Aktuell macht die bayerische Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen Schlagzeilen. Foltervorwürfe stehen im Raum. Gefangene sollen von Bediensteten körperlich misshandelt worden sein. Außerdem sollen sie in einem sogenannten besonders gesicherten Haftraum (kurz: BgH) untergebracht worden sein, "ohne dass Voraussetzungen für diese Maßnahme vorlagen". Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Wer jetzt glaubt, dass das ein einmaliger Vorfall ist, der liegt falsch. Mehr noch: Gerade in puncto BgH kann man ein Déjà-vu-Erlebnis haben: Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hatte die bayerischen Vollzugsbehörden schon in ihrem Jahresbericht 2022 angezählt. Dort (S. 68) liest man: "In der JVA Bernau wurden Gefangene über mehrere Tage, Wochen und Monate hinweg – bis zu 92 Tage – im besonders gesicherten Haftraum untergebracht." Und weiter: "Auch wurden die betroffenen Gefangenen in der JVA Bernau häufig bloß mit einer Papierunterhose ausgestattet, was insbesondere in Verbindung mit einer dauerhaften Kameraüberwachung schamverletzend ist."
Das ist bedrückend und menschenunwürdig. Wenn man Medienberichten über den Vorfall in der JVA Gablingen glaubt, dann wurden die Zustände im BgH dort sogar noch unterboten. In der TAZ etwa heißt es: "Keine Matratze, splitterfasernackt am Boden".
Klar ist aber auch: Die Liste mit Vorfällen im Strafvollzug lässt sich bundesweit fortsetzen. Dabei gehört es auch zur Wahrheit, dass nicht jeder Vorfall ein Skandal ist und nicht jeder Skandal ein Problem. Um das zu erkennen und zu unterscheiden, muss man genau hinsehen und die Gesetze und Regeln verstehen, nach denen der Vollzug funktioniert. Der Vollzug unterliegt einerseits dem Strafvollzugsgesetz, das auch in Bayern die Resozialisierung als eine zentrale Aufgabe des Vollzugs vorschreibt. Andererseits unterliegt das Gefängnis als Mikrokosmos und totale Institution eigenen, ungeschriebenen Regeln. Die Menschen leben hier hinter dicken Mauern weitgehend abgeschlossen, ungehört und ungesehen von der Außenwelt. Das betrifft Gefangene wie Personal. Das sorgt für eigene Dynamiken und dafür, dass manchmal auch das sein kann, was dem Gesetz nach nicht sein darf.
Mehr Transparenz
Um diese Dynamiken zu durchbrechen und (menschen-)rechtswidrige Zustände zu verhindern, braucht es mehr Transparenz. Diese kann auf unterschiedliche Weise hergestellt werden. Dabei erscheinen mir mit Blick auf den aktuellen Vorfall in der JVA Gablingen vor allem zwei Aspekte wichtig.
Erstens braucht es in allen Bundesländern einen oder eine Strafvollzugsbeauftragte(n). Eine vollzugsgesetzliche Grundlage hierfür existiert bereits in Baden-Württemberg, und zwar in § 93 JVollzGB I. In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits seit Längerem einen Justizvollzugsbeauftragten. Mit der Einrichtung einer solchen Beauftragtenstelle hätte man, gerade was die alltäglichen Missstände hinter Gittern angeht, nicht nur eine beratende Stelle für die Justizverwaltung, sondern zugleich einen neutralen und unabhängigen Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin für die Gefangenen im Problemfall.
Zweitens muss die Verteidigung gerade bei grundrechtsintensiven Sicherungsmaßnahmen verstärkt und rechtzeitig einbezogen werden. Im Klartext: Es kann nicht sein, dass im BgH untergebrachten oder fixierten Gefangenen nach dem bayerischen Strafvollzugsgesetz nicht das Recht zusteht, dass auf Antrag unverzüglich die Verteidigung informiert wird. Im Gegensatz dazu gibt § 87 Abs. 7 StVollzG Bln (Berliner Strafvollzugsgesetz) bei Fixierung oder Unterbringung im BgH schon länger ausdrücklich vor: "Auf Antrag der Gefangenen sind deren Verteidigerinnen oder Verteidiger über die besonderen Sicherungsmaßnahmen nach Satz 1 unverzüglich zu benachrichtigen."
