Neuer Dach­ver­ein zur Re­form des Ju­ra­stu­di­ums
© Michael Staab

Die Kri­tik an der Ju­ris­ten­aus­bil­dung reißt nicht ab. Doch trotz vie­ler In­itia­ti­ven än­dert sich bis­her nichts. Die "Ge­sell­schaft für Di­dak­tik der Rechts­wis­sen­schaft" will laut In­itia­tor Ju­li­an Krüper die De­bat­te pro­fes­sio­na­li­sie­ren und ein Forum für die ju­ris­ti­sche Lehre wer­den, ganz ohne Ak­ti­vis­mus.

beck-ak­tu­ell: Am Don­ners­tag wird die Ge­sell­schaft für Di­dak­tik der Rechts­wis­sen­schaft ge­grün­det, Sie sind einer der Mit­in­itia­to­ren. Las­sen Sie uns ein­mal vorne an­fan­gen: Wie ent­stand die Idee?  

Krüper: Die Idee ent­stand im Her­aus­ge­ber­kreis der Zeit­schrift für Di­dak­tik der Rechts­wis­sen­schaft, deren Mit­her­aus­ge­ber ich bin. Zu­erst ganz in­for­mell. Wir hat­ten den ge­mein­sa­men Wunsch, die ver­schie­de­nen Sta­ke­hol­der, die sich mit der Ju­ris­ten­aus­bil­dung und ihrer Re­form be­fas­sen, zu­sam­men­zu­brin­gen. Denn es gibt zwar eine ganze Reihe von In­itia­ti­ven an ver­schie­de­nen Stand­or­ten und mit ganz ver­schie­de­nen An­sät­zen. Aus un­se­rer Sicht fehl­te aber eine ge­wis­se In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung – und ja, auch Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der De­bat­te. Dafür wol­len wir ein Forum bie­ten und das ver­su­chen wir mit die­ser Ge­sell­schaft zu er­rei­chen.

Wir haben dann im Juni 2024 einen Auf­ruf ge­star­tet, viele Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len an­ge­schrie­ben, und wir freu­en uns sehr, dass wir fast 300 In­ter­es­sens­be­kun­dun­gen be­kom­men haben. Eine doch recht statt­li­che Zahl, die uns zeigt, dass das Thema nicht nur eine Hand­voll Men­schen in­ter­es­siert. Des­halb wer­den wir die Ge­sell­schaft am mor­gi­gen Don­ners­tag of­fi­zi­ell – in der Rechts­form eines Ver­eins – im Rah­men einer Fach­ta­gung in Bo­chum grün­den.

"Die Rechts­wis­sen­schaft hat gro­ßen Nach­hol­be­darf"

beck-ak­tu­ell: An wen rich­tet sich die Ar­beit der Ge­sell­schaft und wer soll ihr zu­künf­tig an­ge­hö­ren kön­nen?

Krüper: Die Ge­sell­schaft soll all den­je­ni­gen of­fen­ste­hen, die be­ruf­lich mit der Ju­ris­ten­aus­bil­dung zu tun haben. Das kann die Hoch­schul­leh­re­rin sein, der Lei­ter eines Jus­tiz­prü­fungs­amts – und es gibt auch die Mög­lich­keit ko­ope­ra­ti­ver Mit­glied­schaf­ten, z.B. für Rich­ter- oder An­walts­or­ga­ni­sa­tio­nen oder auch für die Kam­mern und an­de­re Ver­ei­ne und Ver­bän­de. Mit ihrer Ar­beit rich­tet sich die Ge­sell­schaft wie­der­um an alle, die in­sti­tu­tio­nell mit der Ju­ris­ten­aus­bil­dung be­fasst sind: die ein­zel­nen Hoch­schul­leh­rer, Re­fe­ren­dar­aus­bil­der, die ju­ris­ti­schen Fa­kul­tä­ten, die Jus­tiz­mi­nis­te­ri­en der Län­der und auch die Be­rufs­ver­bän­de. Aber wir wer­den na­tür­lich auch An­ge­bo­te für un­se­re Mit­glie­der haben.

beck-ak­tu­ell: Was ist das Ziel der Ge­sell­schaft?

Krüper: Die Ge­sell­schaft ver­steht sich als eine wis­sen­schaft­li­che Fach­ge­sell­schaft. Mir per­sön­lich ist das auch sehr wich­tig, denn ich finde, dass die Re­fle­xi­on über di­dak­ti­sche Fra­gen Teil der wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­plin sein soll­te – eine Art Grund­la­gen­fach. In an­de­ren Dis­zi­pli­nen – etwa in der Me­di­zin – ist es ganz selbst­ver­ständ­lich, dass man sich re­flek­tie­rend mit der Lehre aus­ein­an­der­setzt. Da hat die Rechts­wis­sen­schaft gro­ßen Nach­hol­be­darf.

