Haftungsbefreiung möglich
Nach Art. 17 der Richtlinie 2019/790 haften Anbieter von Online-Sharing-Diensten unmittelbar, wenn Schutzgegenstände von den Nutzern ihrer Dienste rechtswidrig hochgeladen werden. Allerdings können sich die betroffenen Diensteanbieter von dieser Haftung befreien. Hierfür müssen sie gemäß Art. 17 der Richtlinie 2019/790 die von den Nutzern hochgeladenen Inhalte aktiv überwachen, um das Hochladen derjenigen Schutzgegenstände zu verhindern, die die Rechteinhaber nicht über diese Dienste zugänglich machen wollen. Diese vorbeugende Überwachung muss in vielen Fällen in Form einer Filterung erfolgen, die mit Hilfe von Tools zur automatischen Inhaltserkennung durchgeführt wird.
Online-Vermittler dürfen nicht generell zu Untersuchung der Inhalte verpflichtet werden
Polen hat beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung von Art. 17 RL 2019/790 erhoben. Saugmandsgaard Øe schlägt dem EuGH vor, die Klage abzuweisen. Zwar griffen die angefochtenen Bestimmungen durchaus in die Freiheit der Meinungsäußerung der Nutzer von Online-Sharing-Diensten ein, meint der Generalanwalt. Dieser Eingriff erfülle aber die Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta und sei daher mit dieser vereinbar. Insbesondere achte Art. 17 RL 2019/790 den Wesensgehalt der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit. Zwar könnten die Behörden im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Internets für diese Freiheit die Online-Vermittler nicht dazu verpflichten, die über ihre Dienste geteilten oder übertragenen Inhalte generell nach unzulässigen oder unerwünschten Informationen jeglicher Art zu durchsuchen. Doch könne der Unionsgesetzgeber – wie im vorliegenden Fall – die Entscheidung treffen, bestimmten Online-Vermittlern bestimmte Maßnahmen zur Überwachung ganz bestimmter unzulässiger Informationen vorzuschreiben.
Überwachungspflichten durften aber bestimmten Anbietern auferlegt werden
Weiter weist der Generalanwalt darauf hin, dass Art. 17 RL 2019/790 einer von der EU anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entspricht, da mit ihm ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums sichergestellt werden solle. Dem Unionsgesetzgeber stehe ein weites Ermessen zu, um die Freiheit der Meinungsäußerung und die Rechte der Inhaber des geistigen Eigentums miteinander in Einklang zu bringen. Somit habe der Gesetzgeber die Entscheidung treffen können, die für Anbieter von Online-Diensten geltende Haftungsregelung, die sich ursprünglich aus der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr ergeben habe, dahin zu ändern, dass bestimmten Anbietern Überwachungspflichten auferlegt werden.
Generalanwalt verkennt Gefahr des "Overblockings" zulässiger Informationen nicht
Gleichwohl berge diese neue Regelung eine Gefahr des "Overblockings" zulässiger Informationen, so der Generalanwalt. Die Anbieter von Online-Sharing-Diensten könnten, um jegliches Risiko einer Haftung gegenüber den Rechteinhabern zu vermeiden, dazu neigen, systematisch das Hochladen aller Inhalte zu verhindern, bei denen von den Rechteinhabern benannte Schutzgegenstände wiedergegeben werden, einschließlich der Inhalte mit einer zulässigen, etwa durch Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts gedeckten, Nutzung dieser Gegenstände. Durch den Einsatz von Tools zur automatischen Inhaltserkennung steige diese Gefahr, weil die Tools nicht in der Lage sind, den Kontext zu verstehen, in dem ein solcher Schutzgegenstand wiedergegeben wird.
Unionsgesetzgeber hat Gefahr des "Overblockings" aber ausreichend minimiert
Der Unionsgesetzgeber habe also ausreichende Schutzvorkehrungen treffen müssen, um diese Gefahr zu minimieren. Nach Auffassung des Generalanwalts sind solche Vorkehrungen aber in Art. 17 der Richtlinie 2019/790 getroffen worden. Zum einen habe der Unionsgesetzgeber für Nutzer von Online-Sharing-Diensten das Recht begründet, zulässige Nutzungen der Schutzgegenstände vorzunehmen. Dazu gehöre auch das Recht, die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts in Anspruch zu nehmen. Die Anbieter dieser Dienste dürften, damit dieses Recht wirksam ist, nicht präventiv alle Inhalte sperren, die von den Rechteinhabern benannte Schutzgegenstände wiedergeben, einschließlich zulässiger Inhalte. Nach einer solchen präventiven Sperrung den Nutzern im Rahmen eines Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, ihre zulässigen Inhalte erneut hochzuladen, wäre nicht ausreichend.
Diensteanbieter müssen nur offenkundig unzulässige Inhalte sperren
Zum anderen habe der Unionsgesetzgeber betont, dass Art. 17 der Richtlinie 2019/790 den Anbietern von Sharing-Diensten keine Pflicht zur allgemeinen Überwachung auferlegen darf. Daher dürfen nach Auffassung des Generalanwalts diese Anbieter nicht zu Schiedsrichtern der Online-Rechtmäßigkeit gemacht werden, die komplizierte Fragen des Urheberrechts entscheiden müssen. Folglich müssten die Anbieter von Sharing-Diensten nur solche Inhalte ausfindig machen und sperren, die mit von den Rechteinhabern benannten Schutzgegenständen "identisch" sind oder diesen "entsprechen", das heiße Inhalte, deren Unzulässigkeit im Hinblick auf die von den Rechteinhabern bereitgestellten Informationen als offenkundig angesehen werden könne.
In zweifelhaften Situationen keine präventive Sperrung vorzunehmen
Dagegen dürften in allen zweifelhaften Situationen – bei kurzen Auszügen eines Werks, die in einen längeren Inhalt eingebaut seien, bei "transformativen" Werken et cetera –, in denen insbesondere die Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts berechtigterweise in Betracht kommen könnte, die betreffenden Inhalte nicht präventiv gesperrt werden. Die Gefahr eines "Overblocking" sei damit minimiert, so Saugmandsgaard Øe. Die Rechteinhaber müssten die Entfernung und Sperrung der betreffenden Inhalte mittels eines begründeten Hinweises beantragen oder sogar ein Gericht anrufen, damit dieses über die Zulässigkeit der Inhalte entscheidet und, falls sie unzulässig sein sollten, deren Entfernung und Sperrung anordnet.