"Ge­fäng­nis­in­sel": Aus­tra­li­ens Co­ro­na-Po­li­tik und die Men­schen­rech­te

Das strik­te in­ter­na­tio­na­le Rei­se­ver­bot, das Aus­tra­li­en im März 2020 er­las­sen hat, um die Be­völ­ke­rung vor Co­ro­na zu schüt­zen, macht die Ein- und Aus­rei­se für die meis­ten Men­schen na­he­zu un­mög­lich. Kein de­mo­kra­ti­sches Land hat sich in der Co­ro­na-Krise so ab­ge­schot­tet wie Aus­tra­li­en. Zehn­tau­sen­de Staats­bür­ger sit­zen noch immer im Aus­land fest. An­de­re, die raus wol­len, sind quasi in Down Under ein­ge­sperrt. Wie ist das mit den Men­schen­rech­ten ver­ein­bar? 

Be­such tod­kran­ker Gro­ßmut­ter in Großbri­tan­ni­en

Jade Grant streicht ihrem ein­jäh­ri­gen Sohn Jacob über die Haare. Die Gro­ß­el­tern in Eng­land ken­nen ihren Enkel nur von Fotos und Vi­deo­an­ru­fen. Doch ge­ra­de jetzt könn­te eine echte Um­ar­mung nicht drin­gen­der sein: Ja­cobs Gro­ßmut­ter hat Lun­gen­krebs und wohl nur noch Mo­na­te zu leben. Aber die bri­ti­sche Fa­mi­lie mit drei Kin­dern, die vor fünf Jah­ren in die Stadt Gold Coast an der aus­tra­li­schen Ost­küs­te aus­ge­wan­dert ist, kann nicht aus­rei­sen, ohne ihr Leben – das sie sich müh­sam auf­ge­baut hat – kom­plett auf­zu­ge­ben.

Aus­rei­se­ge­neh­mi­gun­gen nur in Aus­nah­me­fäl­len

Seit Juni dür­fen nur noch 3.085 Men­schen pro Woche ins Land, davor waren es im­mer­hin noch 6.070. Wer einen be­son­ders trif­ti­gen Grund hat, kann eine Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung beim aus­tra­li­schen Grenz­schutz be­an­tra­gen. Tod­kran­ke Fa­mi­li­en­mit­glie­der, Be­er­di­gun­gen und dring­li­che ge­schäft­li­che Ver­pflich­tun­gen im Aus­land zäh­len zu die­sen Grün­den.

Aus­rei­se mög­lich – Wie­der­ein­rei­se nicht

"Ich bin davon aus­ge­gan­gen, dass ich auf jeden Fall diese Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung be­kom­me", sagt Grant (32) ge­gen­über der Deut­schen Pres­se-Agen­tur. Drei An­trä­ge sind aber be­reits ab­ge­lehnt wor­den, der vier­te läuft. Die Grants sind mit einem tem­po­rä­ren Visum in Down Under, im kom­men­den Jahr wol­len sie die Staats­bür­ger­schaft be­an­tra­gen. Rob Grant ist Tisch­ler – Hand­wer­ker wer­den in Aus­tra­li­en hän­de­rin­gend ge­sucht. Theo­re­tisch kann die Fa­mi­lie auch – an­ders als Staats­bür­ger und Men­schen mit Wohn­sitz – aus­rei­sen. Aber ohne Son­der­er­laub­nis kommt sie da­nach nicht wie­der ins Land. Und diese wird ein­fach nicht er­teilt. Die Si­tua­ti­on sei un­er­träg­lich, sagt Grant. "Das Thema be­stimmt unser ge­sam­tes Leben, wir kön­nen an nichts an­de­res mehr den­ken. Es ist ein täg­li­cher Kampf."