Wir wol­len den Dis­kurs um die Ju­ris­ten­aus­bil­dung zu­sam­men­füh­ren und wei­ter­ent­wi­ckeln. Dabei geht es ei­ner­seits darum, die Lehre kon­kret zu ver­bes­sern, aber auch darum, di­dak­tisch grun­dier­te Re­form­vor­schlä­ge zu ent­wi­ckeln. Wir be­fin­den uns ak­tu­ell noch in der Grün­dungs­pha­se, aber grund­sätz­lich wol­len wir re­gel­mä­ßig Ta­gun­gen ver­an­stal­ten und Fort­bil­dungs­an­ge­bo­te für Mit­glie­der ma­chen. Wir wer­den ei­ge­ne Re­form­pro­jek­te an­sto­ßen und Vor­schlä­ge ent­wi­ckeln. Au­ßer­dem wol­len wir An­sprech­part­ner sein für die Mi­nis­te­ri­en der Län­der und auch ein Kno­ten­punkt für die Zu­sam­men­ar­beit mit an­de­ren Dis­zi­pli­nen, etwa der Hoch­schul­for­schung und der psy­cho­lo­gi­schen Bil­dungs­for­schung. Wir haben auch dar­über nach­ge­dacht, einen Lehr­preis zu ver­ge­ben – das muss aber na­tür­lich noch or­ga­ni­siert wer­den.

"Der Dis­kurs hat sich ver­zet­telt und das ist ein Pro­blem"

beck-ak­tu­ell: Trotz jah­re­lan­ger De­bat­ten ist eine grund­le­gen­de Re­form des Ju­ra­stu­di­ums bis­her aus­ge­blie­ben. Woran krankt die Re­form-Dis­kus­si­on?

Krüper: Dass die große Re­form bis­her aus­ge­blie­ben ist, hat mei­nes Er­ach­tens ver­schie­de­ne Grün­de. Ich schaue jetzt mal nur auf die uni­ver­si­tä­re Ju­ris­ten­aus­bil­dung. Wir dür­fen na­tür­lich nicht un­ter­schla­gen, dass auch die Hoch­schu­len in hohem Um­fang und sehr hoher Qua­li­tät Rechts­aus­bil­dung be­trei­ben. Aber bei der uni­ver­si­tä­ren Ju­ris­ten­aus­bil­dung ist ein gro­ßes Pro­blem das Aus­ein­an­der­fal­len von Aus­bil­dungs­be­trieb und Prü­fungs­be­trieb. Das heißt: Die­je­ni­gen, die die Aus­bil­dung ver­ant­wor­ten, sind nicht die­sel­ben, die das Staats­ex­amen ver­ant­wor­ten. Das hat den Nach­teil, dass sich die ju­ris­ti­schen Fa­kul­tä­ten aus der Frage der di­dak­ti­schen Ver­ant­wor­tung weit­ge­hend zu­rück­ge­zo­gen haben und die Prü­fungs­äm­ter dafür nicht zu­stän­dig sind. In der Folge spre­chen sehr viel über das Ex­amen, aber über die vier, fünf Jahre bis dahin so gut wie gar nicht. Es gibt kei­nen pro­duk­ti­ven, struk­tu­rier­ten Aus­tausch zwi­schen den Prü­fungs­äm­tern und den Fa­kul­tä­ten.

Daran krankt auch die ak­tu­el­le Re­form­dis­kus­si­on. Viele sind zu Recht un­zu­frie­den. Es gibt zahl­rei­che In­itia­ti­ven, die Ef­fek­ti­vi­täts­män­gel, Struk­tur­män­gel und in­halt­li­che De­fi­zi­te be­kla­gen. Aber sie neh­men ein­an­der kaum wahr. Immer wie­der tau­chen neue In­itia­ti­ven auf, was be­grü­ßens­wert ist, aber es gibt wenig wech­sel­sei­ti­gen Aus­tausch. Der Dis­kurs droht sich zu ver­zet­teln und es fehlt ihm eine ge­mein­sa­me sach­li­che Grund­la­ge und das ist ein Pro­blem.

beck-ak­tu­ell: Was sind aus Ihrer Sicht die drän­gends­ten The­men bei der Jura-Aus­bil­dung?

