Fortbildungspflichten nach dem AI Act: Wie Kanzleien KI-Kompetenzen vermitteln können
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Ab Februar darf mit KI-Systemen nur noch arbeiten, wer auch über entsprechende Kompetenzen verfügt. Das gilt auch für Anwältinnen und Anwälte sowie Kanzleimitarbeitende. Anisja Porschke beschreibt, was Kanzleien nun zu tun haben und wieso KI-Schulungen nicht zur lästigen Compliance-Pflicht werden sollten.

Nachdem die europäische KI-Verordnung während ihrer langen Entstehungsphase in aller Munde war und die verschiedenen Entwürfe in (Fach-)Medien eingehend besprochen wurden, ist es inzwischen etwas ruhiger geworden. Dies ändert sich nun am 2. Februar 2025, an dem Kapitel 1 und 2 der KI-VO in Kraft treten. Darin enthalten ist eine Norm, die auch für Kanzleien überaus relevant ist: die Rede ist von Art. 4 KI-VO. Dieser verpflichtet Arbeitgeber dazu, ihren Mitarbeitenden KI-Kompetenzen zu vermitteln.

Fortbildungspflicht trifft auch Kanzleien

Verpflichtet sind neben den Anbietern von KI-Systemen auch deren Betreiber, also alle natürlichen und juristischen Personen, die solche Systeme verwenden – auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und deren Angestellte in Kanzleien. Die Verpflichtung gilt dabei unabhängig von der Umsatzstärke oder der Anzahl der Mitarbeitenden und betrifft alle KI-Tools, wie zum Beispiel Microsoft CoPilot, DeepL, ChatGPT oder BeckChat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bloß um kostenfreie Lizenzen handelt. Aus Erwägungsgrund 20 ergibt sich, dass KI-Kompetenzen dort vorliegen sollen, wo KI-Systeme eingesetzt werden.

Einfach gesprochen ergibt sich daraus: Sobald irgendeine KI im beruflichen Kontext genutzt wird, greift Art. 4 KI-VO. Der Vollständigkeit halber muss hier natürlich erwähnt werden, dass es zu den Einzelheiten der jeweiligen Definitionen derzeit noch wenig Erfahrungssätze und erst recht keine Rechtsprechung gibt. Zudem sieht Art. 99 KI-VO keine Sanktionen für die Nichtbeachtung des Art. 4 KI-VO vor. Angesichts der enormen Potentiale, die der Einsatz von KI-Systemen in der Rechtsberatung bietet, sollten sich Kanzleien davon jedoch nicht zu Untätigkeit verleiten lassen.

Was sind KI-Kompetenzen?

Anders als bei Schulungen zur Arbeitssicherheit oder zum Datenschutz, gehen mit der Pflicht, KI-Kompetenzen zu vermitteln, nämlich echte Chancen für Anwältinnen und Anwälte einher. Wer KI richtig einzusetzen weiß, besitzt einen Hebel, um Produktivität zu steigern. Das hat auch das Europäische Parlament so gesehen und beschreibt daher KI-Kompetenzen als die Fähigkeit und das Verständnis, KI sachkundig einzusetzen sowie sich der Chancen und Risiken von KI und möglicher Schäden bewusst zu werden (Art. 3 Nr. 56 KI-VO).

Welche Kompetenzen vermittelt werden müssen, hängt dabei vom jeweiligen Wissensstand und Erfahrungsschatz der Mitarbeitenden ab. KI-Kompetenzen müssen außerdem kontextbezogen vermittelt werden. Denn wer KI einsetzt, um E-Mails zu entwerfen oder lange Texte zusammenzufassen, braucht ein anderes Verständnis als jemand, der KI-gestützte Personalentscheidungen treffen will. Basierend auf diesen Parametern lassen sich für Kanzleien (und Rechtsabteilungen) grundlegende Anforderungen an KI-Kompetenzen definieren.

Technisches Grundverständnis als Ankerpunkt

Zunächst ist ein technisches Verständnis dafür erforderlich, wie künstliche Intelligenz funktioniert. Denn wer (abstrakt) versteht, wie KI-Modelle trainiert werden oder was sich hinter dem Begriff RAG versteckt, kann rechtliche Fragestellungen rund um den KI-Einsatz besser einordnen. Dasselbe gilt für die Mandantenberatung: In Zukunft werden Lebenssachverhalte immer häufiger auch KI-Bezüge aufweisen, sei es bei KI-gestützten Personalentscheidungen, dem Einsatz von KI in der Medizin oder der Industrie.

Darüber hinaus ist ein technisches Grundverständnis notwendig, um die Risiken beim Einsatz von KI einschätzen zu können. Berufsträger und weitere Mitarbeitende in Kanzleien müssen lernen, Risiken durch geeignete Maßnahmen einzugrenzen und zu reduzieren (beispielsweise durch gutes Prompting). Damit gehen ethische Fragestellungen einher, mit denen sich Mitarbeitende befassen sollten: Wann müssen Mandanten über den Einsatz von KI informiert werden? Gibt es Aufgaben, die KI nicht machen sollte? Wann ist ein Bias so schwer, dass er nicht mehr vertretbar ist und einen Einsatz ausschließt?

