Förderung von NGOs: "Das muss endlich gesetzlich geregelt werden"
© Prof. Dr. Hubertus Gersdorf

Dürfen NGOs, die an der politischen Willensbildung mitwirken, von der Regierung finanziell gefördert werden? Staatsrechtsprofessor Hubertus Gersdorf meint nein – und prangert mangelndes Problembewusstsein bei den politischen Akteuren an.

beck-aktuell: Die EU-Kommission steht in der Kritik, gezielt linke NGOs mit öffentlichen Geldern gefördert zu haben, damit diese in der Öffentlichkeit gegen missliebige Politik agitieren. Diese NGOs – zum Beispiel die Umweltorganisation Friends of the Earth – sollen Stimmung gegen Kohle, Pestizide oder das Mercosur-Abkommen gemacht und dafür bezahlt worden sein. Der CDU-nahe Wirtschaftsrat spricht von einem Klimaaktivistenskandal. Professor Dr. Gersdorf, aus juristischer Sicht, ist das ein Skandal, was da passiert?

Gersdorf: Ich möchte mich aus der politischen Debatte selbstverständlich raushalten. Juristisch stellt sich in Europa die gleiche Frage, die sich auch in der Bundesrepublik Deutschland stellt: Dürfen Regierungsstellen ohne gesetzliche Grundlage NGOs aus öffentlichen Mitteln finanzieren?

Bisher ist es so, dass diese öffentlichen Gelder auf einer rein vertraglichen Grundlage an die Organisationen gegeben werden. Dabei reden wir über NGOs, die an der gesellschaftlichen Kommunikation und politischen Meinungsbildung mitwirken. Es besteht also die große Gefahr, dass die jeweilige Regierung – sei es die EU-Kommission oder die Regierung eines Mitgliedstaats – sich NGOs aussucht, die ihr nahestehen und so in ihrem Sinne auf den Willens- und Meinungsbildungsprozess des Volkes einwirken.

Und das steht dem Staat nicht zu. Die gesellschaftlichen Willens- und Meinungsbildungsprozesse haben sich von unten nach oben zu vollziehen. Der Staat darf sich dort prinzipiell nicht einmischen. Das steht einer Demokratie nicht gut zu Gesicht.

"Ein doppelter Verstoß gegen elementare Demokratieprinzipien"

beck-aktuell: Woraus ergibt sich das?

Gersdorf: Das ergibt sich aus dem Demokratieprinzip und dem damit korrespondierenden Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Kommunikation jedes Einzelnen – beides Eckpfeiler unserer demokratischen Ordnung, die durch eine solche NGO-Förderpraxis tangiert werden.

Zum einen das Demokratieprinzip: Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Willensbildung sich vom Volk zum Staat zu vollziehen hat – und nicht andersherum. Zum anderen ist eine solche Förderpraxis auch nicht mit dem Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Kommunikation in Einklang zu bringen. Diejenigen NGOs, die gefördert werden, repräsentieren eine bestimmte Gruppe von Wählerinnen und Wählern. Die Ziele anderer Wählergruppen – die sich vielleicht mit ganz anderen NGOs identifizieren – werden demnach nicht gefördert. So wird das elementare demokratische Recht auf Gleichheit bei der politischen Kommunikation verletzt. Also ein doppelter Verstoß gegen elementare Prinzipien der demokratischen Ordnung.

beck-aktuell: Gilt das genauso auch für die EU?

Gersdorf: Selbstverständlich. Die EU ist seit dem Maastrichter Vertrag von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Union geworden. Und zur politischen Union gehört auch das klare Bekenntnis zu den zentralen Werten der Demokratie und des Rechtsstaatsprinzips. Europa bekennt sich nicht nur zur Gleichheit im Wirtschaftsleben, sondern selbstverständlich auch zur Gleichheit bei der politischen Kommunikation. Auch die EU-Kommission darf deshalb den Kommunikationsprozess nicht in ihrem Sinne zu steuern versuchen.

