Polen und Ungarn klagen gegen Rechtsstaatsmechanismus
Vor dem EuGH geht es um Nichtigkeitsklagen von Polen und Ungarn gegen den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus, der Ende 2020 mit der Verordnung (EU/Euratom) 2020/2092 "über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union" eingeführt wurde. Danach können Verstöße von Mitgliedstaaten gegen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit unter anderem mit einer Aussetzung oder Kürzung von EU-Haushaltsmitteln sanktioniert werden. Ungarn und Polen rügen unter anderem, dass die Verordnung keine oder eine unzureichende Rechtsgrundlage habe, dass sie mit Art. 7 EUV (Rechtsstaatsverfahren) unvereinbar sei und dass sie gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße.
EuGH-Generalanwalt: Ausreichende Rechtsgrundlage gegeben
Der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona sieht dies anders. Der Rechtsstaatsmechanismus habe als Haushaltsvorschrift eine ausreichende Rechtsgrundlage in Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV. Die Verordnung setze eine hinreichend unmittelbare Verbindung zwischen dem Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit und der Ausführung des Haushaltsplans voraus. Sie sei somit nicht bei allen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit anwendbar, sondern nur bei jenen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Haushaltsführung der Union stünden. Ferner sei der Schutz der Endbegünstigten der aus Haushaltsmitteln der Union finanzierten Ausgabenprogramme eine typische und logische Maßnahme bei der geteilten Verwaltung solcher Mittel, damit eine finanzielle Berichtigung durch die Unionsorgane den Mitgliedstaat treffe, der den Verstoß begangen habe, und nicht die Begünstigten, die nichts mit ihm zu tun hätten.
Regelung zum Rechtsstaatsverfahren steht Mechanismus nicht entgegen
Nach Ansicht von Sánchez-Bordona verstößt der Rechtsstaatsmechanismus auch nicht gegen Art. 7 EUV. Diese Bestimmung sperre andere Instrumente zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit nicht, sofern sich ihre wesentlichen Merkmale von denen des durch diesen Artikel gewährleisteten Schutzes unterschieden. Solche Unterschiede seien bei Rechtsstaatsverfahren und Rechtsstaatsmechanismus gegeben. Die Sanktionen seien bei den beiden Instrumenten an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft: Während Art. 7 EUV eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung der Werte der Union" voraussetze, erfordere die Auslösung des Rechtsstaatsmechanismus "Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die in einem Mitgliedstaat die wirtschaftliche Haushaltsführung der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen". Der Rechtsstaatsmechanismus ähnle anderen Instrumenten der finanziellen Konditionalität und der Haushaltsführung in verschiedenen Bereichen des Unionsrechts und nicht dem von Art. 7 EUV. Auch die Verfahren der beiden Instrumente unterschieden sich.
Begriff der Rechtsstaatlichkeit hinreichend präzisiert
Der Generalanwalt sieht auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit. Mit den in der Verordnung aufgezählten Rechtsgrundsätzen (Art. 2) und den Hinweisen auf Rechtsstaatlichkeitsverstöße in Art. 3 genüge die Beschreibung der Rechtsstaatlichkeit den Mindestanforderungen an Klarheit, Genauigkeit und Vorhersehbarkeit, die der Grundsatz der Rechtssicherheit aufstelle. Denn die Mitgliedstaaten verfügten über einen hinreichenden Kenntnisstand in Bezug auf die sich daraus ergebenden Verpflichtungen, zumal die meisten von ihnen in der EuGH-Rechtsprechung entwickelt worden seien.
Rechtsstaatsmechanismus auch verhältnismäßig
Der Rechtsstaatsmechanismus sei auch verhältnismäßig. Das Ermessen der Unionsorgane umfasse diese gesetzgeberische Option, die nicht als offensichtlich fehlerhaft eingestuft werden könne, da die Achtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit für das ordnungsgemäße Funktionieren der öffentlichen Finanzen und die korrekte Ausführung des Haushaltsplans der Union von grundlegender Bedeutung sein könne.