Leistungen einer Hygienefachkraft an Alten- und Pflegeheime umsatzsteuerfrei

Leistungen, die eine selbstständige Hygienefachkraft gegenüber Alten- und Pflegeeinrichtungen erbringt, sind umsatzsteuerfrei. Dies hat das Finanzgericht Münster entschieden. Die Steuerbefreiung ergebe sich zwar nicht aus dem UStG, aber unmittelbar aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL). Das FG hat die Revision zugelassen.

Streit um Leistungen selbstständiger Hygienefachkraft

Der Kläger ist ausgebildeter Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene und als selbstständige Hygienefachkraft tätig. Seine Leistungen erbringt er unter anderem gegenüber Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegezentren. Hierzu gehören die Schulung, Beratung und Fortbildung des Personals, die Erstellung von Hygienekonzepten und -plänen, die Festlegung der Vorgehensweise bei einer Isolierung von Patienten sowie Hausbegehungen. Das Finanzamt behandelte die gegenüber Krankenhäusern erbrachten Leistungen des Klägers als umsatzsteuerfrei, unterwarf jedoch seine gegenüber Alten- und Pflegeheimen erbrachten Leistungen der Besteuerung. Mit seiner Klage begehrte der Kläger eine vollständige Freistellung seiner Umsätze, da Altenheime im Hinblick auf Hygienestandards Krankenhäusern gleichzustellen seien.

FG: Keine Steuerbefreiung nach UStG

Das FG hat der Klage stattgegeben. Die streitigen Leistungen fielen zwar nicht unter eine nationale Befreiungsvorschrift des UStG. Den für eine Einordnung der Leistungen als Heilbehandlungen im Sinn von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG erforderlichen unmittelbaren Bezug zu einer Behandlungstätigkeit in Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen im Einzelfall habe der Kläger nicht nachgewiesen. Aus dem gleichen Grund könne er sich auch nicht auf die Befreiungsvorschrift für Leistungen einer Hygienefachkraft zur Verhütung von nosokomialen Infektionen und zur Vermeidung der Weiterverbreitung von Krankheitserregern (§ 4 Nr. 14 Buchst. e UStG) berufen. Zudem sei diese Vorschrift im Streitjahr 2012 noch nicht anwendbar gewesen. Auch die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d und e UStG lägen nicht vor, da die Alten- und Pflegeheime keine häusliche Pflege erbracht haben bzw. der Kläger seine Leistungen gegenüber den Einrichtungen nicht unmittelbar gegenüber den Heimbewohnern erbracht habe.

Aber unmittelbare Berufung auf Mehrwertsteuerrichtlinie

Der Kläger könne sich aber unmittelbar auf die MwStSystRL berufen. Die streitigen Umsätze fielen unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, wonach eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen steuerfrei seien. Diese Vorschrift sei nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt worden, sodass der Kläger sich unmittelbar hierauf berufen könne. Die Hygieneleistungen seien eng mit den der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätzen der Alten- und Pflegeheime verbunden, da gerade dort die Einhaltung hygienischer Anforderungen unerlässlich sei, was insbesondere während der noch andauernden Corona-Pandemie mehr als deutlich geworden sei. Gerade Bewohner dieser Einrichtungen seien besonders anfällig für Infektionen und damit besonders schutzbedürftig. Der Kläger sei auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen, da sein Tätigkeitsbereich durch spezifische Vorschriften des HeimG sowie durch Empfehlungen der beim Robert-Koch-Institut eingerichteten Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention geregelt und die Tätigkeit von überragendem Gemeinwohlinteresse sei.

FG Münster, Urteil vom 01.06.2021 - 15 K 2712/17 U

Redaktion beck-aktuell, 15. Oktober 2021.