Wahlgang für Gewerkschaftsvertreter prägendes Element der Beteiligungsregelung

Durch die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft in eine Europäische Gesellschaft (SE) darf nach Ansicht des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof Jean Richard de la Tour der besondere Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat nicht beeinträchtigt werden. Dies betonte er am Donnerstag im Verfahren um die Umwandlung der Aktiengesellschaft SAP in eine SE (Az.: C‑677/20). Dem Fall liegt ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts zugrunde.

Wahlgang den Kandidaten der Gewerkschaften vorbehalten

Im Jahr 2014 wurde die deutsche Aktiengesellschaft SAP in eine Europäische Gesellschaft (SE), die SAP SE, umgewandelt. Vor und nach der Umwandlung setzte sich der Aufsichtsrat der Gesellschaft zu gleichen Teilen aus Vertretern der Aktionäre und Vertretern der Arbeitnehmer zusammen. Vor der Umwandlung wurden die Arbeitnehmervertreter jedoch gemäß den deutschen Rechtsvorschriften in zwei getrennten Wahlgängen gewählt, von denen einer der Wahl der Kandidaten der Gewerkschaften vorbehalten war.

Vereinbarung zwischen SAP und besonderem Verhandlungsgremium

Der Umwandlung ging der Abschluss einer Vereinbarung zwischen SAP und einem besonderen Verhandlungsgremium, das die Arbeitnehmer vertrat, über die künftige Arbeitnehmerbeteiligung in der SAP SE voraus. Diese Vereinbarung sieht vor, dass die Gewerkschaften bei Verringerung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf zwölf weiterhin das Recht haben, Kandidaten vorzuschlagen, für deren Wahl aber nicht mehr in den Genuss eines getrennten Wahlgangs kommen. Als die SAP SE tatsächlich beabsichtigte, ihren Aufsichtsrat auf zwölf Mitglieder zu verkleinern, wandten sich deutsche Gewerkschaften, darunter die IG Metall und die ver.di, an deutsche Gerichte.

Auslegung der Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft

In diesem Kontext hat das BAG den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ersucht. Nach dieser Richtlinie muss in der Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer (Beteiligungsvereinbarung) in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das vor der Umwandlung in eine SE bestand. Das BAG möchte daher wissen, ob der gesonderte Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat einer aus der Umwandlung einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts hervorgegangenen SE beibehalten werden muss oder ob durch die Aushandlung der Beteiligungsvereinbarung davon abgewichen werden kann.

Generalanwalt: Gesonderter Wahlgang nicht verhandelbar

In seinen Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Richard de la Tour als Antwort vor, dass die Verhandlungsautonomie des besonderen Verhandlungsgremiums die Durchführung eines getrennten Wahlgangs für die Wahl eines bestimmten, von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Teils der Kandidaten zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat nicht beeinträchtigen darf, wenn diese Besonderheit existiert und in dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden nationalen Recht zwingend ist. Was Deutschland und somit den Fall der SAP SE betrifft, ist nach seiner Auffassung der gesonderte Wahlgang für die Gewerkschaftsvertreter unbestreitbar ein prägendes Element der Beteiligungsregelung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein.

EuGH, Schlussanträge vom 28.04.2022 - C-677/20

Redaktion beck-aktuell, 29. April 2022.