Unmut bei Be­trof­fe­nen wächst

Kein an­de­rer de­mo­kra­ti­scher Staat hat seine Gren­zen in der Co­ro­na-Pan­de­mie so lange und so strikt ge­schlos­sen. Me­di­en spre­chen re­gel­mä­ßig von der "Fes­tung Aus­tra­li­en". In so­zia­len Netz­wer­ken ver­glei­chen wü­ten­de Bür­ger das Land sogar schon mit der Ge­fäng­nis­ko­lo­nie, die es einst war. "Wenn ich mir vor­stel­le, dass je­mand in einem Land ein­ge­sperrt ist, dann klingt das für mich nach einem un­de­mo­kra­ti­schen, to­ta­li­tä­ren Sys­tem", sagt Kim Ru­ben­stein, Rechts­pro­fes­so­rin an der Aus­tra­li­an Na­tio­nal Uni­ver­si­ty (ANU). Der Unmut bei den Be­trof­fe­nen wächst. Auch Rechts­ex­per­ten und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen stel­len zu­neh­mend die Le­ga­li­tät des bald 18 Mo­na­te an­dau­ern­den Rei­se­ver­bots in­fra­ge.

Leute gegen ihren Wil­len fest­ge­hal­ten

"Wir wur­den gegen un­se­ren Wil­len hier fest­ge­hal­ten", er­zählt etwa Shaa­lyn Mon­tei­ro, eine in­di­sche Künst­le­rin, die mit ihrem Mann knapp fünf Jahre in Syd­ney lebte und im Sep­tem­ber das Land für immer ver­las­sen will. "Wir möch­ten bei un­se­rer Fa­mi­lie sein und nicht mehr zu­rück­kom­men. Das haben wir auch in un­se­rer Be­wer­bung be­legt. In­wie­fern ge­fähr­den wir die Ge­sund­heit von Aus­tra­li­ern, wenn wir gar nicht hier sind?" Eine Frage, die vom Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um in Can­ber­ra auf Nach­fra­ge der dpa nicht be­ant­wor­tet wurde. Nach immer neuen ge­schei­ter­ten Be­wer­bun­gen schafft es das Paar dann schlie­ß­lich doch noch, die Ge­neh­mi­gung zu be­kom­men.

Bio Se­cu­ri­ty Act ist Rechts­grund­la­ge

Die recht­li­che Grund­la­ge für das in­ter­na­tio­na­le Rei­se­ver­bot ist der Bio Se­cu­ri­ty Act von 2015. Im In­ter­es­se der öf­fent­li­chen Ge­sund­heit darf die Re­gie­rung Frei­hei­ten ihrer Bür­ger be­schrän­ken – wie in die­sem Fall die Be­we­gungs­frei­heit, die aber auch ein Men­schen­recht ist. "Der Rah­men, in dem das Rei­se­ver­bot ver­hängt wurde, scheint mir nicht recht­mä­ßig zu sein. Das Bio Se­cu­ri­ty Ge­setz ent­hält For­mu­lie­run­gen, die denen der Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on äh­neln und be­sa­gen, dass alle Maß­nah­men zu­mut­bar und an­ge­mes­sen sein müs­sen", sagt Ru­ben­stein. Aber sind Aus­tra­li­ens Re­geln das noch?

Ho­tel­qua­ran­tä­ne sehr teuer

Men­schen­recht­ler und Kri­ti­ker des Rei­se­ver­bots for­dern jetzt zu­min­dest den Bau von spe­zi­el­len Qua­ran­tä­ne-Ein­rich­tun­gen, um so eine si­che­re Ein- und Aus­rei­se für mehr Men­schen zu er­mög­li­chen. Bis­lang muss jeder – ob ge­impft oder un­ge­impft – 14 Tage in Ho­tel­qua­ran­tä­ne, die etwa 3.000 aus­tra­li­sche Dol­lar (rund 1.800 Euro) pro Per­son kos­tet und selbst ge­zahlt wer­den muss. "Eine In­ves­ti­ti­on in spe­zi­el­le Ein­rich­tun­gen würde be­deu­ten, dass wir mehr Aus­tra­li­er schnel­ler nach Hause brin­gen kön­nen", sagt Tim O'Con­nor von Am­nes­ty In­ter­na­tio­nal Aus­tra­lia. Viele war­ten seit Be­ginn der Pan­de­mie dar­auf.

