Fu­ku­shi­ma-Atom­ka­ta­stro­phe: Ja­pa­ni­sches Ge­richt spricht drei Ex-Tepco-Ma­na­ger frei

Acht­ein­halb Jahre nach der Atom­ka­ta­stro­phe von Fu­ku­shi­ma hat das Be­zirks­ge­richt in Tokio drei frü­he­re Top­ma­na­ger des Kraft­werk­be­trei­bers Tepco am 19.09.2019 in einem Straf­pro­zess vom Vor­wurf der Fahr­läs­sig­keit mit To­des­fol­ge frei­ge­spro­chen. "Es wäre un­mög­lich, eine Atom­an­la­ge zu be­trei­ben, wenn die Be­trei­ber ver­pflich­tet wür­den, jeg­li­che Mög­lich­keit eines Tsu­na­mis vor­her­zu­sa­gen und nö­ti­ge Maß­nah­men zu er­grei­fen", er­klär­te Rich­ter Ke­ni­chi Na­ga­fuchi in sei­ner Ur­teils­be­grün­dung laut ja­pa­ni­schen Me­di­en.

Schlimms­te Atom­ka­ta­stro­phe seit Tscher­no­byl

Die Staats­an­wäl­te hat­ten fünf Jahre Haft für jeden der Ma­na­ger ge­for­dert. Im Kraft­werk Fu­ku­shi­ma Daiichi im Nord­os­ten Ja­pans war es am 11.03.2011 in Folge eines ge­wal­ti­gen Tsu­na­mis zum Super-Gau ge­kom­men. Als Folge der Kern­schmel­zen in drei Fu­ku­shi­ma-Re­ak­to­ren muss­ten rund 160.000 An­woh­ner flie­hen. Zehn­tau­sen­de kön­nen noch immer nicht zu­rück. Es war die schlimms­te Atom­ka­ta­stro­phe seit Tscher­no­byl 1986 ge­we­sen.

Staats­an­walt­schaft ver­wei­ger­te An­kla­ge zwei­mal

Es hatte Be­woh­ner der Un­glücks­pro­vinz Fu­ku­shi­ma mehr als fünf Jahre ge­kos­tet, den da­ma­li­gen Tepco-Chef Tsun­e­hi­sa Katsu­ma­ta (79) sowie zwei wei­te­re Ver­ant­wort­li­che vor ein Straf­ge­richt zu brin­gen. Die ja­pa­ni­sche Staats­an­walt­schaft hatte sich zwei­mal ge­wei­gert, die Atom­ma­na­ger an­zu­kla­gen. Schlie­ß­lich waren sie 2016 aber doch wegen be­ruf­li­cher Fahr­läs­sig­keit mit To­des­fol­ge an­ge­klagt wor­den.

Vor­wurf: Schutz­maß­nah­men gegen Tsu­na­mi un­ter­las­sen

Mehr als 5.700 Bür­ger hat­ten in dem ein­zi­gen Straf­rechts­pro­zess wegen der Atom­ka­ta­stro­phe den drei Haupt­ver­ant­wort­li­chen vor­ge­wor­fen, un­ge­ach­tet auch in­ter­ner War­nun­gen vor einem hohen Tsu­na­mi nichts un­ter­nom­men zu haben, um die Re­ak­to­ren zum Bei­spiel durch die Er­rich­tung von hohen Tsu­na­mi-Mau­ern zu schüt­zen. So war Tepco be­reits im Jahr 2008 dar­über in­for­miert ge­we­sen, dass ein Tsu­na­mi von rund 16 Me­tern Höhe das Atom­kraft­werk heim­su­chen könne.

Un­ab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on: "De­sas­ter von Men­schen­hand"

Die an­ge­klag­ten Ex-Ma­na­ger hat­ten je­doch auf un­schul­dig plä­diert. Der Tsu­na­mi von 2011 sei un­vor­her­seh­bar ge­we­sen. Zudem wäre es oh­ne­hin zur Ka­ta­stro­phe ge­kom­men, selbst wenn Maß­nah­men er­grif­fen wor­den wären. Eine un­ab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on war 2012 zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass das Un­glück vor­her­seh­bar und ver­meid­bar war. Es han­de­le sich um ein "De­sas­ter von Men­schen­hand". Ver­ant­wort­lich sei das Be­zie­hungs­ge­flecht zwi­schen Staat und Atom­lob­by.

Staat und Tepco mehr­fach zu Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen ver­ur­teilt

Meh­re­re Ge­rich­te hat­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren eine Mit­schuld des Staa­tes und des Be­trei­bers Tepco an der Ka­ta­stro­phe in Fu­ku­shi­ma fest­ge­stellt und Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen ver­fügt. Staat und Tepco hät­ten sich der Nach­läs­sig­keit schul­dig ge­macht. Das Un­ter­neh­men hätte zu Vor­keh­run­gen vor Tsu­na­mis ver­pflich­tet wer­den müs­sen. Doch straf­recht­lich wurde nie­mand zur Ver­ant­wor­tung ge­zo­gen - weder beim Staat noch bei Tepco.