Zugegeben: Der Umstand allein, dass die Verteidigung informiert werden muss, macht eine belastende Maßnahme noch nicht besser oder gar ungeschehen. Der aktuelle Vorfall zeigt aber: Es kann helfen, einen rechtswidrigen Zustand zu beenden und damit verbundene Leiden der Gefangenen zu verkürzen. Denn die Einbeziehung der Verteidigung bedeutet Kontrolle – und genau die hat im BgH der JVA Gablingen offenbar gefehlt. Zudem kann die Verteidigung das Vollzugspersonal dabei unterstützen, in dieser Situation mit bisweilen schwierigen Gefangenen umzugehen.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass die Politik den aktuellen Vorfall zum Anlass für Verbesserungen im Strafvollzug nimmt. Das gilt für Bayern, aber auch für alle übrigen Bundesländer: Wir brauchen Strafvollzugsbeauftragte und ein gesetzliches Antragsrecht für Gefangene, die fixiert oder im BgH untergebracht werden sollen, damit ihre Verteidigung über diese Maßnahme unverzüglich informiert werden kann.
Chronische Probleme im Strafvollzug
Die Meldung aus Bayern gibt aber auch Anlass, sich über den Zustand des deutschen Vollzugssystems einmal grundsätzliche Gedanken zu machen. Dabei muss man erkennen, dass der Strafvollzug unter Problemen leidet, von denen man einige fast schon als chronisch bezeichnen kann.
Dazu gehören der Personalmangel, gerade was den allgemeinen Vollzugsdienst angeht, ebenso wie der schleppende Fortgang der Digitalisierung hinter Gittern. Die Corona-Pandemie hat insofern zwar wichtige Erkenntnisse und vor allem die Einsicht gebracht, dass das Internet für Gefangene inzwischen ein wichtiger Resozialisierungsfaktor ist. In den meisten Bundesländern hakt es aber nach wie vor bei der praktischen Umsetzung. Haftraummediensysteme wie etwa im Berliner Strafvollzug gehören noch längst nicht zum bundesweiten Standard.
Hinzu kommt ein Problem mit synthetischen Drogen. An sich sind Drogen im Strafvollzug weder etwas Neues noch taugt ein Drogenfund zum echten Vollzugsskandal; ein drogenfreies Gefängnis war vielmehr schon immer eine Illusion. Doch die neuen psychoaktiven Stoffe, die gegenwärtig zirkulieren, sind anders. Und sie erobern derzeit bundesweit die Gefängnisse. Dabei gelangen sie auf Papier geträufelt und meist über Postsendungen hinter Gitter. Dort sind sie, weil kaum dosier- und nur schwer erkennbar, für Gefangene wie auch für das Personal eine echte Gefahr. Die Anstaltsleitungen versuchen aktuell, mit Drogenscannern und strengen Briefkontrollen der Lage wieder Herr zu werden.
Neben diesen chronischen Problemen bleibt schließlich auch mit Sorge abzuwarten, wie sich die Reform des § 64 StGB – bei der maßgeblich die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angehoben wurden – auf den Strafvollzug und seine ohnehin knappen Ressourcen weiter auswirkt. Dabei ist schon jetzt klar, dass vermehrt Straftäter mit Suchtproblemen im Strafvollzug landen – und nicht mehr im Maßregelvollzug.
Dr. Lorenz Bode ist Staatsanwalt in Magdeburg. Dieser Beitrag gibt ausschließlich seine Privatmeinung wieder.