Die diesjährige Future-Ready-Lawyer-Studie legt den Fokus auf den Umgang mit generativer künstlicher Intelligenz (KI) in Kanzleien und Rechtsabteilungen. Die vom Fachverlag Wolters Kluwer jährlich durchgeführte Umfrage unter mehr als 700 Juristinnen und Juristen aus den USA und verschiedenen europäischen Staaten bildet Trends im Rechtsmarkt ab und liefert Erkenntnisse über die Arbeitsweise "zukunftsfähiger" Anwältinnen und Anwälte. In diesem Jahr wurde sie vom 6. Mai bis zum 28. Mai 2024 online durchgeführt.
Die sechste Ausgabe von 2024 dreht sich um den Einsatz von KI, aber auch um steigenden Kosten- und Preisdruck, die zunehmenden Herausforderungen des Informationssicherheitsmanagements sowie die Herausforderung, juristische Fachkräfte zu finden und zu binden.
GenAI – wo wird sie bereits eingesetzt?
Generative KI sei nicht mehr nur eine Option, sondern gelebte Praxis in vielen Kanzleien und Rechtsabteilungen, lautet die zentrale Aussage der Studienleitung. Demnach gaben 76% der Rechtsabteilungen an, generative KI mindestens einmal pro Woche zu nutzen, bei den Kanzleien waren es immerhin 68%. Besonders die Bereiche Recherche sowie Analyse und Automatisierung von Dokumenten wurden als Haupteinsatzgebiet für die KI angegeben. Viele nannten aber auch die strategische Planung von Zielen und Aufgaben sowie Trainings- und Weiterbildungszwecke.
Aus der Umfrage wird deutlich, dass die Befragten generative KI nicht nur deshalb nutzen, weil sie sich davon Effizienzgewinne und eine höhere Produktivität erhoffen. Vielmehr verwenden sie KI auch, um wettbewerbsfähig zu bleiben und weil Kundinnen und Kunden bzw. die Mandantschaft den Einsatz von KI zunehmend forderten. So überrascht es nicht, dass nur 18% der Expertinnen und Experten in Kanzleien und 8% in Rechtsabteilungen angaben, gar nicht mit KI zu arbeiten. Die übrigen nutzen die Technologie, wenn auch nicht wöchentlich, so doch regelmäßig.
Dabei geht der Trend bei der KI-Nutzung in Richtung "mehr ist mehr": Gut die Hälfte der Kanzleien (58%) und fast drei Viertel der Rechtsabteilungen (73%) planen, ihre Investitionen in KI in den nächsten drei Jahren deutlich zu erhöhen, einerseits, um zunehmend komplexe rechtliche Herausforderungen zu bewältigen, andererseits, um den wachsenden Anforderungen der Mandantinnen und Mandanten gerecht zu werden.
Herausforderungen für die Zukunft sehen die Befragten hauptsächlich bei ethischen Fragen und bei der Vertrauenswürdigkeit von KI. Viele nannten auch Bedenken in Bezug auf Datenschutz.
GenAI verändert die juristische Tätigkeit: Das Ende der Billable Hours?
Die überwiegende Mehrheit der Befragten erwartet, dass generative KI die traditionellen juristischen Geschäftsmodelle nachhaltig verändern wird. Als eines der am meisten diskutierten Themen weist die Studie in diesem Zusammenhang die Auswirkung von KI auf die abrechenbare Stunde (im Branchen-Jargon "Billable Hour") aus. 96% der Befragten glauben, dass KI-bedingte Effizienzsteigerung einen gewissen Einfluss auf die Verbreitung der abrechenbaren Stunde haben wird, viele sind sogar von tiefgreifenden Änderungen überzeugt. Etwa 60% sind sich sicher, wegen KI künftig nicht mehr so viele Stunden abrechnen zu können. Als alternative Modelle zur Billable Hour wurden etwa Pauschalhonorare, Abonnementdienste oder wertabhängige Abrechnung genannt.
Auf den KI-induzierten Wandel fühlen sich zwar noch nicht alle, aber doch ein guter Teil der Befragten ausreichend vorbereitet. 56% gaben an, ihre Geschäftspraktiken, Dienstleistungsangebote, Arbeitsabläufe und Preismodelle anzupassen, bzw. gut anpassen zu können.