"Bei Medien ist das eine Selbstverständlichkeit"

beck-aktuell: Sollte es also Ihrer Meinung nach gar keine NGO-Förderung mehr geben? Das kann ja auch nicht die Lösung sein.

Gersdorf: Gegen eine Förderung ist an sich nichts einzuwenden. Wichtig ist nur, dass sie gleichmäßig erfolgt und dass die Exekutive keinerlei Spielraum bei der Mittelvergabe hat. Es muss sichergestellt sein, dass Regierungsstellen keinen Einfluss auf die politische Kommunikation nehmen können.

beck-aktuell: Wie könnte das funktionieren?

Gersdorf: Zunächst einmal ist es ganz wichtig, dass die Förderung gesetzlich geregelt wird. Nehmen Sie als Beispiel einmal die Medien: Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass es nicht Aufgabe von Regierungen ist, Medienunternehmen zu fördern – jedenfalls nicht ohne rechtsstaatliche Kautelen. Warum? Weil Medien an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitwirken und somit staatsfern sein müssen. Deswegen gibt es eine regierungsunabhängig organisierte Medienaufsicht.

Das Gleiche brauchen wir auch für NGOs. Es braucht eine gesetzliche Grundlage – auch auf EU-Ebene – und es braucht eine regierungsunabhängige Stelle, die über die Mittelvergabe entscheidet. Solange diese beiden Grundvoraussetzungen nicht erfüllt sind, ist die Förderpraxis sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene mit geltendem Recht kaum zu vereinbaren.

"Der Politik fehlt das Unrechtsbewusstsein"

beck-aktuell: Also so eine Art Landesmedienanstalt für NGO-Förderung. Glauben Sie denn, dass das politisch realistisch ist?

Gersdorf: Ob das politisch gewollt ist, da habe ich mittlerweile leider auch meine Zweifel. Dabei bin ich offen gestanden regelrecht schockiert darüber, dass in der Politik zum Teil keinerlei Unrechtsbewusstsein besteht, keine Sensibilität dafür, welches Missbrauchspotenzial sich hier verbirgt. Das bedauere ich sehr, aber ich sage immer: dafür haben wir Gerichte. Wenn es entsprechende Gerichtsentscheidungen gibt, dann wird sich die Politik selbstverständlich auch an die dort entwickelten Maßstäbe halten.

beck-aktuell: In vielen europäischen Ländern vollzieht sich gerade ein Politikwechsel. Auch einige deutsche – nicht nur linke – NGOs befürchten, in dem neuen politischen Klima nicht bestehen zu können. Sehen Sie auch die Gefahr, dass es der Zivilgesellschaft mittelfristig schadet, wenn wir Organisationen das Leben noch schwerer machen?

Gersdorf: Zunächst einmal: Wir brauchen das Engagement all dieser NGOs. Die Zivilgesellschaft muss immer wieder ermutigt werden, sich zu engagieren. Das ist nicht das Problem. Es geht hier nicht um die grundrechtliche Freiheit von NGOs, sich für oder auch gegen etwas einzusetzen. Es geht nur darum, zu verhindern, dass der Staat auf die gesellschaftliche Kommunikation Einfluss nehmen kann. Dagegen müssen wir uns mit aller Macht stemmen – und auch überhaupt erst einmal ein Problembewusstsein schaffen.

Wenn wir dafür ein ordentliches Regelwerk haben, dann können diese Mittel den NGOs selbstverständlich weiter zur Verfügung gestellt werden. Noch einmal: NGOs sind wunderbar. Aber sie dürfen finanziell nicht vom Wohlwollen der Regierung abhängen. Sonst haben wir ein demokratisches Problem.

beck-aktuell: Professor Gersdorf, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Hubertus Gersdorf ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.

Das Interview ist ein Ausschnitt aus Folge 57 von Gerechtigkeit & Loseblatt, dem Podcast von beck-aktuell und NJW. Die Fragen stellte Dr. Hendrik Wieduwilt.

Dr. Hendrik Wieduwilt, 13. Juni 2025.

Mehr zum Thema