Wegzugsbesteuerung bei Umzug eines Gesellschafter-Geschäftsführers in die Schweiz

Zieht ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer Schweizer Kapitalgesellschaft von Deutschland in die Schweiz, unterliegen seine Wertzuwächse aus der Beteiligung nicht bereits bei Wegzug der inländischen Einkommensteuer. Dies hat das Finanzgericht Baden-Württemberg entschieden. Gegen die Entscheidung ist beim Bundesfinanzhof die Revision anhängig.

Wegzug in die Schweiz

Der verheiratete Kläger mit deutscher Staatsangehörigkeit ist zu 50% an einer Kapitalgesellschaft in der Schweiz beteiligt und deren Geschäftsführer. Im Streitjahr 2011 mietete er eine Wohnung in der Schweiz an. Seine Ehefrau wohnte weiterhin in Deutschland. Der Kläger beantragte die Einzelveranlagung und erklärte in seiner Einkommensteuererklärung, als Grenzgänger nicht im Inland der Besteuerung zu unterliegen.

Finanzamt nahm Wegzugsbesteuerung vor

Das beklagte Finanzamt gelangte zu dem Ergebnis, der Kläger habe infolge seines Wegzugs in die Schweiz einen Veräußerungsgewinn zu versteuern (sogenannte Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG in Verbindung mit§ 17 EStG, jeweils in der im Streitzeitraum gültigen Fassung). Das Finanzamt setzte Einkommensteuer fest. Dagegen wendet sich der Kläger. Die Besteuerung und sofortige Erhebung der Steuer verstoße gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz (FZA). Während des Rechtsbehelfsverfahrens änderte das Finanzamt die Steuerhöhe zugunsten des Klägers. Dieser bezahlte die Einkommensteuer "vorläufig".

FG: Wegzugsbesteuerung ohne Zahlungsaufschub rechtswidrig

Das FG hat entschieden, das das Finanzamt zu Unrecht die Wegzugsbesteuerung ohne Aufschub der Zahlung der geschuldeten Steuer vorgenommen hat. Eine Wegzugsbesteuerung ohne Zahlungsaufschub der geschuldeten Einkommensteuer verletze das Recht des Klägers auf Gleichbehandlung sowie sein Niederlassungsrecht nach dem FZA. Der Tenor des für den Senat - auf seine Vorlage hin ergangenen - unmittelbar verbindlichen Urteils des EuGH sei im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen. Das FZA sei Bestandteil der Gemeinschaftsordnung und anwendbar. Im Fall einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Rechtsvorschrift bewirke es deren Nichtanwendbarkeit.

Recht auf Gleichbehandlung aus FZA verletzt

Der Anwendungsbereich des FZA sei eröffnet, so das FG weiter. Der Kläger sei Selbstständiger im Sinn des FZA und könne sich auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung sei im Streitfall verletzt. Der Kläger habe sein Recht auf Niederlassung in der Schweiz ausgeübt und erleide infolge des Wegzugs einen steuerlichen Nachteil. Er müsse Einkommensteuer auf den Wertzuwachs seiner Beteiligung bereits bei Wegzug zahlen. Dies führe zu einem Liquiditätsnachteil. Ein solcher sei geeignet, einen Steuerpflichtigen davon abzuhalten, von seinem Niederlassungsrecht gemäß FZA tatsächlich Gebrauch zu machen.

Aufteilung der Besteuerungsbefugnis kein Rechtfertigungsgrund

Die Ungleichbehandlung sei auch nicht gerechtfertigt. Im Streitfall sei zwar die Bestimmung der Steuer im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz eine geeignete Maßnahme, um die Erreichung des Ziels in Bezug auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen der Schweiz und Deutschland sicherzustellen. Dieses Ziel sei jedoch keine Rechtfertigung dafür, dass ein Aufschub der Zahlung der geschuldeten Steuer unmöglich sei. Eine Stundung stelle keinen Verzicht auf die Befugnis der Besteuerung der Wertzuwächse dar. Ein fehlender Zahlungsaufschub gehe auch über das hinaus, was zur Erreichung einer wirksamen steuerlichen Kontrolle nötig sei. Das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz sehe einen Austausch von Steuerinformationen zwischen den Vertragsstaaten vor. Deutschland könne die notwendigen Informationen über die Veräußerung der Gesellschaftsanteile erhalten. Außerdem bestehe die Möglichkeit einer Sicherheitsleistung, da es mit der Schweiz keine Mechanismen der gegenseitigen Unterstützung bei der Beitreibung von Steuerforderungen gebe. 

Steuerfestsetzung bereits rechtswidrig

Im Streitfall sei nicht erst das Leistungsgebot im Einkommensteuerbescheid für 2011 rechtswidrig, sondern bereits die Steuerfestsetzung. Der EuGH beurteile das "Steuersystem". Ein solches sei ein Gebilde, das aus mehreren Komponenten bestehe. § 6 AStG enthalte Komponenten der Festsetzung und der Erhebung. Danach bestehe die Möglichkeit, von der sofortigen Erhebung der Steuer im Fall erheblicher Härten und bei einem Wegzug in das EU-/EWR-Ausland abzusehen, jedoch nicht bei einem Wegzug in die Schweiz. Insoweit gelte § 36 Absatz 4 Satz 1 EStG, wonach die fällige Einkommensteuer sofort zu zahlen sei. Eine zinslose Stundung von Amts wegen sehe weder das AStG noch das EStG oder ein anderes Gesetz vor. Infolgedessen werde das nationale Recht den Bestimmungen des FZA nicht gerecht. Beim Bundesfinanzhof ist unter dem Aktenzeichen I R 35/20 die Revision anhängig.

FG Baden-Württemberg, Entscheidung vom 31.08.2020 - 2 K 835/19

Redaktion beck-aktuell, 5. November 2020.