FG Niedersachsen ruft BVerfG an: Kinderfreibeträge verfassungswidrig zu niedrig?

Der Gesetzgeber hat die Kinderfreibeträge in § 32 Abs. 6 EStG möglicherweise zu niedrig bemessen. Hiervon ist jedenfalls der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts überzeugt. Jetzt soll Karlsruhe über die Frage entscheiden. Das vom FG dazu am 02.12.2016 ausgesetzte und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Verfahren (Az.: 7 K 83/16) betrifft das Streitjahr 2014. Trotz einer zwischenzeitlich beschlossenen Erhöhung der Freibeträge hält das FG die Problematik aber auch aktuell noch für gegeben.

Hintergrund: Freibetrag soll Existenzminimum des Kindes sichern

Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens ein Betrag in Höhe des Existenzminimums steuerfrei bleiben. Auf den Teil des Einkommens, den man bei Bedürftigkeit als Sozialleistung erhalten würde, darf keine Einkommensteuer erhoben werden. Die Höhe des Existenzminimums wird alle zwei Jahre von der Bundesregierung ermittelt. Auf Grundlage dieser Ermittlung wird bei der Festsetzung der Einkommensteuer für jedes Kind ein Freibetrag für das sächliche Existenzminimum und ein Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- beziehungsweise Ausbildungsbedarf abgezogen. Der nach einer Durchschnittsberechnung vom Gesetzgeber festgelegte Kinderfreibetrag legt für alle Kinder ein sächliches Existenzminimum zugrunde, das niedriger ist als der sozialhilferechtliche Regelbedarf eines Kindes ab dem sechsten Lebensjahr. Das gilt auch für ältere oder volljährige Kinder, die zum Beispiel wegen einer Ausbildung oder als behinderte Kinder zu berücksichtigen sind.

FG Niedersachsen hält Freibeträge für zu niedrig

Der 7. Senat des FG Niedersachsen ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Gesetzgeber die Höhe der Kinderfreibeträge in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgelegt hat. Die vom Gesetzgeber verwendete Berechnungsweise führe dazu, dass die Klägerin Einkommensteuer auf das Existenzminimum ihrer zwei Töchter (16 und 21 Jahre alt, in Ausbildung) zahlen müsse. Außerdem hätte der Gesetzgeber auch nach seiner eigenen Berechnungsmethode für das Streitjahr 2014 in jedem Fall einen um jährlich 72 Euro höheren Freibetrag ansetzen müssen. Der Senat hat das Klageverfahren daher nach Art. 100 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die gesetzliche Regelung zur Höhe der Kinderfreibeträge verfassungswidrig ist.

Problematik bleibt auch nach Erhöhung des Freibetrags bestehen

Die Entscheidung hat laut FG Bedeutung für alle Eltern, die für ihre Kinder einen Anspruch auf Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag haben. Eine Erhöhung der einkommensteuerlichen Kinderfreibeträge wirke sich nicht nur bei solchen Steuerpflichtigen aus, für die der Kinderfreibetrag günstiger ist als das Kindergeld, sondern betreffe alle, weil die Kinderfreibeträge immer bei der Festsetzung der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlages berücksichtigt werden. Auch die am 01.12.2016 vom Deutschen Bundestag beschlossene Erhöhung des Kinderfreibetrages um 72 Euro ab 01.01.2017 würde an der Problematik nichts ändern, weil die Berechnungsmethode unverändert bleibe.

Bund der Steuerzahler: Millionen Eltern könnten Erstattungen verlangen

"Der heutige Vorlagebeschluss des Finanzgerichts ist ein wichtiges Signal an den Gesetzgeber, Kinder im Steuerrecht ausreichend zu berücksichtigen“, sagte der Präsident des Bundes der Steuerzahler (BdSt) Reiner Holznagel. Halte das BVerfG die Freibeträge ebenfalls für zu gering, könnten Millionen Eltern eine Erstattung erhalten. Der BdSt unterstützt eigenen Angaben zufolge das Parallelverfahren eines Familienvaters vor dem FG München (Az.: 8 K 2426/15).

FG Niedersachsen, Beschluss vom 02.12.2016 - 7 K 83/16

Redaktion beck-aktuell, 5. Dezember 2016.