en­an­ge­bo­te zur Prä­ven­ti­on zu ent­wi­ckeln, um zum Bei­spiel El­tern für das Thema zu sen­si­bi­li­sie­ren. Die Bun­des­zen­tra­le soll au­ßer­dem Ein­rich­tun­gen, die mit Kin­dern zu tun haben, bei Schutz­kon­zep­ten un­ter­stüt­zen.

Tau­sen­de Miss­brauchs­fäl­le – Dun­kel­feld viel grö­ßer

Mit Blick auf die Kri­mi­nal­sta­tis­tik 2023 heißt es im Ge­setz­ent­wurf, es be­stehe ge­setz­ge­be­ri­scher Hand­lungs­be­darf: 18.500 von se­xu­el­lem Miss­brauch be­trof­fe­ne Kin­der und Ju­gend­li­che im ver­gan­ge­nen Jahr, 16.000 davon zwi­schen sechs und 14 Jah­ren und 2.200 davon sogar jün­ger als sechs Jahre. Es wird ver­mu­tet, dass das so­ge­nann­te Dun­kel­feld "um ein Viel­fa­ches" grö­ßer ist. Dun­kel­feld­for­schun­gen hät­ten ge­zeigt, dass etwa jeder sieb­te bis achte Er­wach­se­ne in Deutsch­land se­xu­el­le Ge­walt in Kind­heit oder Ju­gend er­lit­ten habe, unter den Frau­en sei jede fünf­te bis sechs­te Frau be­trof­fen.

Mit dem Ge­setz hole man die An­lie­gen der Be­trof­fe­nen in die Mitte der Ge­sell­schaft, sagte Paus. "Wir ver­bes­sern die Mög­lich­kei­ten der Auf­ar­bei­tung. Und wir stär­ken Prä­ven­ti­on und Qua­li­täts­ent­wick­lung im Kin­der­schutz."

Redaktion beck-aktuell, mam, 19. Juni 2024 (dpa).

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