Be­zirks­ge­richt: An­ge­klag­te für Tod von 44 Pa­ti­en­ten nicht ver­ant­wort­lich

Das Be­zirks­ge­richt be­fand nun, dass die drei an­ge­klag­ten Ex-Ma­na­ger auch nicht für den Tod von 44 äl­te­ren Pa­ti­en­ten ver­ant­wort­lich seien. Deren Ge­sund­heit hatte sich wäh­rend be­zie­hungs­wei­se nach der er­zwun­ge­nen Eva­ku­ie­rung eines ört­li­chen Kran­ken­hau­ses ver­schlech­tert. "Wir kön­nen das nicht ver­ste­hen. Wir sind un­se­rer Häu­ser und un­se­rer Hei­mat be­raubt wor­den", be­klag­te ein Be­woh­ner von Fu­ku­shi­ma im Fern­se­hen das Ur­teil des Be­zirks­ge­richts. In einer Stel­lung­nah­me ent­schul­dig­te sich Tepco er­neut dafür, den Men­schen ge­wal­ti­ge Sche­re­rei­en und Sor­gen be­rei­tet zu haben.

Noch meh­re­re Zi­vil­rechts­kla­gen an­hän­gig

Mit dem Ur­teil sind die recht­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen für den Be­trei­ber­kon­zern je­doch nicht be­en­det. Es lau­fen vor Ge­rich­ten noch meh­re­re Zi­vil­rechts­kla­gen, die von Tau­sen­den von Bür­gern Fu­ku­shi­mas an­ge­strengt wur­den.

Staat will Nor­ma­li­tät ver­mit­teln

Acht­ein­halb Jahre nach der Ka­ta­stro­phe ver­sucht der ja­pa­ni­sche Staat der­weil alles, um den Ein­druck von Nor­ma­li­tät zu ver­mit­teln. Der Wie­der­auf­bau in der Ka­ta­stro­phen­re­gi­on komme voran, die Lage in der Atom­rui­ne sei unter Kon­trol­le, Le­bens­mit­tel aus Fu­ku­shi­ma si­cher. Man er­laubt Be­woh­nern eins­ti­ger Sperr­zo­nen die Rück­kehr in ihre Häu­ser, lockt aus­län­di­sche Tou­ris­ten an und wirbt kräf­tig für die Olym­pi­schen Spie­le 2020, die die Er­ho­lung der Re­gi­on zur Schau stel­len sol­len.

Kühl­was­ser­pro­blem bis­lang un­ge­löst

Auch die Strah­len­wer­te in wei­ten Be­rei­chen der An­la­ge sind in­zwi­schen deut­lich re­du­ziert - trotz­dem be­stehen wei­ter enor­me Her­aus­for­de­run­gen. Dazu ge­hört die Frage, was mit den gi­gan­ti­schen Mas­sen an ver­strahl­tem Was­ser zur Küh­lung der Re­ak­to­ren ge­sche­hen soll, der Platz für die rie­si­gen Auf­fang­tanks geht lang­sam zur Neige. Eine der­zeit dis­ku­tier­te Op­ti­on ist, Teile des Was­sers ins Meer ab­zu­lei­ten - da­ge­gen sträu­ben sich al­ler­dings die Fi­scher.

Rück­kehr zur Atom­ener­gie

Zu­gleich ver­sucht Japan, wei­te­re Re­ak­to­ren im Land wie­der hoch­zu­fah­ren. Bis­lang sind in dem hoch­gra­dig von Erd­be­ben und Vul­ka­nen ge­fähr­de­ten In­sel­reich neun Mei­ler wie­der am Netz. Die große Mehr­heit der Re­ak­to­ren steht je­doch wei­ter­hin still, nach­dem Japan in Folge der Atom­ka­ta­stro­phe in Fu­ku­shi­ma zwi­schen­zeit­lich alle Re­ak­to­ren her­un­ter­ge­fah­ren und die Si­cher­heits­auf­la­gen für Neu­starts deut­lich ver­schärft hatte. Zur Zeit des Super-Gaus in Fu­ku­shi­ma hatte die dritt­grö­ß­te Volks­wirt­schaft noch 54 Re­ak­to­ren am Netz ge­habt. Es wird nach Schät­zung des Be­trei­ber­kon­zerns Tepco noch gut 30 Jahre dau­ern, bis die Atom­rui­ne end­gül­tig ge­si­chert und still­ge­legt ist.

Redaktion beck-aktuell, Lars Nicolaysen, 19. September 2019 (dpa).

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