Bezeichnung als "Frecher Juden-Funktionär" ist Volksverhetzung
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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 07.07.2020 die Verurteilung des Bundesvorsitzenden der rechtsextremen Partei "Die Rechte", Sascha Krolzig, wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung bestätigt. Krolzig hatte den Vorsitzenden einer Jüdischen Gemeinde in einem Artikel auf der Internetseite der Partei als "frechen Juden-Funktionär" bezeichnet und zum Boykott gegenüber der jüdischen Gemeinde aufgerufen.

Vorsitzenden Jüdischer Gemeinde als "frechen Juden-Funktionär" bezeichnet und zum Boykott aufgerufen

Der Westdeutsche Rundfunk hatte darüber berichtet, dass eine nordrhein-westfälische Gemeinde ihr Amtsblatt von einem Verleger herausgeben ließ, der auch rechtsradikale Schriften verbreitet. Der Vorsitzende der ostwestfälischen jüdischen Gemeinde Herford-Detmold hatte deshalb die Gemeinde aufgefordert, ihr Amtsblatt in einem anderen Verlag herauszugeben. Daraufhin veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Internetseite der Partei "Die Rechte" einen Artikel, in dem er zunächst allgemein den Versuch kritisiert, "Dissidenten mundtot zu machen". Das sei nun auch im Fall eines "politischen nonkonformen Verlegers" zu beobachten, der auch ein Buch "über vorbildliche und bewährte Männer der Waffen-SS" verlege. Den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde bezeichnete der Beschwerdeführer in dem Artikel als "frechen Juden-Funktionär", der die Stadt "selbstgefällig" dazu auffordere, umgehend Konsequenzen zu ziehen. Angesichts der "massiven Hetzkampagne von Medien, Linken und Jüdischer Gemeinde" sei "jegliche Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold unverzüglich einzustellen". Die Partei "Die Rechte" würde "den Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik in allerkürzester Zeit auf genau Null reduzieren [und] sämtliche staatliche Unterstützung für jüdische Gemeinden streichen und das Geld für das Gemeinwohl einsetzen." Die Strafgerichte verurteilten den mehrfach einschlägig vorbestraften Beschwerdeführer daraufhin wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung.

BVerfG bestätigt Verurteilung - Hinweise zu Wunsiedel-Entscheidung

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und die Verurteilung im Ergebnis bestätigt. Dabei adressiert es zunächst allerdings ein unpräzises Verständnis seiner Wunsiedel-Entscheidung durch das Landgericht, das sich in seiner Entscheidung darauf gestützt habe, dass das BVerfG in Bezug auf die Verherrlichung der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus eine Ausnahme vom Allgemeinheitserfordernis des Art. 5 Abs. 2 GG anerkennt. Entgegen der Annahme des LG betreffe diese Ausnahme allein die formelle Anforderung, dass Gesetze nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet sein dürfen (Standpunktneutralität). Sie erlaube dem Gesetzgeber, Strafnormen zu schaffen, die nicht abstrakt formuliert, sondern gegen die Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) gerichtet seien. Eine solche Strafvorschrift, die spezifisch an den Nationalsozialismus anknüpfe, stehe hier jedoch nicht in Frage, sondern der allgemeine Volksverhetzungstatbestand des § 130 Abs. 1 StGB.

Allgemeine materielle Voraussetzungen für Eingriffe in Meinungsfreiheit maßgeblich

Demgegenüber gelte auch für Äußerungen mit Bezug auf den Nationalsozialismus keine allgemeine, auch inhaltliche Ausnahme von den Anforderungen an meinungsbeschränkende Gesetze. Das Grundgesetz kenne kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte. Vielmehr gewährleiste Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Freiheit der Meinung als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit oder Gefährlichkeit. Die Meinungsfreiheit verbiete daher den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung und lasse Eingriffe erst zu, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen. Das sei der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren.

Friedlichkeitsgrenze durch abwertende Bezeichnung als "Jude" überschritten?

Allerdings sei für die Beurteilung von Äußerungen nach allgemeinen Grundsätzen ihre konkrete Wirkung im jeweiligen Kontext maßgeblich. Dabei geböten die besonderen Erfahrungen der deutschen Geschichte, insbesondere die damals durch zielgerichtete und systematische Hetze und Boykottaufrufe eingeleitete und begleitete Entrechtung und systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung Deutschlands und Europas, eine gesteigerte Sensibilität im Umgang mit der abwertenden Bezeichnung eines anderen als "Juden". Insoweit komme es darauf an, ob in der Äußerung eine die Friedlichkeitsgrenze überschreitende Aggression liegt.

Äußerung und Kontext, nicht innere Haltung maßgeblich

Je nach Einzelfall, insbesondere wenn die sich äußernde Person auf eine Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung ziele oder sich in der Äußerung mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere, könne darin eine menschenverachtende Art der hetzerischen Stigmatisierung von Juden und damit implizit verbunden auch eine Aufforderung an andere liegen, sie zu diskriminieren und zu schikanieren. Maßgeblich bleibe allerdings die Äußerung selbst und ihr unmittelbarer Kontext, nicht die innere Haltung oder die parteiliche Programmatik, die möglicherweise den Hintergrund einer Äußerung bildeten.

Aufstachelung zum Hass gegen jüdische Bevölkerung zu Recht bejaht

Gemessen an diesen Maßstäben hat das BVerfG gegen die Verurteilung des Beschwerdeführers keine Bedenken. Die Gerichte hätten ihre Bewertung insbesondere nicht auf die allgemeine ideologische Ausrichtung des Beschwerdeführers und seiner Partei, sondern auf die Äußerung selbst gestützt. Das Ziel des Beschwerdeführers, zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufzustacheln, werde insbesondere aus der Verwendung von Termini der nationalsozialistischen antisemitischen Propaganda ("frecher Jude"), aus der positiven Hervorhebung der "Männer der Waffen-SS" und aus dem unmittelbar an die Äußerung angeschlossenen Boykottaufruf gegenüber der vom Betroffenen geleiteten jüdischen Gemeinde deutlich. Diese Stoßrichtung der Äußerung werde auch durch deren Einbettung in den Vorwurf eines angeblich besonders ausgeprägten Einflusses jüdischer Organisationen auf die Politik in Deutschland, die ersichtlich den Topos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung aufgreifen solle, klar kenntlich.

Drohender Charakter der Äußerung

Schließlich wiesen die Strafgerichte zutreffend darauf hin, dass die Ankündigung, den Einfluss jüdischer Organisationen auf die deutsche Politik "in allerkürzester Zeit auf genau Null reduzieren" zu wollen, in ihrer Militanz an nationalsozialistische Vernichtungsrhetorik anknüpfe. Spezifisch gegen die jüdische Bevölkerung gerichtet begründe eine solche verbale Anlehnung aufgrund der historischen Erfahrung und Realität eines solchen Vernichtungsunterfangens einen konkret drohenden Charakter, trage die Gefahr in sich, die politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche umkippen zu lassen und gefährde damit deren grundlegende Friedlichkeit. Eben dagegen schütze der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB.

BVerfG, Beschluss vom 07.07.2020 - 1 BvR 479/20

Redaktion beck-aktuell, 10. Juli 2020.