Geburstagsfeier im Schatten des Ukraine-Kriegs
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Ein Geburtstag mit traurigem Hintergrund: Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ist 20 Jahre alt geworden. Vor dem Hintergrund des Überfalls Russlands auf die Ukraine erwägt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) eine Ausweitung des Regelwerks. Von Rechtswissenschaftlern gibt es dafür nachdrückliche Unterstützung.

Kiews oberster Strafverfolger berichtet

Andrij Kostin, der Generalstaatsanwalt der Ukraine, wirkt ähnlich locker wie sein oberster Chef, der Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj. Ernst, aber im kurzärmeligen T-Shirt mit Rangabzeichen sitzt er am Schreibtisch und spricht in gutem Englisch zu den deutschen Juristen, die im Gustav-Heinemann-Saal des Bundesjustizministeriums versammelt sind. Den anschließenden Applaus des Publikums kann er nicht hören – die Videobotschaft war zuvor aufgezeichnet worden. Aber seine rund viertelstündige Schilderung geht unter die Haut: Die Liste der Tatbestände, wegen derer er mit seinen Leuten ermittelt, ist schier endlos. Morde, Deportationen, Vergewaltigungen... 8.000 zivile Tote hat er registriert, darunter 400 Kinder; die wirklichen Zahlen dürften weit höher liegen. Die Untersuchungen gestalten sich schwierig – der Zugang zu den Tatorten in den von Putin annektierten Gebieten ist begrenzt, Beweismittel sind verschwunden, und manche Opfer und Zeugen sind von den russischen Angreifern und Besatzern verschleppt worden. Immerhin hat Kostin bereits 47 Anklagen und zehn Verurteilungen erreicht.

Hoffnung auf ein Sondertribunal

Auch hat er, wie er sagt, ein beispielhaftes Verfahren wegen Völkermordes sowie vier weitere wegen Anstiftung dazu eingeleitet. Dankbar zeigt sich Kiews oberster Ankläger für die Zusammenarbeit mit deutschen und anderen europäischen Strafverfolgern sowie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH; in Fachdiskussionen auch geläufig als International Criminal Court, ICC), mit denen sein Team Erkenntnisse austauscht. "Wir arbeiten Hand in Hand." Sein ehrgeizigstes Ziel: Der Nachweis eines Tatplans auf höheren Hierarchieebenen in Moskau. Und sein größter Wunsch: Ein Sondertribunal, denn der Weltstrafgerichtshof mit Sitz in Den Haag ist nur für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuständig, aber nicht für das Verbrechen der Aggression. Russland erkennt den IStGH ohnehin nicht an.

Auswärtiges Amt zögert

Auch das Europaparlament hat diese Forderung kürzlich aufgestellt. Die Bundesregierung hält sich noch zurück: Ein Vertreter des Auswärtigen Amts, der eigentlich als Zuhörer gekommen war, berichtete auf der Veranstaltung, man stehe "im internationalen Dialog" darüber. Der deutschen Regierung sei eine breite Zustimmung wichtig. Die Befürchtung dahinter: Der "globale Süden" könnte sich benachteiligt fühlen, weil es in anderen Fällen nicht zur Einrichtung einer solchen Instanz gekommen sei. Auch die Freiburger Juraprofessorin Paulina Starski bedauerte, dass am IStGH nur Anklagen wegen jener drei Tatbestände möglich seien, nicht jedoch wegen des Angriffskriegs als solchem: "Putin und seine Riege wird man nicht belangen können." Ihre Überlegung: Vielleicht könnte der UN-Generalsekretär (von der Generalversammlung hierzu im Rahmen einer Resolution legitimiert) diesbezüglich einen Vertrag mit einem Staat schließen und die Ukraine dem dort dann sitzenden Sondertribunal die Zuständigkeit zur Strafverfolgung übertragen.

Reformen des VStGB gefordert

Der Kölner Strafrechtslehrer Claus Kress regte anlässlich des VStGB-Geburtstags Reformen an. So solle das Verfahren um die Möglichkeit einer Nebenklage ergänzt und das Weisungsrecht des Bundesjustizministers über den Generalbundesanwalt gestrichen werden – "das würde ein vorbildliches Zeichen setzen". Ressortchef Buschmann dazu: "Wir werden über die Nebenklagefähigkeit zu reden haben." Zudem zeigte er sich optimistisch, dass es auch Strafverfahren gegen ranghohe Vertreter der russischen Machthaber geben werde. Wenn sie in die EU kämen, werde man sie verhaften. Alsbald musste der Minister allerdings die Abendveranstaltung verlassen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte mit ihm die heutige Kabinettssitzung vorbereiten.

Schwierige Ermittlungen am Tatort

Lars Otte, ständiger Vertreter von Generalbundesanwalt Peter Frank, befand ebenfalls: "Über eine Stärkung der Opferbeteiligung sollte man nachdenken." Das Weisungsrecht hingegen sei "immer ein heikles Thema". Seine Behörde, um neue Stellen aufgestockt, führt längst sogenannte Strukturermittlungen zum Überfall auf die Ukraine – und er berichtete von den Schwierigkeiten dabei. Rechtsmedizin bedeute die Exhumierung von Massengräbern und die Identifizierung von Leichen unter schwierigen Umständen. Aber auch unter den Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, würden Aussagen aufgenommen, "solange die Erinnerungen noch frisch sind". Otte räumte ein: "Im Moment sammeln wir in erster Linie Beweise für die vor Ort begangenen Taten." Erkenntnisse über Befehlsketten erhalte man immerhin über einige Sicherheitsbehörden, deutete er unter leisem Lachen der Zuhörer an. Am Ende könnten Haftbefehle und eine Fahndung via Interpol stehen. Wobei der Bundesanwalt erklärtermaßen nichts dagegen hätte, wenn Angeklagten bei Auslandsreisen nicht bewusst sei, welche Länder zu einer Auslieferung bereit seien.

Erinnerung an den IS

Den Blick auf das Thema weitete die Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Düzen Tekkal, eine in Hannover aufgewachsene jesidische Kurdin. So hat sie einen Film über Frauen gedreht, die von der Terrororganisation IS im Irak malträtiert und deren Männer dort ermordet wurden. Sie zeigte sich begeistert und berührt, dass Deutschland das Weltrechtsprinzip auch zugunsten ihrer eigenen Religionsgemeinschaft angewandt habe. In Frankfurt am Main hat Tekkal sich selbst die Verlesung der Anklageschrift gegen einen Iraker angehört: Er soll seine Frau – eine Deutsche – versklavt und die kleine Tochter bei sengender Hitze verdurstet lassen haben. Die Richter sprachen ihn schließlich des Völkermordes und eines Kriegsverbrechens mit Todesfolge schuldig. "Es darf keinen Safe Haven geben!" Und: "Wir haben damals den Terror exportiert", gab sie hinsichtlich der Mutter, die sich in den Jihad begeben hatte, zu bedenken. Aktuell seien die aus dem Iran geflohenen Menschen in der Diaspora in Deutschland wieder von Verfolgung betroffen: Gerade erst, erinnerte sie, gab es einen Angriff offenbar von Diplomaten des Mullah-Regimes auf hiesige Protestierer.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn, Mitglied der NJW-Schriftleitung, 2. November 2022.