BVerfG soll über Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der Ab­gel­tungsteu­er ent­schei­den
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Das Fi­nanz­ge­richt Nie­der­sach­sen hält die 2009 ein­ge­führ­te Ab­gel­tungsteu­er auf Ka­pi­tal­ein­künf­te für ver­fas­sungs­wid­rig. Sie sei nicht mit dem Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem sich dar­aus er­ge­ben­den Grund­satz der gleich­mä­ßi­gen Be­steue­rung nach der in­di­vi­du­el­len Leis­tungs­fä­hig­keit ver­ein­bar. Be­zie­her pri­va­ter Ka­pi­tal­ein­künf­te hät­ten Vor­tei­le, ohne dass dies (noch) ge­recht­fer­tigt wäre. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt möge die zu­grun­de lie­gen­den Vor­schrif­ten (§ 32d Abs. 1 EStG in Ver­bin­dung mit § 43 Abs. 5 EStG) auf ihre Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit prü­fen.

Ge­werb­li­che Ein­künf­te und Ka­pi­tal­ein­künf­te er­zielt

Der Klä­ger er­ziel­te als selbst­stän­di­ger Ver­si­che­rungs­mak­ler ge­werb­li­che Ein­künf­te, die mit sei­nem per­sön­li­chen Ein­kom­men­steu­er­satz von über 25% be­steu­ert wur­den. Da­ne­ben er­hielt er Ka­pi­tal­ein­künf­te in Form von ver­deck­ten Ge­winn­aus­schüt­tun­gen aus meh­re­ren Be­tei­li­gun­gen an Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten und von Zin­sen. Diese wur­den mit dem ab­gel­ten­den Steu­er­satz in Höhe von 25% be­steu­ert.

Steu­er­pflich­ti­ger wen­det sich gegen Fest­set­zun­gen des Fi­nanz­amts

Im Rah­men einer Be­triebs­prü­fung ge­lang­te das be­klag­te Fi­nanz­amt zu der Auf­fas­sung, dem Klä­ger seien Pro­vi­si­ons­zah­lun­gen zu­zu­rech­nen, die bis­her einer an­de­ren Per­son zu­ge­ord­net wor­den waren. Es er­höh­te den ge­werb­li­chen Ge­winn – und damit die Ein­kom­men­steu­er – des Klä­gers ent­spre­chend. Hier­ge­gen wand­te sich der Klä­ger mit sei­ner Klage und trug vor, die Pro­vi­sio­nen seien ihm zu Un­recht zu­ge­rech­net wor­den. Au­ßer­dem sei bei der Er­mitt­lung sei­ner Ein­künf­te aus Ka­pi­tal­ver­mö­gen der An­satz des Spa­rer-Frei­be­tra­ges un­ter­blie­ben.

FG folgt An­sicht des Klä­gers

Das FG Nie­der­sach­sen folgt der Auf­fas­sung des Klä­gers. Es hält die Er­hö­hung des Ge­winns für un­zu­tref­fend. Das be­klag­te Fi­nanz­amt habe die Zu­rech­nung der Pro­vi­sio­nen an den Klä­ger nicht nach­voll­zieh­bar be­le­gen kön­nen. Auch sei der Spa­rer-Frei­be­trag zu Un­recht nicht be­rück­sich­tigt wor­den.

Klage den­noch er­folg­los: Ka­pi­tal­ein­künf­te zu nied­rig be­steu­ert

Den­noch hat die Klage (der­zeit) kei­nen Er­folg, da die ge­gen­über dem Klä­ger fest­ge­setz­te Steu­er auf die Ka­pi­tal­ein­künf­te nach recht­li­cher Auf­fas­sung des 7. Se­nats zu nied­rig ist.

