Unionsrechtlicher Zinsanspruch auch bei Rechtsanwendungsfehlern?

Müssen Mitgliedstaaten zu erstattende Einfuhr- oder andere Abgaben auch dann ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung verzinsen, wenn die Erhebung nicht auf einem später für unionsrechtswidrig erklärten Rechtsetzungsakt beruhte, sondern auf einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts durch die Behörden? Dies möchte das Finanzgericht Hamburg wissen und hat den Europäischen Gerichtshof zum Umfang des unionsrechtlichen Zinsanspruchs angerufen.

Bisherige EuGH-Rechtsprechung betraf Rechtssetzungsfehler

Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH besteht eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedsstaaten, zu erstattende Beträge ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen, wenn Einfuhr- oder andere Abgaben unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben worden sind. Sämtliche Entscheidungen betrafen einen Ausgleich für Zahlungen, die aufgrund von Normen erfolgt waren, die später wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärt wurden. Sie beruhten mithin auf einem Rechtssetzungsfehler.

FG-Verfahren betreffen Rechtsanwendungsfehler der Behörden

In den drei Verfahren vor dem FG Hamburg geht es dagegen um Folgen von Rechtsanwendungsfehlern. Dem geltend gemachten Zinsanspruch liegt in dem Verfahren 4 K 67/18 eine Entscheidung zugrunde, mit der das Hauptzollamt zu Unrecht Einfuhrabgaben nacherhoben hatte, weil es Ware fehlerhaft einer Position der Kombinierten Nomenklatur zugeordnet hatte. In der Sache 4 K 56/18 hatte das Hauptzollamt eine Unterposition der Kombinierten Nomenklatur falsch ausgelegt und zu Unrecht die Gewährung von Ausfuhrerstattungen verweigert und überdies eine Sanktion wegen vermeintlich überhöhter Beantragung von Ausfuhrerstattung verhängt. Im Verfahren 4 K 14/20 hatte die Behörde schließlich einen fehlerhaften Sachverhalt zugrunde gelegt. Nach nationalem Recht kam eine Verzinsung der Erstattungsansprüche jeweils nur für Zeiten der Rechtshängigkeit nach § 236 AO in Betracht.

FG: Unionsrechtlicher Zinsanspruch auch bei Einzelfallentscheidungen der Behörden?

Der EuGH müsse nun entscheiden, ob seine Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Zinsanspruch auch auf Einzelfallentscheidungen von Verwaltungsbehörden auszudehnen ist. Die bisherige Rechtsprechung beruhe im Kern auf der Überlegung, dass die Wirkungen von Handlungen der Union oder der Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht fortbestehen sollen, sofern der EuGH diese Handlungen wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärt (argumentum e contrario Art. 264 UAbs. 2 AEUV). In Konsequenz dieser Erwägungen solle der Einzelne nicht nur einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Abgaben, sondern auch der Beträge haben, die im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Abgaben an den Mitgliedstaat gezahlt oder einbehalten worden seien, worunter auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen fallen sollen. Der Zustand solle wiederhergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der Rechtsakt zur Durchführung der später für ungültig oder nichtig erklärten Unionsverordnung oder zur Umsetzung des mit dem Unionsrecht unvereinbaren mitgliedstaatlichen Steuergesetzes nicht erlassen worden wäre. Aus Sicht des betroffenen Steuerpflichtigen dürfte es letztlich keinen Unterschied machen, ob seine Einbußen auf einem später für unionsrechtswidrig erklärten Rechtsetzungsakt oder auf einer Einzelfallentscheidung beruhen, die unter Missachtung von Unionsrecht ergangen sei.

FG Hamburg, Beschluss vom 20.08.2020 - 4 K 56/18

Redaktion beck-aktuell, 2. Oktober 2020.

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