Krüper: Vie­len der In­itia­ti­ven ist zu Recht daran ge­le­gen, den aku­ten Druck zu lin­dern. Das sind etwa die Dis­kus­sio­nen um Ru­he­ta­ge, um die E-Klau­sur und dar­über, ob man Kom­men­ta­re be­nut­zen dür­fen soll­te. Das ist ver­ständ­lich – die Be­las­tun­gen sind für un­se­re Stu­die­ren­den zum Teil schon hoch. Ich per­sön­lich halte diese Fra­gen aber eher für Ne­ben­kriegs­schau­plät­ze. Auch der ju­ris­ti­sche Ba­che­lor ist nur Ku­rie­ren am Sym­ptom, so sehr er auch unter den ge­ge­be­nen Um­stän­den einen Sinn hat. Man müss­te aber doch grund­sätz­li­cher an­fan­gen.

Ein Thema, das mich per­sön­lich sehr um­treibt, ist die Re­form des Cur­ri­cu­lums. Zum einen die In­hal­te – das ist ein ewi­ger Streit­punkt in der Ju­ris­ten­aus­bil­dung. Es ge­lingt seit Jahr­zehn­ten nicht, die Cur­ri­cu­lums­in­hal­te aus­zu­dün­nen, ob­wohl das drin­gend nötig wäre. Zum an­de­ren ist das aber auch die Cur­ri­cu­lums­struk­tur: Was wird wie in wel­chen For­ma­ten ge­lehrt? Das sind z.B. Fra­gen der Di­gi­ta­li­sie­rung der Lehre, der Me­di­en­di­dak­tik und der Prü­fungs­for­ma­te. Hier ist die Frage: Wel­che Lern­zie­le ver­folgt man ei­gent­lich mit einem Cur­ri­cu­lum? Im Mo­ment reden wir über diese The­men auf einem ganz nai­ven und ober­fläch­li­chen Ni­veau. Ich glau­be, dass es da ganz drin­gend eine tie­fer­grei­fen­de Dis­kus­si­on braucht.

"Wir sind kein Bünd­nis von Ak­ti­vis­ten"

beck-ak­tu­ell: Nach der Grün­dung, was steht zu­erst auf der Agen­da der Ge­sell­schaft?

Krüper: Ein Punkt wird si­cher sein, Mit­glie­der zu ge­win­nen. Die Ge­sell­schaft für Me­di­zi­ni­sche Aus­bil­dung, also die Par­al­lel­ge­sell­schaft aus dem me­di­zi­ni­schen Be­reich, hat über 1.000 Mit­glie­der – davon träu­men wir ak­tu­ell noch. Aber es wird na­tür­lich darum gehen – und das ist ganz banal –, fi­nan­zi­el­le Res­sour­cen für den Ver­ein zu ge­ne­rie­ren. Or­ga­ni­sa­to­risch wird viel zu tun sein.

In­halt­lich wer­den wir erst ein­mal die The­men son­die­ren: Wir haben in aller Brei­te The­men ge­sam­melt, die in der ak­tu­el­len Dis­kus­si­on vor­kom­men. Dar­aus wer­den wir Ar­beits­schwer­punk­te bil­den, ab­hän­gig auch von den In­ter­es­sen der Mit­glie­der. Diese gilt es dann in For­ma­te zu über­set­zen, seien es Work­shops, öf­fent­li­che Ver­an­stal­tun­gen oder Ko­ope­ra­ti­ons­for­ma­te mit den be­stehen­den Re­for­m­i­nitia­ti­ven.

Was mir ganz wich­tig ist: Wir sind kein Bünd­nis von Ak­ti­vis­ten. Wir wol­len diese Fra­gen aus der Logik des Fachs her­aus dis­ku­tie­ren und wis­sen­schaft­lich be­han­deln. Es gibt eine kri­ti­sche Masse von Stim­men, die zu der Re­form­de­bat­te bei­tra­gen, aber diese müs­sen ver­netzt wer­den. Der ju­ris­ti­sche Wis­sen­schafts­be­trieb muss Po­si­ti­on be­zie­hen und wir hof­fen, dass die Ge­sell­schaft für Di­dak­tik der Rechts­wis­sen­schaft dazu einen Bei­trag leis­ten kann.

Prof. Dr. Ju­li­an Krüper ist In­ha­ber des Lehr­stuhls für Öf­fent­li­ches Recht, Ver­fas­sungs­theo­rie und in­ter­dis­zi­pli­nä­re Rechts­for­schung an der Ruhr Uni­ver­si­tät Bo­chum und Mit­her­aus­ge­ber der Zeit­schrift für Di­dak­tik der Rechts­wis­sen­schaft und Her­aus­ge­ber des Hand­buchs "Rechts­wis­sen­schaft leh­ren". Er ist einer der In­itia­to­ren der Ge­sell­schaft für Di­dak­tik der Rechts­wis­sen­schaft.

Die Fra­gen stell­te De­ni­se Dah­men.

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 20. November 2024.

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