Gegen Hass im Netz: Viele Ge­set­ze, wenig Geld?
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Nach den BMJ-Eck­punk­ten für ein Ge­setz gegen di­gi­ta­le Ge­walt hat nun Vol­ker Wis­sing den Ent­wurf für ein Di­gi­ta­le-Diens­te-Ge­setz vor­ge­legt, das Be­trei­ber stär­ker in die Pflicht neh­men soll. Doch Lösch­pflich­ten könn­ten künf­tig sogar ge­lo­ckert wer­den. Auch die För­der­gel­der für Ha­teAid wer­den ge­stri­chen.

In der ver­gan­ge­nen Woche hat der Bun­des­di­gi­tal­mi­nis­ter seine Pläne für das Di­gi­ta­le-Diens­te-Ge­setz (DDG) vor­ge­stellt. Es soll den Di­gi­tal Ser­vices Act (DSA) der EU um­set­zen, der ge­mein­sam mit dem Di­gi­tal Mar­kets Act (DMA) einen eu­ro­pa­weit ein­heit­li­chen Rechts­rah­men für An­bie­ter di­gi­ta­ler Diens­te schafft. In­ter­net­zu­gangs­diens­te wie die Te­le­kom, Such­ma­schi­nen, so­zia­le Netz­wer­ke und Han­dels­platt­for­men sol­len dazu bei­tra­gen, das Netz si­che­rer zu ma­chen. "Wir haben uns in Eu­ro­pa klare Re­geln ge­ge­ben, damit jeder Bür­ger si­cher und frei im Netz un­ter­wegs sein kann. Was off­line ver­bo­ten ist, muss es auch on­line sein", so Vol­ker Wis­sing (FDP) zum Re­fe­ren­ten­ent­wurf.

Die Be­stim­mun­gen des DSA für sehr große An­bie­ter mit über 45 Mil­lio­nen Nut­zern gel­ten be­reits und wer­den di­rekt von der EU-Kom­mis­si­on durch­ge­setzt. Die Re­geln für klei­ne­re Diens­te gel­ten ab Fe­bru­ar 2024. Bis dahin muss Deutsch­land seine na­tio­na­len Vor­schrif­ten auf Bun­des- und Län­der­ebe­ne an die neuen eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben an­pas­sen.

DSA und DDG lösen das NetzDG ab

Wis­sings Ge­setz­ent­wurf soll nun den Rechts­rah­men für di­gi­ta­le Diens­te in Deutsch­land mo­der­ni­sie­ren. Für Ha­te­speech be­trifft das auf Bun­des­ebe­ne vor allem das Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz (NetzDG), das durch den Re­ge­lungs­ent­wurf außer Kraft ge­setzt wird. Was bis­lang in sei­nen Be­reich fiel – etwa das Be­schwer­de­ver­fah­ren bei il­le­ga­len In­hal­ten –, soll künf­tig di­rekt durch den DSA und das DDG ge­re­gelt wer­den. Eine der bei Ein­füh­rung des NetzDG um­strit­tens­ten Re­ge­lun­gen war die Ver­pflich­tung der An­bie­ter, of­fen­sicht­lich rechts­wid­ri­ge In­hal­te wie Hass­re­de und For­mal­be­lei­di­gun­gen in­ner­halb von 24 Stun­den zu lö­schen. Im neuen Re­gel­werk ist eine sol­che Pflicht nicht vor­ge­se­hen. Könn­te es künf­tig also wie­der laxer zu­ge­hen im Netz?

"Es ist rich­tig, dass weder DSA noch DDG eine aus­drück­li­che Lösch­ver­pflich­tung mit vor­ge­ge­be­ner Frist ent­hal­ten wie das NetzDG", räumt ein Spre­cher des BMDV auf Nach­fra­ge von beck-ak­tu­ell ein. Statt­des­sen ent­hal­te das DSA einen neuen Ver­hal­tens­ko­dex für An­bie­ter di­gi­ta­ler In­hal­te. Diese seien ver­pflich­tet "zeit­nah, sorg­fäl­tig, frei von Will­kür und ob­jek­tiv über die ge­mel­de­ten In­for­ma­tio­nen" ent­schei­den. Au­ßer­dem ver­weist er auf die neuen Haf­tungs­re­geln: "Die Mel­dung eines rechts­wid­ri­gen In­halts löst in der Regel die Haf­tung des Hos­ting­diens­te­an­bie­ters aus, wenn er den Zu­gang hier­zu nicht zügig sperrt oder ent­fernt. Auch der Be­griff des rechts­wid­ri­gen In­halts ist künf­tig we­sent­lich wei­ter ge­fasst als im NetzDG.“