Rück­kehr er­for­dert Geld und Ge­duld

Nach ak­tu­el­len An­ga­ben des aus­tra­li­schen Au­ßen­mi­nis­te­ri­ums geben etwa 40.000 Aus­tra­li­er im Aus­land an, in ihre Hei­mat zu­rück­keh­ren zu wol­len. Be­trof­fe­ne be­rich­ten von immer wie­der stor­nier­ten Flü­gen und Ti­cket­prei­sen, die bis zu zehn­mal so hoch sind wie unter nor­ma­len Um­stän­den. Viele kön­nen sich die Rück­kehr ein­fach nicht leis­ten. Auch Chris­ti­an, ein aus­tra­li­scher Dreh­buch­au­tor, saß lange in den USA fest. Nur mit viel Ge­duld und Geld schaff­te er es zu­rück nach Syd­ney. "Jeder Aus­tra­li­er, der im Aus­land lebt und nach Hause kom­men möch­te, soll­te so­wohl Hilfe als auch die Er­laub­nis dafür be­kom­men", sagt er. "Jede Po­li­tik, die an­ders agiert, ist ver­ab­scheu­ungs­wür­dig."

Aus­rei­se­re­ge­lung noch ein­mal ver­schärft

Für Aus­tra­li­er, die ge­wöhn­lich im Aus­land leben und etwa aus drin­gen­den fa­mi­liä­ren Grün­den zu­rück­kom­men müs­sen, wur­den aber jetzt die Aus­rei­se­re­ge­lun­gen sogar noch ein­mal ver­schärft: Sie dür­fen nach dem Be­such nicht mehr au­to­ma­tisch in ihre ei­gent­li­chen Wohn­or­te aus­rei­sen und müs­sen dafür eben­falls eine Son­der­ge­neh­mi­gung be­an­tra­gen. Am­nes­ty schrieb in einem Brief an Pre­mier Scott Mor­ri­son, dies sei nicht nur eine Ver­let­zung der Men­schen­rech­te, son­dern könn­te auch als Ver­stoß gegen die aus­tra­li­sche Ver­fas­sung ge­se­hen wer­den.

Noch immer we­ni­ger als 1.000 Co­ro­na-Tote

Aus­tra­li­ens Iso­la­ti­ons­stra­te­gie hat lange Wir­kung ge­zeigt, noch immer liegt die Zahl der To­des­op­fer im Zu­sam­men­hang mit Covid-19 bei unter 1.000. Aber seit Mo­na­ten brei­tet sich die Delta-Va­ri­an­te aus. Immer häu­fi­ger wer­den für ganze Re­gio­nen und Mil­lio­nen­me­tro­po­len kurz­fris­tig Lock­downs an­ge­ord­net – manch­mal für eine Woche, manch­mal – wie der­zeit im Fall von Syd­ney - für Mo­na­te.

Öff­nung für Juli 2022 in Aus­sicht ge­stellt

Aus­tra­li­ens Nach­bar Neu­see­land hat vor kur­zem an­ge­kün­digt, seine Gren­zen An­fang 2022 wie­der schritt­wei­se zu öff­nen. Die aus­tra­li­sche Re­gie­rung hat eine Öff­nung des Lan­des zu­letzt für Juli 2022 in Aus­sicht ge­stellt. Für Jade Grant und viele an­de­re, die unter der Ent­fer­nung zu Fa­mi­lie und Freun­den lei­den, ist das zu spät.

Redaktion beck-aktuell, Michelle Ostwald und Carola Frentzen, 18. August 2021 (dpa).

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