Die Studie zeigt aber noch eine weitere Veränderung, nämlich einen Trend, bestimmte juristische Aufgaben an Dienstleister auszulagern, sogenannte Alternative Legal Service Provider (ALSP). So plant mehr als die Hälfte (57%) der Befragten, die Automatisierung von Dokumenten auszulagern, 49% wollen eine Umverteilung von juristischen Recherche- und Analyseaufgaben und 48% wollen ALSP für die Erstellung und Prüfung von Verträgen einsetzen.
Fachkräfte-Gewinnung: Arbeitgeber fordern Technologie-Kenntnisse
Qualifizierten juristischen Nachwuchs für ihre Kanzlei oder Rechtsabteilung zu finden, hielt die große Mehrheit der Befragten für eine zentrale Herausforderung der kommenden Jahre. Im Rahmen der Umfrage zeigte sich, auf welche Art und Weise sie dieser Herausforderung begegnen wollen: So waren 81% der Meinung, dass eine akzeptable Work-Life-Balance der wichtigste Faktor ist, um Fachkräfte zu gewinnen. 72% der Befragten hielten darüber hinaus die Förderung von Vielfalt und Integration im Arbeitsumfeld für wichtig. Weiterhin gaben die Juristinnen und Juristen an, auf wettbewerbsfähige Vergütung, Schulungen und Investitionen in neue Technologien zu setzen. Interessanterweise waren mehr als 80% der Befragten der Ansicht, ihre Organisation schneide bei all diesen Faktoren bereits sehr gut ab.
Doch auch die Anforderungen an juristische Talente hat sich etwas verschoben: Scheinbar reicht es nicht mehr aus, wenn Kandidatinnen und Kandidaten mit guten Examensnoten und einem überzeugenden Lebenslauf auftrumpfen. Mit 72% gaben fast drei Viertel der Befragten an, dass Bewerber unbedingt technologisches Fachwissen mitbringen sollten. Der Vormarsch generativer KI im Rechtsmarkt bringe für Kanzleien bereits jetzt die Notwendigkeit, eine neue Generation von technisch versierten Fachkräften einzustellen.
ESG: Die Mandantschaft übt Druck aus
Das Thema environmental, social, and governance (ESG) beschäftigt Kanzleien und insbesondere Rechtsabteilung gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sind sie dafür verantwortlich, wachsende ESG-Vorgaben und -Standards in ihrer Organisation einzuhalten. Zum anderen treten Mandantinnen und Mandanten zunehmend mit rechtlichen Fragen rund um das Thema ESG an sie heran. Die Nachfrage nach ESG-Dienstleistungen ist erheblich gestiegen. Hinzu kommt, dass auch die Mandantschaft zunehmend Wert darauf legt, dass Kanzleien ESG-Standards erfüllen.
Rechtsabteilungen sind dabei laut Studie besser darauf vorbereitet, diese Herausforderung zu bewältigen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich 41% der Unternehmensjuristen sehr gut vorbereitet fühlen, um die Nachfrage nach ESG-bezogener Rechtsexpertise zu befriedigen. Die Kanzleien hingegen sind weniger zuversichtlich: Nur 29% fühlen sich sehr gut vorbereitet und 24% sagen, sie seien nicht sehr gut oder gar nicht vorbereitet. Auch gibt es einen Unterschied bei der Bereitstellung von ESG-Schulungen für Mitarbeitende – 56% der Rechtsabteilungen bieten ESG-Schulungen an, jedoch nur 45% der Kanzleien. Viele gaben zudem an, eigene Abteilungen eingerichtet zu haben, die sich nur mit ESG befassen.
Wie wird sich der Rechtsmarkt verändern?
Schließlich wurden die Teilnehmenden der Studie noch gefragt, welche Trends sie im Rechtsmarkt wahrnehmen und welche Herausforderungen sich stellen werden. Hier nannten die meisten neben der Gewinnung neuer Talente auch die Bewältigung eines stetig steigenden Kostendrucks. Zudem äußerten sich 73% der Befragten besorgt über die Bewältigung einer zunehmenden Menge und Komplexität von Informationen. Insbesondere beim Thema IT-Sicherheit sahen knapp drei Viertel der Teilnehmenden in Zukunft gesteigerten Handlungsbedarf. Die gute Nachricht: Bei allen antizipierten Herausforderungen fühlte sich eine deutliche Mehrheit der Anwältinnen und Anwälte gut oder sogar sehr gut vorbereitet.