Bun­des­netz­agen­tur neue Platt­form­auf­sicht

Kom­men Be­trei­ber ihren Ver­pflich­tun­gen aus dem DSA nicht nach, indem sie ins­be­son­de­re keine Vor­keh­run­gen gegen rechts­wid­ri­ge In­hal­te tref­fen oder diese zu spät lö­schen, kön­nen Nut­zer das nach dem DDG künf­tig einer neuen Platt­form­auf­sicht mel­den. Zu­stän­dig ist künf­tig nicht mehr das Bun­des­amt für Jus­tiz, in der Bun­des­netz­agen­tur wird eine neue Ko­or­di­nie­rungs­stel­le für di­gi­ta­le Diens­te an­ge­sie­delt. Straf­ta­ten, die eine Ge­fahr für das Leben oder die Si­cher­heit einer Per­son oder von Per­so­nen dar­stel­len, sol­len in Zu­kunft dem Bun­des­kri­mi­nal­amt ge­mel­det wer­den.

Zudem sieht der Ent­wurf des DDG Buß- und Zwangs­gel­der für Ver­stö­ße gegen den DSA vor. Mit bis zu 6% ihres Jah­res­um­sat­zes sol­len Platt­form­be­trei­ber dem­nach sank­tio­niert wer­den.

Ge­setz gegen di­gi­ta­le Ge­walt soll recht­li­che Hür­den für Be­trof­fe­ne ab­bau­en

Dabei will die Bun­des­re­gie­rung es wohl nicht be­las­sen. Be­reits im April hatte das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um Eck­punk­te für ein Ge­setz gegen di­gi­ta­le Ge­walt vor­ge­legt. Zwei Ge­set­ze für die­sel­be Ma­te­rie?

"Das ge­plan­te Ge­setz gegen di­gi­ta­le Ge­walt ist eine Er­gän­zung und wird neben dem DSA an­wend­bar sein", er­klärt Ve­re­na Ha­isch. Es soll in ers­ter Linie die pri­va­ten Rech­te der Nut­ze­rin­nen und Nut­zer stär­ken und wolle, so die Me­di­en­recht­le­rin, für Opfer di­gi­ta­ler Ge­walt Hür­den bei der Durch­set­zung ihrer Rech­te ab­bau­en.

Vor­ge­se­hen ist ins­be­son­de­re ein pri­va­tes Aus­kunfts­ver­fah­ren. Bei einer of­fen­sicht­li­chen Rechts­ver­let­zung sol­len Be­trof­fe­ne in­ner­halb we­ni­ger Tage her­aus­fin­den kön­nen, wer diese In­hal­te ver­fasst hat. In allen an­de­ren Fäl­len sol­len die Ge­rich­te bin­nen we­ni­ger Tage nach Ein­lei­tung des Aus­kunfts­ver­fah­rens zu­min­dest eine Da­ten­spei­che­rung an­ord­nen kön­nen.

Au­ßer­dem sieht das Eck­punk­te­pa­pier einen An­spruch auf rich­ter­lich an­ge­ord­ne­te Ac­count­sper­ren vor, mit dem der Rechts­schutz gegen hart­nä­cki­ge Täter im Netz ver­bes­sert wer­den soll. Wer also immer wie­der von der­sel­ben Per­son ver­un­glimpft, dif­fa­miert oder be­droht wird, soll sich so wirk­sa­mer zur Wehr set­zen kön­nen.

För­de­rung für Ha­teAid wird nicht ver­län­gert

Recht­zei­ti­ge Um­set­zung des DSA und dar­über hin­aus noch ein Ge­setz gegen di­gi­ta­le Ge­walt in petto – Wäh­rend die Theo­rie der Ge­setz­ge­bung mus­ter­gül­tig zu lau­fen scheint, las­sen jüngs­te Spar­maß­nah­men der Bun­des­re­gie­rung an der prak­ti­schen Um­set­zung der heh­ren Pläne Zwei­fel auf­kom­men.

Von denen ist näm­lich auch die ge­mein­nüt­zi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on Ha­teAid be­trof­fen, wie diese kürz­lich auf ihrer In­ter­net­sei­te be­kannt­gab. Ha­teAid ist die grö­ß­te Be­ra­tungs­stel­le für Be­trof­fe­ne von On­line-Hass­re­de. Für ihre Ar­beit wurde sie vom Staat von 2020 bis 2022 mit 600.000 Euro pro Jahr ge­för­dert. 2023 wurde die För­de­rung noch ver­län­gert, ab 2024 soll sie Re­gie­rungs­an­ga­ben zu­fol­ge nun weg­fal­len, klagt Ha­teAid.

