Freispruch für schwedische Dokumentarfilmer in Prozess um Estonia-Grabfrieden

Im Prozess um aufsehenerregende Funde an der 1994 gesunkenen Ostsee-Fähre "Estonia" hat ein Gericht in Göteborg zwei schwedische Dokumentarfilmer von dem Vorwurf freigesprochen, gegen den über das Wrack verhängten Grabfrieden verstoßen zu haben. Zwar hätten sie gegen das "Estonia-Gesetz" verstoßen, aber von einem Schiff unter deutscher Flagge aus gehandelt. Deutschland sei aber nicht an den Grabfrieden gebunden.

Dokumentarfilmer entdeckten großes Loch im Schiffsrumpf

Der Dokumentarfilmer Henrik Evertsson und der Wrack-Experte Linus Andersson waren Teil eines Filmteams, das im September 2019 einen Tauchroboter zur "Estonia" herabgelassen hatte. Dabei hatten sie unter anderem ein mehrere Meter großes Loch im Schiffsrumpf entdeckt, wie sie im September 2020 in einer Dokumentationsserie enthüllten.

"Estonia-Gesetz" auf Schiff unter deutscher Flagge nicht anwendbar

Mit dem Einsatz eines Tauchroboters und dem Filmen des Wracks hätten die beiden Männer zwar Handlungen ausgeführt, die nach dem sogenannten Estonia-Gesetz strafbar seien, teilte das Bezirksgericht von Göteborg am Montag mit. Die Angeklagten könnten aber nicht verurteilt werden, weil sie dies von einem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff aus in internationalen Gewässern getan hätten. Nach Einschätzung des Gerichts lässt sich das Vorgehen nicht nach dem schwedischen Gesetz bestrafen, da Deutschland nicht an die zwischen Estland, Finnland und Schweden getroffene Grabfriedensvereinbarung gebunden ist. Das deutsche Schiff werde als deutsches Territorium betrachtet. Es ist das erste Mal, dass das Estonia-Gesetz auf den juristischen Prüfstand gekommen ist. In Schweden rechnet man damit, dass gegen das Urteil Berufung eingelegt wird - laut Gericht ist das bis zum 01.03.2021 möglich. Die zuständige Staatsanwältin Helene Gestrin sagte der Zeitung "Dagens Nyheter", sie wolle das Urteil in Ruhe durchgehen, ehe sie einen Entschluss dazu fasse.

Änderung des Grabfriedens soll Untersuchung der Funde ermöglichen

Der "Estonia"-Untergang gilt als Europas größte Schiffskatastrophe der Nachkriegsgeschichte. Die Fähre war 1994 mit 989 Menschen an Bord auf dem Weg von Tallinn nach Stockholm in internationalen Gewässern vor der finnischen Südküste gesunken. 852 Menschen starben, nur 137 überlebten. Weil viele der Toten nicht geborgen werden konnten, steht das Wrack als Ruhestätte unter Schutz und darf nicht aufgesucht werden - das legt der Grabfrieden fest. Warum die "Estonia" unterging, konnte bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden. Inzwischen hat Schweden gesetzliche Änderungen am Grabfrieden auf den Weg gebracht, damit Behörden die Funde der Dokumentarfilmer genauer untersuchen können.

Angeklagte nach Urteil erleichtert

Evertsson und Andersson hatten ein gesetzwidriges Verhalten abgestritten. Sie wiesen darauf hin, dass der Unglücksort in internationalen Gewässern liege und sie von Deutschland aus mit dem deutschen Schiff "Ernst Reuter" dorthin gelangt seien. Sie beteuerten, dass sie niemals gegen den Grabfrieden hätten verstoßen wollen. Es sei ihnen ausschließlich darum gegangen, mit Zustimmung der Angehörigen der "Estonia"-Opfer neue Erkenntnisse zu sammeln. Nach dem Urteil zeigten sich beide sichtlich erleichtert. "Das fühlt sich natürlich schön an", sagte Evertsson dem Sender SVT. "Wir haben ja eigentlich dreimal unterstrichen, dass wir durch die Untersuchung keine Straftat begangen haben." Es scheine so, dass das Gericht auf diese Einwände gehört habe. Andersson sagte, es sei ein unbehagliches Gefühl gewesen, dass es zu einer Verurteilung hätte kommen können. "Ich hoffe, dass das hier das Ende dieses Prozesses ist."

Redaktion beck-aktuell, 8. Februar 2021 (dpa).