FG sieht Ver­stoß gegen Gleich­be­hand­lung aller Ein­kunfts­ar­ten

Der Senat ist über­zeugt, dass die An­wen­dung der Ab­gel­tungsteu­er, also der An­satz des ab­gel­ten­den Steu­er­sat­zes in Höhe von 25%, auf die Ka­pi­tal­ein­künf­te zwar auf Grund­la­ge der gel­ten­den Ge­set­zes­la­ge zu­tref­fend er­folgt sei, die zu­grun­de lie­gen­den Vor­schrif­ten aber gegen die in Art 3 Abs. 1 GG ver­an­ker­te Vor­ga­be der Gleich­be­hand­lung aller Ein­kunfts­ar­ten und einer gleich­mä­ßi­gen Be­steue­rung nach der in­di­vi­du­el­len Leis­tungs­fä­hig­keit ver­sto­ßen und daher ver­fas­sungs­wid­rig sind.

Be­zie­her pri­va­ter Ka­pi­tal­ein­künf­te bei Be­steue­rung im Vor­teil

Die Ab­gel­tungsteu­er führe zu einer Un­gleich­be­hand­lung zwi­schen Be­zie­hern pri­va­ter Ka­pi­tal­ein­künf­te und den üb­ri­gen Steu­er­pflich­ti­gen. Wäh­rend die Be­zie­her von Ka­pi­tal­ein­künf­ten (nach § 32d Abs. 1 EStG in Ver­bin­dung mit § 43 Abs. 5 EStG) mit einem Son­der­steu­er­satz von 25% ab­gel­tend be­las­tet wür­den, un­ter­lä­gen die üb­ri­gen Steu­er­pflich­ti­gen gemäß § 32a EStG einem Steu­er­satz von bis zu 45%.

Keine Er­for­der­lich­keit zu Be­sei­ti­gung struk­tu­rel­len Voll­zugs­de­fi­zits mehr

Die in den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en ge­nann­ten Recht­fer­ti­gungs­grün­de ge­nüg­ten den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen nicht. Wei­te­re Recht­fer­ti­gungs­grün­de seien nicht er­sicht­lich. Die Ab­gel­tungsteu­er sei nicht zur Ver­wirk­li­chung eines ef­fek­ti­ven Steu­er­voll­zugs oder zur Be­sei­ti­gung eines et­wai­gen struk­tu­rel­len Voll­zugs­de­fi­zits ge­eig­net. Un­ab­hän­gig von der Frage der grund­sätz­li­chen Ge­eig­net­heit der Re­ge­lung sei die Er­for­der­lich­keit zwi­schen­zeit­lich ent­fal­len, da sich seit dem In­kraft­tre­ten der Ab­gel­tungsteu­er die Mög­lich­kei­ten der Fi­nanz­ver­wal­tung, im Aus­land be­find­li­ches Ver­mö­gen zu er­mit­teln, stark ver­bes­sert hät­ten.

Ab­gel­tungsteu­er be­dingt auch keine Ver­ein­fa­chung im Be­steue­rungs­ver­fah­ren

Die Ab­gel­tungsteu­er sei weder zur Stand­ort­för­de­rung des deut­schen Fi­nanz­plat­zes ge­eig­net noch führe sie zu einer we­sent­li­chen Ver­ein­fa­chung im Be­steue­rungs­ver­fah­ren.

BVerfG soll Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der Ab­gel­tungsteu­er klä­ren

Ent­spre­chend der sich aus Art. 100 Abs. 1 GG er­ge­ben­den Ver­pflich­tung hat der 7. Senat des FG Nie­der­sach­sen das Kla­ge­ver­fah­ren daher aus­ge­setzt, um die Ent­schei­dung des BVerfG dar­über ein­zu­ho­len, "ob § 32d Abs. 1 EStG in Ver­bin­dung mit § 43 Abs. 5 EStG in den in den Jah­ren 2013, 2015 und 2016 gel­ten­den Fas­sun­gen in­so­weit mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar sind, als dass sie für Ein­künf­te aus pri­va­ten Ka­pi­tal­er­trä­gen einen Son­der­steu­er­satz in Höhe von 25% mit ab­gel­ten­der Wir­kung vor­se­hen".

FG Niedersachsen, Beschluss vom 18.03.2022 - 7 K 120/21

Redaktion beck-aktuell, 31. März 2022.

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