Selbstverständlich gehört auch ein rechtskonformer Einsatz von KI zu den wesentlichen Kompetenzen. Wann verstößt der Einsatz eines KI-Systems gegen das Mandatsgeheimnis? Welche datenschutzrechtlichen Fragestellungen ergeben sich und wann handelt es sich um ein Hochrisiko-KI-System? All diese Fragen müssen die Verantwortlichen in der Kanzlei beantworten können.

KI sachkundig einsetzen

KI-Kompetenz umfasst ebenfalls die Fähigkeit, KI sachkundig einzusetzen und Chancen des Einsatzes zu erkennen. Dies umfasst sowohl die richtige Verwendung von KI-Tools (insbesondere das richtige Prompting) als auch die Fähigkeit, KI-Anwendungsfälle für den eigenen Arbeitsalltag identifizieren zu können. Naheliegende Einsatzgebiete von KI sind die Vertragserstellung, die Übersetzung fremdsprachiger Dokumente und die Vorbereitung von Emails. Auch automatisierte Dokumentenerstellung ist bereits im Einsatz (bspw. bei der Erstellung von Schriftsätzen in gerichtlichen Verfahren).

Eine weitere Erleichterung im Arbeitsalltag betrifft die Auswertung von umfangreichen Datensätzen und Dokumenten, sei es in Form von KI-gestützter Due Diligence, juristischer Recherche oder Predictive Analytics. Hinzu kommt die Möglichkeit, Daten zu strukturieren, wodurch beispielsweise Gerichtsakten neu aufbereitet oder Wissensdatenbanken automatisiert gepflegt werden können. Nicht alles funktioniert derzeit schon reibungslos, doch die Standards und Best Practices können sich aufgrund der rasanten Entwicklung der Technologie schnell verschieben. 

Das richtige Schulungskonzept: kontinuierlich und praxisbezogen

Eine ernüchternde Erkenntnis für Kanzleien: Auch wer gewillt ist, ein geeignetes Schulungskonzept für Mitarbeitende zu entwickeln, wird dazu in der KI-VO keine weiteren Vorgaben finden. Art. 4 KI-VO überlässt es den Arbeitgebern, auf welche Art und Weise KI-Kompetenzen vermittelt werden. Eine hilfreiche Orientierung bietet aber beispielsweise der Leitfaden der Bitkom: Umsetzungsleitfaden zur KI-VO. Als geeignete Maßnahmen bieten sich Workshops und digitale Schulungsprogramme an. Für einen nachhaltigen Erfolg sollten hierbei drei Aspekte berücksichtigt werden:

Zunächst müssen Schulungsangebote die eigenständige KI-Anwendung durch die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellen. Wer nur Inhalte konsumiert und sich nicht selbst mit praktischen Anwendungsfällen befasst, wird kein nachhaltiges KI-Verständnis aufbauen. Im Übrigen macht die Arbeit mit KI immer wieder überraschend viel Spaß - ein Aspekt, der bei der Adaption nie unterschätzt werden darf.

Neben dem klaren Praxisbezug ist ein kontinuierliches Lernen notwendig. Ein eintägiger Workshop bietet sich als Kick-Off an. Um aber wirklich KI-Kompetenzen auf- und auszubauen, sollten Mitarbeitende regelmäßig neue Impulse erhalten. Wie beim Erlernen einer neuen Sprache braucht es regelmäßige Einheiten, frischen Input und neue Herausforderungen, um Kompetenzen wirklich zu verinnerlichen. Digitale Lernplattformen bieten hier branchenspezifische Angebote, die kontinuierlich neue Anwendungsfälle vorstellen, auf Juristinnen und Juristen zugeschnitten sind, aktuelle Gesetzgebung und Rechtsprechung aufgreifen und Impulse zur erfolgreichen Implementierung von KI-Systemen liefern.

Der dritte Aspekt ist das gemeinsame Lernen. Ein Raum für Austausch hilft dabei, Wissen nachhaltig aufzubauen und zu festigen. Digitale Plattformen etwa ermöglichen es, sich mit anderen auszutauschen. Ergänzt werden kann dies durch kanzleiinterne KI-Gruppen, bei denen auch besonders KI-affine Kolleginnen und Kollegen als Multiplikatoren eingesetzt werden können. Eine Investition in KI-Kompetenzen ist mehr als nur das stumpfe Befolgen der EU-Vorgaben, es kann auch ein Versprechen an das Team und die Mandantschaft sein: Wir sehen, dass sich gerade vieles ändert - und wir stecken den Kopf nicht in den Sand, sondern gestalten den Wandel aktiv mit.

Anisja Porschke ist Volljuristin und Co-Founder des AI Legal Clubs, einer KI-Lernplattform für Juristen, die als Joint-Venture mit der Bucerius Education GmbH gegründet wurde. Zuvor hat sie drei Jahre lang als Legal Product Manager das Legal Tech Startup Fides Technology mit aufgebaut. 

Anisja Porschke, 30. Januar 2025.