Gender Pay Gap: Anwältinnen verdienen immer noch weniger – fast überall
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Frauen verdienen nach wie vor weniger als Männer. Bis zum 6. März, dem diesjährigen Equal Pay Day, haben Frauen statistisch gesehen umsonst gearbeitet. Eine Welt, in der Frauen und Männer gleich viel Geld bekommen, ist auch in der Anwaltschaft noch Wunschdenken. Doch woran liegt das eigentlich? 

Kaum eine Zahl wird so häufig als Beleg für fehlende Gleichstellung in der Berufswelt herangezogen: 18% haben Frauen laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2023 pro Stunde weniger verdient als Männer, wenn man die Löhne im Durchschnitt gegenüberstellt. Verantwortlich dafür sind viele Faktoren, zum Beispiel die tatsächliche Arbeitszeit, die Berufswahl oder wieviel Personalverantwortung übernommen wird. Doch selbst bei ähnlicher Tätigkeit und Vita liegt der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap noch bei 6%.

Der Gehaltsunterschied in der Rechtsbranche ist verglichen mit diesen Zahlen noch deutlich größer. Viele Studien, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, kommen zu diesem Ergebnis, auch wenn die genauen Zahlen nicht immer ganz einheitlich sind. 

Nach einer im Jahr 2023 veröffentlichten Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung beträgt die Lücke, die zwischen den Gehältern von Männern und Frauen in der Rechts- und Steuerberatungsbranche klafft, rund 32%. 

Die von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) veröffentlichte STAR-Erhebung 2020 beleuchtet die Gehaltsunterschiede zwischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten im Detail. Anders als bei der Studie des WSI wurden ausschließlich in Vollzeit tätige Personen betrachtet. Selbstständige Anwälte setzten danach im bundesweiten Mittel 37% mehr um als ihre Kolleginnen (215.000 beziehungsweise 136.000 Euro); die Überschüsse lagen sogar um 40% höher (110.000 beziehungsweise 66.000 Euro). Angestellte Anwälte verdienten im untersuchten Jahr 18,2% mehr als Anwältinnen (77.000 beziehungsweise 63.000 Euro brutto). 

Warum Anwältinnen weniger Geld bekommen 

Die zitierten Umfragen verdeutlichen zwar, dass es nach wie vor große Unterschiede bei der Vergütung von Männern und Frauen gibt. Doch was bedeutet das? Weniger Lohn für gleiche Arbeit? Ist das tatsächlich die Formel der Diskriminierung? 

"Das Thema ist ziemlich komplex", sagt Matthias Kilian, Direktor des Instituts für Anwaltsrecht der Universität zu Köln und des Soldan Instituts. Vergleiche in einem stark segmentierten Markt wie dem Anwaltsmarkt seien naturgemäß problematisch, wenn sich Männer und Frauen in unterschiedlichen Teilsegmenten konzentrieren – etwa bei einer Betrachtung nach Kanzleitypen, Mandantenstruktur oder Rechtsgebieten. Direkte Gehaltsdiskriminierung, also eine Frau bekomme für denselben Job weniger Gehalt als ein männlicher Wettbewerber, etwa weil sie schlechter verhandele oder man als Arbeitgeber meine, auch mit einem niedrigeren Angebot zum Zuge zu kommen, möge es bisweilen geben, dies dürfte aber nicht das Kernproblem sein, so der Anwaltsforscher.

"Vielmehr sind Frauen besonders häufig in kleineren Kanzleien, in ertragsschwächeren Rechtsgebieten und für Verbraucher tätig und Männer in größeren Wirtschaftskanzleien für Unternehmen in überdurchschnittlich lukrativen Rechtsgebieten", sagt er. Das begründe zwangsläufig Gehaltsunterschiede. Die schwierig zu beantwortende Frage sei, ob diese unterschiedliche Verteilung der Geschlechter in starkem Maße schlicht auf Präferenzen beruhe – das niedrigere Gehalt also, wenn man so will, "selbstverschuldet" sei – oder nicht auch beziehungsweise primär ein Effekt von geschlechtsbedingter Benachteiligung sei. 

Dass Frauen beispielsweise überdurchschnittlich stark in Materien wie dem Familienrecht, Sozialrecht oder Medizinrecht tätig seien und weniger im Kartellrecht, Baurecht oder Gesellschaftsrecht, habe sicherlich auch mit Vorlieben zu tun. Nicht unterschätzen dürfe man aber auch, dass Tätigkeiten in solchen Rechtsgebieten häufig in Settings erbracht würden, in denen Frauen besser Rücksicht auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nehmen könnten. 

Gehaltsunterschiede nehmen bei Eltern spürbar zu

Anwältinnen berichteten in Studien deutlich häufiger als Anwälte von beruflichen Benachteiligungserfahrungen aufgrund privater Verpflichtungen. "Dies führt dazu, dass sie sich von vorneherein in Bereiche orientieren, wo das Risiko solcher Benachteiligungen geringer ist oder sie ‚flüchten‘ nach einigen Jahren mit negativen Erfahrungen aus einem problematischen Marktsegment in ein anderes Setting und nehmen hierfür Gehaltsnachteile in Kauf", sagt Kilian. Besonders auffällig sei insofern, dass der Gehaltsunterschied bei Anwältinnen und Anwälten, die Eltern sind, noch einmal spürbar zunehme.

