Größter Finanzskandal der Nachkriegsgeschichte
Insbesondere der SPD droht damit im heraufziehenden Bundestagswahlkampf Ungemach. Schließlich ist ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz als Finanzminister ein Akteur im "größten Finanzskandal der Nachkriegsgeschichte", wie der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach die Wirecard-Affäre nennt. Die FDP pochte schon seit längerem auf einen Untersuchungsausschuss: "Das ist ein Stück gelebte Demokratie", sagte Florian Toncar. Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi erklärte, angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen bargeldlos bezahlten, gehe es auch um neue digitale Geschäftsmodelle insgesamt und deren Kontrolle.
Keine Gegenwehr der Regierungsparteien
Im Juni hatte der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies, und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren. Widerstand gegen den Ausschuss war selbst aus den Fraktionen der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD nicht zu vernehmen. Es handle sich "um bandenmäßigen Betrug, um höchst kriminelle Handlungen" - aber eben auch um ein Versagen verschiedenster staatlicher Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen, die den Skandal nicht verhindert hätten, sagte der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann.
Die Zeit drängt
Bevor der Ausschuss starten kann, müssen sich die Fraktionen auf einen Untersuchungsauftrag einigen und ein Viertel der 709 Abgeordneten im Plenum muss dafür stimmen. Die Opposition hofft, dass das noch im September geschieht. Die Zeit drängt wegen der Bundestagswahl im kommenden Herbst, zumal es im Interesse der untersuchten Personen und Behörden liegen kann, die Ermittlungen zu verschleppen. Den Vorsitz beansprucht die AfD, die nach parlamentarischen Gepflogenheiten am Zug wäre. "Wir werden alles tun, damit dieser Fall bis ins letzte Detail aufgeklärt wird", versicherte deren Abgeordneter Kay Gottschalk.
Zimmermann: "Smoking Gun“ nicht weiter verfolgt
Im Wirecard-Skandal waren zuletzt die bayerischen Behörden in die Kritik geraten. Anfang 2019 habe die Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls zwei "sehr werthaltige" Meldungen an das LKA Bayern gemacht, die aber dort versandet seien, sagte Zimmermann am Rande der Sondersitzung des Finanzausschusses zu Wirecard. Dabei sei es um Wirecard-Vorstände gegangen, die in merkwürdige Transaktionen verwickelt gewesen sein sollen. Diese "Smoking Gun“ sei aber dann von der Staatsanwaltschaft offenbar nicht weiter verfolgt worden. "Das ist natürlich ein Punkt, der schon aufhorchen lässt“, sagte Zimmermann, der von einer "heißen Spur“ sprach. Auch Toncar bemängelte, das Verfahren sei viel zu schnell eingestellt worden. "Hätte man da ernsthafter weiter ermittelt, hätte man vielleicht auch Zweifel bekommen insgesamt an den handelnden Personen bei Wirecard“ - und auch Berichte über Marktmanipulationen wären dann in anderem Licht erschienen.Viele offene Fragen
Zentrale Fragen sind, wann genau die Regierung von Unregelmäßigkeiten wusste, und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat. Auch die Frage, warum das Unternehmen trotz Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten im Dax gelistet war, treibt die Abgeordneten um. Mit Wirecard sei ein "Scheinriese“ in den Dax30 aufgenommen worden, der mit großer krimineller Energie viele Menschen um ihr Vermögen gebracht habe, sagte der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach. "Diese Adelung hat das Unternehmen, wie wir heute wissen, ganz und gar nicht verdient.“ Der Verdacht auf Bilanzbetrug bei Wirecard lenkt den Blick auch auf die privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Diese fallen in den Zuständigkeitsbereich von Wirtschaftsminister Altmaier. Die Wirtschaftsprüfer von EY stehen in der Kritik, weil das Unternehmen die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte.
Einfluss von Lobbyisten ist zu prüfen
Die Bundesregierung wiederum steht im Verdacht, Wirecard-Lobbyisten ein allzu offenes Ohr geschenkt zu haben. Das Unternehmen hatte hochkarätige Fürsprecher für sich gewonnen: Sowohl der Ex-Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, sowie der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) betrieben Lobbyarbeit für Wirecard. Lisa Paus von den Grünen sprach von einem "regelrechten Abgrund beim Thema Lobbyismus beim Kanzleramt".
Mangelhafte Prüfung auf Geldwäsche
Kritisiert wurde auch, das Unternehmen sei nur mangelhaft auf Geldwäsche überprüft worden. Die Bafin war nach Ansicht von Bafin-Chef Felix Hufeld nur für die Wirecard Bank AG zuständig und hatte den Gesamtkonzern nicht als Finanzholding, also ein Finanzunternehmen mit Tochterfirmen, sondern als Technologieunternehmen eingestuft. Die bayerischen Behörden wiederum hätten Wirecard nicht als Finanzunternehmen betrachtet und deshalb ebenfalls nicht auf Geldwäsche geprüft, bemängelte der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer. "Und das führte dazu, dass keine Geldwäscheaufsicht weitgehend über die Wirecard AG erfolgt ist.“ Kay Gottschalk von der AfD erklärte, es gebe weiterhin "sehr viel Aufklärungsbedarf“.