Happy Birthday, BGH! 75 Jahre "wir sehen uns in Karlsruhe"
Picture Alliance/Daniel Kalker

Am 1. Oktober 1950 entstand der BGH als oberstes deutsches Zivil- und Strafgericht. Damit ist das Gericht in Karlsruhe sogar älter als das BVerfG – und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Wir gratulieren zum 75-jährigen Bestehen.

Wer als Anwalt oder Richterin morgens seinen Kaffee schlürft, tut das gar nicht so selten aus einer Tasse mit der schönen Aufschrift "BGH sagt nein". Auch T-Shirts lassen sich mit diesem Spruch im Internet käuflich erwerben. Ebenfalls im Angebot: "Es kommt darauf an" und "Law is in the Air". Man kann also zu Recht behaupten, dass der BGH in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist – und von Juristinnen und Juristen innig geliebt wird. Die Domain bgh.de konnte sich das Gericht hingegen nicht sichern. Die gehört einem Unternehmen für Werkzeugstähle "made in Germany".

"Made in Germany" ist der BGH allerdings auch – und eine echte Erfolgsgeschichte der deutschen Justiz. Doch wie kam er eigentlich nach Karlsruhe? Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Leipzig, wo das Reichsgericht seinen Sitz hatte, als Gerichtsstandort nicht mehr zur Verfügung, weil es in der DDR lag. Man schaute sich also nach einem neuen Standort um – hierfür warfen insgesamt elf Städte ihre Bewerbung in den Ring. Lange galt Köln als Favorit. Der Grund: Hier hatte die Vorgängerinstitution, der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone, ihren Sitz. Außerdem hatte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer persönlich für diesen Standort ausgesprochen.

Warum Karlsruhe?

Doch am Ende entschied man sich für das erbgroßherzogliche Palais in Karlsruhe. Dafür hatte unter anderem der damalige Justizminister Thomas Dehler (FDP) geworben. Die Standortwahl hatte aber auch pragmatische Gründe, sagt Detlev Fischer, ehemaliger BGH-Richter und Leiter des Rechtshistorischen Museums im Bibliotheksgebäude des Gerichts. Der neue Standort sollte eine ähnliche kulturelle Bedeutung wie Leipzig mitbringen und genügend Wohnraum für die Richterschaft bieten. Für die neuen Richterinnen und Richter wurden dann auch immerhin 80 bezugsfertige Wohnungen freigehalten.

Bei der Eröffnung des Gerichts vor 75 Jahren waren jedoch zunächst nur zwölf der 53 vorgesehenen Richterstellen besetzt. An der Personalie gab es auch Kritik. Da der BGH der offizielle Nachfolger des Reichsgerichts ist, gehörten ihm viele frühere NS-Richter an. Rund 40% von ihnen seien Mitglieder der NSDAP gewesen, sagt Fischer. Auch an der Aufarbeitung der NS-Justiz ist der BGH nach Ansicht vieler Historikerinnen und Historiker gescheitert. So wurde beispielsweise kein einziger Richter, der an Todesurteilen beteiligt war, später zur Rechenschaft gezogen. 

Eine beliebte Frage für die mündliche Prüfung im Staatsexamen: Sitzt wirklich der gesamte BGH in Karlsruhe? Nein, zwei von unbeugsamen Richterinnen und Richtern bevölkerte Senate leisten Widerstand und harren in Leipzig aus. Die Rede ist vom 5. Strafsenat, der nach seiner Errichtung zunächst in Berlin saß und seit 1997 in Leipzig zu finden ist. Seit 2020 sitzt dort auch der neu errichtete 6. Strafsenat. Der ebenfalls beliebte Tassen-Spruch "wir sehen uns in Karlsruhe" ist also nur bedingt richtig – zumindest für Strafrechtler.

Über 150 Richterinnen und Richter

Heute arbeiten am BGH über 150 Richterinnen und Richter in 13 Zivilsenaten und sechs Strafsenaten. Damit ist der BGH deutlich größer als beispielsweise das BVerfG – mit Sitz ebenfalls in Karlsruhe –, an dem lediglich 16 Richterinnen und Richter in zwei Senaten arbeiten. Als letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren steht der BGH an der Spitze der Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte. Er sorgt dafür, dass die geltenden Gesetze in der ganzen BRD einheitlich ausgelegt werden.

