Geschäftsmodell Scheinvaterschaft: Kein Kraut gewachsen?

Sechs Mal reiste ein Mann aus Nordrhein-Westfalen nach Wiesbaden, um dort bei einem Notar die Vaterschaft für die Kinder unterschiedlicher ausländischer Frauen anzuerkennen. Es sind verdächtige, aber bislang nicht strafbare Vorgänge, über die das nordrhein-westfälische Justizministerium und Experten berichten.

Vaterschaftsanerkennung zur Aufenthaltssicherung?

So schildert eine Juristin der Stadt Duisburg in der "Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht", dass allein in der Ruhrgebietsstadt mehr als 50 Verdachtsfälle bekannt sind, in denen eine Vaterschaft wohl nur deshalb anerkannt wurde, um Mutter und Kind das Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. In Berlin seien es 2016 sogar 700 Verdachtsfälle gewesen. Mit dem Bleiberecht erhalten Mütter und ihre Kinder Anspruch auf staatliche Leistungen. Wenn sich der Staat bei den Vätern den Unterhalt dann wiederholen will, greift er ins Leere: Sie sind als Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Empfänger regelmäßig mittellos. Pro Vaterschaft sollen die Männer 3.500 bis 5.000 Euro kassieren, die Kommunen müssen im Gegenzug Sozialleistungen in Millionenhöhe berappen.

Problem bei Justizministerkonferenz thematisieren

"Scheinvaterschaften sind ein nennenswertes Problem", sagt Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Eine im vergangenen Jahr aus Nordrhein-Westfalen dagegen angeschobene Gesetzesinitiative fand dennoch bislang keine Mehrheit unter den Bundesländern. Nun will Biesenbach das Thema bei der Justizministerkonferenz im kommenden Juni erneut auf die Tagesordnung bringen. Die Berliner Standesämter listeten reihenweise Fälle auf, bei denen sich ein Missbrauchsverdacht ergab: Ein Mann hatte 19 Kinder von 17 verschiedenen Frauen, ein anderer 20 Kinder von 14 verschiedenen Frauen anerkannt. In Paraguay wollte ein Deutscher vor Jahren sogar die Vaterschaft für mehrere hundert Kinder anerkennen. In Bremen fiel den Behörden auf, dass die angeblichen Väter von Kindern afrikanischer Mütter auffallend häufig nicht wie die Mütter in Bremen, sondern mehrere Hundert Kilometer entfernt in Nordrhein-Westfalen gemeldet sind. Dies wird dort als Hinweis darauf gewertet, dass organisierte Strukturen hinter der Vermittlung stecken. Nach Angaben der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vermutet man, dass dies in der Hansestadt die nigerianische Mafia ist.

Missbrauchskontrolle bei Vaterschaftsanerkennungen schwierig

Der deutsche Staat hatte sich selbst verpflichtet, die Vaterschaftsanerkennung nicht zu hinterfragen. Wer der biologische Vater ist, sollte zweitrangig sein. "Vaterschaftsanerkennung ist nicht schwer, ausländerrechtliche Missbrauchskontrolle hingegeben sehr", reimt nun der ehemalige Bundesrichter Harald Dörig. Bislang scheint gegen dieses Geschäftsmodell kein Kraut gewachsen. Zwar ist das Problem bereits vor rund 15 Jahren erkannt worden. Damals hatten sich innerhalb eines Jahres 1.700 ausreisepflichtige Mütter per Vaterschaftsanerkennung ein Bleiberecht gesichert. 2008 beschloss der Gesetzgeber deshalb ein behördliches Anfechtungsrecht. Wenn sich im Nachhinein Zweifel an der Vaterschaft ergaben, konnte diese zwei Jahre rückwirkend wieder entzogen werden. Doch 2013 kippte das Bundesverfassungsgericht diese Verschärfung, weil die betroffenen Kinder dadurch staatenlos zu werden drohten. 2017 bezifferte das Bundesinnenministerium die Zahl der Schein-Vaterschaften auf bundesweit 5.000 Verdachtsfälle. Der Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen soll bewirken, dass Verdachtsfälle den Ausländerbehörden rechtzeitig vorher gemeldet werden, um sie zu überprüfen. Das Anerkennungsverfahren soll so lange ausgesetzt werden.

Redaktion beck-aktuell, Frank Christiansen, 10. Mai 2021 (dpa).