Auch die STAR-Erhebung 2020 bestätigt, dass sich Anwältinnen überdurchschnittlich oft in weniger lukrativen Rechtsgebieten wie dem Familien- oder Sozialrecht finden. Eine große Rolle für den Verdienst spielt nach der Umfrage der BRAK auch die Kanzleigröße: Selbstständige setzen demnach in Einzelkanzleien 40% weniger um als in Sozietäten (158.000 beziehungsweise 265.000 Euro). Angestellte verdienten in Einzelkanzleien etwa 32% weniger als in Sozietäten (51.000 beziehungsweise 75.000 Euro brutto). Anwältinnen seien laut Studie weit überwiegend in Einzelkanzleien (73%) oder kleineren Kanzleien mit bis zu drei Berufsträgern tätig (17%). 

Damit lässt sich erklären, warum Anwältinnen in bestimmten Bereichen weniger verdienen als Anwälte. Aber warum bekommen auch Juristinnen in großen Kanzleien und Unternehmen weniger Geld? 

Diese Tatsache belegt beispielsweise eine am heutigen Mittwoch veröffentlichte Umfrage des Magazins azur zur Situation in Wirtschaftskanzleien.  Danach verdienen Anwältinnen im ersten Berufsjahr durchschnittlich 3.000 Euro weniger als Männer (116.000 beziehungsweise 119.000 Euro). Bis zum 11. Berufsjahr bekommen weibliche Associates laut Studie mit 146.000 Euro im Durchschnitt 11.000 Euro weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen – ein Gehaltsunterschied von etwa 8%.

Auch in Unternehmen verdienen Juristinnen durchschnittlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Erkenntnisse dazu liefert ein Gehaltsreport vom Personaldienstleister Hays und dem Deutschen Institut für Rechtsabteilungen und Unternehmensjuristen (diruj), über den Alexander Pradka in der Deutschen Richterzeitung (DRiZ) berichtete. Während sich Unternehmensjuristen ohne Personalverantwortung im Durchschnitt über 90.500 brutto Euro freuen durften, verdienten weibliche Inhouse-Counsel nach der Studie unter den gleichen Voraussetzungen durchschnittlich 78.100 Euro im Jahr, also etwa 16% weniger. Noch größer wird der Gender-Pay-Gap bei den General Counsel. Männer erhalten in dieser Berufsgruppe für ihre Dienste ein Gehalt von durchschnittlich 177.500 Euro, weibliche General Counsel verdienten nach der Umfrage im untersuchten Jahr 140.400 Euro und damit 26% weniger.

Kampf gegen die gläserne Decke 

Deutlich wird sowohl im Bereich von Wirtschaftskanzleien als auch bei Unternehmen eins: Der Gender Pay Gap wird in den oberen Hierarchieebenen größer. Denn Führungspositionen in Unternehmen und Kanzleien werden nach wie vor häufig mit Männern besetzt. So nimmt nach einer Studie des Branchenmagazins Juve und der London School of Economics (LSE) mit zunehmender Seniorität der Anteil weiblicher Anwälte ab: Sind unter den Associates noch etwa 40% weiblich, so liegt der Frauenanteil unter den Counsel bei 35% – in der Vollpartnerschaft sind es nur noch 16%.

Anwaltsforscher Kilian sieht die Gründe unter anderem auch in der Tatsache, dass Frauen häufiger (vollzeitnah) in Teilzeit arbeiteten und sich das mit dem klassischen Partnermodell vieler Kanzleien nicht vertrage. Auch im Rahmen der aktuellen Associate-Befragung von azur kritisieren Anwältinnen, dass Teilzeit ein Karriere-Aus bedeute und eine Teilzeitpartnerschaft bei vielen Arbeitgebern ein No-Go bleibe. Man habe früher immer von der gläsernen Decke gesprochen, sagt Rechtsanwältin und Notarin Silvia C. Groppler, Vorsitzende des Ausschusses Gender und Diversity im Deutschen Anwaltverein (DAV). Die habe sich verschoben. Frauen hätten mehr Möglichkeiten, aber eben immer noch nicht genug, wenn es um die Spitzenpositionen gehe. "Dass jemand, der in Teilzeit arbeitet, genauso anerkannt und gefördert wird wie jemand, der voll arbeitet, das findet bislang nur in wenigen Kanzleien statt", sagt Groppler.

Oft seien es immer noch die Frauen, die wegen der Betreuung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen beruflich kürzertreten. Ihnen bleibe häufig der Weg zur Partnerschaft versperrt, weil sie eben nicht die volle Zeit arbeiten können oder wollen. "Viele lassen sich dann doch lieber anstellen und das führt häufig zu einem niedrigeren Einkommen", sagt Groppler. Über das Thema Teilzeitpartnerschaft müsse deshalb weiterhin diskutiert werden. Wichtig sei ein Umfeld, in dem man als Frau das Gefühl habe, tatsächlich dieselben Chancen zu haben. 

Selbstverständlich ist ein solches Umfeld allerdings noch lange nicht: Das Karriereportal Talent Rocket hat Juristinnen und Juristen zum "gefühlten Gender Pay Gap" befragt: 70% der Befragten, die der Meinung sind, dass Männer mehr Gehalt bekommen, haben nicht das Gefühl, dass sich bei ihrem Arbeitgeber Veränderungen einstellen.

Redaktion beck-aktuell, Esther Wiemann, 6. März 2024.