Doch wie wird man eigentlich BGH-Richterin oder BGH-Richter? Darüber entscheidet der Richterwahlausschuss. Das Gremium besteht aus den 16 Landesjustizministerinnen und Landesjustizministern sowie 16 weiteren, vom Deutschen Bundestag gewählten Mitgliedern. Gewählt werden kann theoretisch jeder Deutsche ab 35 Jahren, der die Befähigung zum Richteramt besitzt. Neben fachlicher und persönlicher Qualifikation spielt laut BGH auch die föderale Zugehörigkeit eine Rolle, da alle Bundesländer nach ihrer Bevölkerungszahl in den Bundesgerichten vertreten sein sollen. Auch Jurastudierende können – während sie ihren Kaffee aus einer passenden Motto-Tasse schlürfen – also durchaus von dieser Karriere träumen. "Shoot for the Stars, Aim for the BGH!"

Einfacher gelingt der Weg nach Karlsruhe jedoch als Anwältin oder Anwalt. Für Strafverfahren gibt es am BGH keine gesonderte Anwaltschaft. In Zivilsachen dürfen die Parteien hingegen nur durch speziell beim BGH zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vertreten werden – von denen gibt es momentan 43*. Ein spezieller Wahlausschuss benennt die Kandidatinnen und Kandidaten, über die anschließend das Bundesjustizministerium entscheidet. Die Aufgaben der Staatsanwaltschaft übernimmt am BGH der Generalbundesanwalt.

Was haben Jungbullen, Fräsmaschinen und Milupa gemeinsam?

Die Arbeit geht den BGH-Richterinnen und BGH-Richtern jedenfalls so schnell nicht aus. Als Revisionsgericht entschied der BGH 2024 über 4.114 Strafsachen und 5.867 Zivilsachen. Besonders prägende Entscheidungen erkennt man dabei häufig daran, dass sich ein einheitlicher Name für den Fall im kollektiven Bewusstsein eingeprägt hat.

Für diverse Traumata im Jurastudium sorgt beispielsweise regelmäßig der Jungbullenfall, bei dem der BGH anhand eines gestohlenen Jungbullen darlegte, inwiefern ein Dritter, der den Jungbullen gutgläubig zu Fleisch verarbeitete, dem ursprünglichen Eigentümer Wertersatz schuldet. Fast ebenso unbeliebt: Der Schwimmschalterfall zum Weiterfressermangel, der Fräsmaschinenfall zu den Grenzen des Eigentumsvorbehalts, das Milupa-Urteil zur Produzentenhaftung, der Lotteriefall zum Rechtsbindungswillen sowie der Flugreisefall zum Minderjährigenrecht.

Das Strafrecht kommt in BGH-Entscheidungen hingegen oft unfreiwillig komisch daher – und das, obwohl hinter vielen Fällen tragische, menschliche Schicksale stehen. Den Preis für die absurdesten Sachverhalte räumen dabei bis heute die Sirius-Entscheidung und das Katzenkönig-Urteil ab. Letzteres bleibt vielen Juristinnen und Juristen vor allem aufgrund des darin geschilderten, durch "Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben" geprägten, "neurotischen Beziehungsgeflechts" im Gedächtnis. Die Identifikation mit dem Katzenkönig-Urteil ist sogar so ausgeprägt, dass das Anwaltsblatt sein "Magazin für alle Jurakrisen" danach benannte. Aber auch der Hoferbenfall zur Auswirkung des error in persona, der Jauchegrubenfall zum dolus generalis und der Blutrauschfall zur Schuldunfähigkeit bleiben noch lange nach dem Abschluss der juristischen Ausbildung prägend in Erinnerung.

Der 75. Geburtstag des BGH ist jedenfalls ein schöner Anlass, um über einen Besuch in den hohen Hallen in Karlsruhe nachzudenken. Wer das nicht sowieso als Anwältin oder Anwalt regelmäßig tut, kann sich beim Besuchsdienst für den Besuch einer Verhandlung anmelden. Der BGH bietet zudem Führungen für Besuchergruppen an. Und wer weiß: Vielleicht gibt es zum 100-jährigen Jubiläum sogar ganz offizielles Merchandise – "BGH approved!" Wir hätten da ein paar Ideen.

*Anm. d. Red.: Anzahl korrigiert am 02.10.2025, 09.50 Uhr, jss

Redaktion beck-aktuell, Dr. Jannina Schäffer, 1. Oktober 2025 (ergänzt durch Material der dpa).

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