"Dass die För­de­rung der Be­trof­fe­nen­be­ra­tung durch Ha­teAid ge­stri­chen wer­den sol­len, ist ab­surd und kommt zur ab­so­lu­ten Un­zeit", fin­det Me­di­en­recht­le­rin Ha­isch. Das Pro­blem der di­gi­ta­len Ge­walt und Hetze im Netz sei so be­droh­lich wie nie zuvor. "Ge­ra­de Frau­en und mar­gi­na­li­sier­te Per­so­nen wie LGBT­QI-Mit­glie­der und Men­schen mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund wer­den zu­neh­mend und in be­son­ders schwer­wie­gen­der Art und Weise Opfer von Hass und di­gi­ta­ler Ge­walt. Mit die­sem Wis­sen und vor die­sem Hin­ter­grund die Un­ter­stüt­zung für die Be­ra­tung von Be­trof­fe­nen durch Ha­teAid zu strei­chen, die di­gi­tal, aber auch klas­sisch als Te­le­fon-Hot­line funk­tio­niert, sen­det das völ­lig fal­sche Si­gnal", so Ha­isch – zumal die Re­gie­rung in ihrem Ko­ali­ti­ons­ver­trag aus­drück­lich an­ge­kün­digt habe, "um­fas­sen­de Be­ra­tungs­an­ge­bo­te" be­reit­zu­stel­len. Sol­che aber sucht man jetzt ver­ge­bens – auch im DSA oder den Eck­punk­ten zum Ge­setz gegen di­gi­ta­le Ge­walt.

Wie die Bun­des­re­gie­rung das künf­tig be­werk­stel­li­gen will, scheint un­klar. Von staat­li­chen Be­ra­tungs­stel­len sei je­den­falls bis­lang nicht die Rede ge­we­sen, so Ha­isch. Wird auch der Schutz von Op­fern von Hass im Netz eines der zahl­rei­chen Vor­ha­ben der Ko­ali­ti­on, die ak­tu­ell am Geld schei­tern?

Kein Aus­tausch mehr zwi­schen Ha­teAid und dem BMJ

Auf An­fra­ge von beck-ak­tu­ell er­klär­te ein Spre­cher des BMJ, das Mi­nis­te­ri­um habe mit Ha­teAid "zu­letzt in einem engen Aus­tausch dazu ge­stan­den, wie die be­an­trag­te An­schluss­för­de­rung im Hin­blick auf die ver­än­der­ten ge­samt­haus­hal­te­ri­schen Um­stän­de or­ga­ni­siert wer­den kann". Davon un­ab­hän­gig blei­be das par­la­men­ta­ri­sche Ver­fah­ren für den Haus­halt 2024 ab­zu­war­ten.

"Den neuen Haus­halt wer­den Bun­des­tag und Bun­des­rat erst Ende des Jah­res be­schlie­ßen", so Ha­teAid-Ge­schäfts­füh­re­rin Anna-Lena von Ho­den­berg ge­gen­über beck-ak­tu­ell. "Busch­manns Haus­halts­ent­wurf sieht ab 2024 aber de­fi­ni­tiv keine Mit­tel mehr für un­se­re Or­ga­ni­sa­ti­on vor. Daher gibt es hier­zu auch kei­nen Aus­tausch mehr. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit ist jetzt, dass auf Wunsch des Par­la­ments wei­te­re Gel­der zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­den. An­ge­sichts der Haus­halts­la­ge, die auch die an­de­ren Mi­nis­te­ri­en trifft, ma­chen wir uns aber wenig Hoff­nung."

"Die Spar­maß­nah­men tref­fen das Herz­stück un­se­rer Ar­beit: die Be­trof­fe­nen­be­ra­tung", so von Ho­den­berg. "Ziel der Be­ra­tung von Ha­teAid ist es, dass Men­schen, die on­line Hass und Hetze er­fah­ren haben, nicht ver­stum­men, son­dern wei­ter­hin zum Dis­kurs und der öf­fent­li­chen Mei­nungs­bil­dung bei­tra­gen. Wir be­trach­ten dies als es­sen­zi­el­len Bei­trag zur Auf­recht­erhal­tung einer aus­ge­wo­ge­nen de­mo­kra­ti­schen De­bat­te. Hier zu spa­ren, heißt, die De­mo­kra­tie ka­putt­zu­spa­ren."

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 11. August 2023.

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