Zulässigkeit trotz vorläufiger Festsetzung bejaht
Entgegen der Auffassung des beklagten Finanzamts sei die Klage zulässig, obwohl die Festsetzung hinsichtlich der Frage, ob der Solidaritätszuschlag verfassungsgemäß sei, vorläufig ergangen sei. Die beim BVerfG anhängigen Verfahren (Az.: 2 BvR 1505/20, 2 BvL 6/14 und 2 BvR 1421/19) könnten nach Auffassung des FG Baden-Württemberg unzulässig sein beziehungsweise unterschieden sich vom Streitfall. So richte sich das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvR 1505/20 unmittelbar gegen die gesetzliche Neuregelung des Solidaritätszuschlags. Der Rechtsweg sei im Gegensatz zum Streitfall nicht ausgeschöpft worden. Die Verfahren 2 BvL 6/14 und 2 BvR 1421/19 beträfen weder Veranlagungszeiträume nach dem Auslaufen des Solidarpakts II noch die streitgegenständliche Gesetzesfassung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags ab dem Veranlagungszeitraum 2021. Diese eröffne im Vergleich zu den vorherigen Gesetzesfassungen neue Streitfragen, so das FG.
FG Baden-Württemberg nicht von Verfassungswidrigkeit des "Soli" überzeugt
Der Zehnte Senat des FG Baden-Württemberg war auch nicht von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags ("Soli") überzeugt und wies deshalb die Klage als unbegründet ab. Er berücksichtigte die Gesetzesbegründung zur Einführung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe (Ausgleich teilungsbedingter Sonderlasten), die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (verfassungsgemäße Festsetzung des Solidaritätszuschlags aufgrund der fiskalischen Ausnahmensituation infolge der Wiedervereinigung), das Auslaufen des Solidarpakts II mit Auswirkungen auf den Finanzausgleich seit 2020 sowie den Sinn und Zweck einer Ergänzungsabgabe (subsidiäres Finanzmittel zur Finanzierung eines aufgabenbezogenen Mehrbedarfs des Bundes), deren Aufkommen ausschließlich dem Bund zustehe.
Verhältnis zwischen Steuereinnahmen und Höhe des "Soli" angemessen
Die Ergänzungsabgabe beschränke sich auf Mehrbelastungen des Bundes, führt das FG aus. Die Gestaltungsfreiheit ermögliche die Wahl zwischen einer Ergänzungsabgabe und einer Steuererhöhung, solange die dem Bund und den Ländern zustehenden Steuern nicht ausgehöhlt würden. Die kassenmäßigen Steuereinnahmen sowie die Höhe des Solidaritätszuschlags belegten jedoch ein angemessenes Verhältnis.
Ergänzungsabgabe muss nicht befristet erhoben werden
Entgegen den Ausführungen der Kläger müsse eine Ergänzungsabgabe weder befristet noch nur für einen kurzen Zeitraum erhoben werden. Dies gelte im Streitfall auch, obwohl eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe verfassungswidrig werden könne, wenn sich die für die Einführung maßgebenden Verhältnisse grundlegend änderten. Denn der wiedervereinigungsbedingte zusätzliche Finanzierungsbedarf des Bundes, zum Beispiel im Bereich der Rentenversicherung, bestehe fort, so das FG. Außerdem habe der Gesetzgeber "die konkrete fiskalische Ausnahmelage hinreichend deutlich erkennbar" gemacht. Eine genaue Bezeichnung der zu finanzierenden Aufgaben in der Gesetzesbegründung, das heißt die Angabe einer detaillierten Zweckbestimmung, sei nicht erforderlich. Auch könnten neue Aufgaben hinzukommen, so zum Beispiel die Finanzierung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und der Ausnahmesituation infolge des Ukraine-Konflikts. Dieser besondere Finanzbedarf könne zu berücksichtigen sein, so das Gericht.
Stärkere Besteuerung höherer Einkommen entspricht Leistungsfähigkeitsprinzip
Im Haushaltsplan könnte eine entsprechende Feststellung erfolgen. Auch die konkrete Ausgestaltung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags ab dem Veranlagungszeitraum 2021 sei verfassungsgemäß. Freigrenzen und eine "sogenannte Milderungszone" seien unter Beachtung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit und der zulässigen Verfolgung von Förderungs- und Lenkungszwecken aus sozialen Gründen zulässig. Diese Maßnahmen mit stärkerer Besteuerung höherer Einkommen entsprächen dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Sie stellten nach der Gesetzesbegründung zudem "eine wirksame Maßnahme zur Stärkung der Arbeitsanreize, Kaufkraft und Binnenkonjunktur dar. Bürgerinnen und Bürger mit mittleren und niedrigeren Einkommen hätten eine deutlich höhere Konsumquote als Spitzenverdienende, das heißt sie seien typischerweise gezwungen, deutlich mehr von ihrem Einkommen für Güter und Dienstleistungen auszugeben."
Ausgleich über Senkung des Spitzensteuersatzes
Im Übrigen sei bereits der Spitzensteuersatz gesenkt und ein Ausgleich geschaffen worden, so das FG weiter. In Bezug auf die Besteuerung von Kapitalerträgen gebe es eine sogenannte Günstigerprüfung, sodass diese Einkünfte entweder mit dem Abgeltungssteuersatz mit Festsetzung eines Solidaritätszuschlags in voller Höhe auf die Kapitalertragsteuer oder mit dem niedrigeren individuellen Steuersatz berechnet werden können. Außerdem sei die fehlende Einbeziehung von Körperschaften in die geplante Abschmelzung des Solidaritätszuschlags infolge der völlig anderen Tarifstruktur zulässig.