Ein Jahr Feminist Law Clinic: 500 ausgebildete Beraterinnen, 100 Fälle und noch viel vor
Feminist Law Clinic

Vor etwa einem Jahr gründeten drei Jurastudentinnen aus Köln die Feminist Law Clinic – Die erste ehrenamtliche Rechtsberatungsstelle für FLINTA* und queere Menschen. Inzwischen gibt es deutschlandweit Ortsgruppen mit über 500 Beraterinnen und Beratern. Was sich im letzten Jahr alles getan hat, erzählen die Gründerinnen Lilith Rein, Karla Steeb und Lilian van Rey.

beck-aktuell: Die Idee für eine feministische Law Clinic entstand vor über einem Jahr an Ihrem WG-Küchentisch in Köln – damals noch zu dritt. Was hat sich im vergangenen Jahr bei Ihnen getan?

Karla Steeb: Seit Anfang 2025 beraten wir rechtlich. Bisher haben wir rund 100 Fälle übernommen. Darüber hinaus unterstützen wir viele weitere Personen, etwa in offenen Sprechstunden oder durch kurze rechtliche Einschätzungen und Weiterleitung an spezialisierte Anwältinnen und Anwälte sowie Beratungsstellen. So können wir auch Menschen helfen, deren Anliegen nicht in unserem Beratungsrahmen liegt, und gleichzeitig sicherstellen, dass sie professionell begleitet werden. Wir haben außerdem unsere ersten beiden Ausbildungskurse erfolgreich hinter uns gebracht. Insgesamt konnten wir knapp 500 Beraterinnen und Berater in ganz Deutschland dazu gewinnen.

Lilith Rein: Inzwischen arbeiten wir außerdem mit dem Institut für ausländisches und internationales Strafrecht unter der Leitung von Prof. Dr. Bettina Weißer zusammen. Durch die Kooperation konnten wir unsere Vorlesungsreihe "Feminismus & Recht" fest im Curriculum der Universität Köln verankern.

Feministische Vorlesungsreihe bundesweit gestreamt

beck-aktuell: Sie bilden auch aus. Was darf man sich darunter vorstellen?

Karla Steeb: Unser erstes Ausbildungsformat war ein verlängertes Intensivwochenende im Dezember 2024, bei dem wir Studierende in feministischer Rechtsberatung ausgebildet haben. In neun Vorträgen und Workshops behandelten wir verschiedene Themenbereiche, in denen die Teilnehmenden später beraten werden – von Diskriminierungsschutz über sexualisierte Gewalt bis hin zu Arbeits- und Familienrecht. Im Anschluss legten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Abschlusstest ab und erhielten eine Einführung in die Mandatsarbeit sowie eine Schulung zum Rechtsdienstleistungsgesetz.

Lilith Rein: Seit dem Sommersemester 2025 bieten wir außerdem eine von uns organisierte Vorlesungsreihe an der Universität Köln an. Sie wird bundesweit gestreamt, sodass auch unsere Ortsgruppen an anderen Universitäten teilnehmen können. Jede Woche hält eine andere Person einen Vortrag, darunter Professorinnen, Anwälte und Staatsanwältinnen.

beck-aktuell: In welchen Fachbereichen werden die von Ihnen ausgebildeten Beraterinnen und Berater später tätig?

Lilith Rein: Wir beraten FINTA*-Personen und queere Menschen primär im Arbeitsrecht und im Familienrecht zu Themen wie dem Unterhalts-, Sorge- oder Umgangsrecht. Zudem beraten wir zum Schwangerschaftsabbruch. Bald wollen wir auch eine Schulung im Sportrecht anbieten, um über die rechtlichen Möglichkeiten aufzuklären, wenn Betroffene beispielsweise einen Übergriff innerhalb eines Vereins erlebt haben.

"Die Feminist Law Clinic ist im Sexualstrafrecht eine wichtige Anlaufstelle"

beck-aktuell: Welche Themen werden denn am häufigsten nachgefragt?

Karla Steeb: Besonders häufig beraten wir zum Unterhaltsrecht (36,6%) und zur sexuellen Nötigung (26,8%). Ebenfalls regelmäßig betreffen die Fälle eine Vergewaltigung (14,1%) oder eine Geschlechtsänderung (11,3%). Etwas seltener wenden sich Ratsuchende mit Fragen zu häuslicher Gewalt (5,6%), Sorgerecht (2,8%) oder Umgangsrecht (2,3%) an uns. Die Verteilung zeigt, dass die Feminist Law Clinic sowohl im Sexualstrafrecht als auch im Familien- und Personenstandsrecht eine wichtige Anlaufstelle ist. Da wir Fragen zum Sorge- und Umgangsrecht erst seit diesem Sommer beraten, erwarten wir, dass der Anteil dieser Fälle künftig steigen wird.

beck-aktuell: Warum lassen sich Menschen gerade von der Feminist Law Clinic beraten und nicht von Anwältinnen und Anwälten?

Karla Steeb: Dazu haben wir eine interne Umfrage gemacht. Daraus hat sich ergeben, dass es für die meisten Betroffenen nicht infrage kam, sich im ersten Schritt anwaltliche Hilfe zu suchen. Die Gründe sind hier vielfältig. Wir erhoffen uns, mit unserer Arbeit vor allem im Sexualstrafrecht die Anzeigeraten erhöhen zu können.

Lilian van Rey: Viele ratsuchende Personen wissen nicht über ihre Rechte Bescheid, etwa was die Prozessfinanzierung angeht oder sind damit überfordert. Hier helfen wir bei der Beratung und der Antragstellung.

beck-aktuell: Wie erfahren die Betroffenen von Ihrem Angebot?

Karla Steeb: Klientinnen und Klienten können uns über die Beratungsmail auf unserer Website kontaktieren oder in eine offene Sprechstunde in unseren Ortsgruppen in München, Köln und demnächst auch Göttingen kommen.

Zwei bis drei Beraterinnen arbeiten im Team

beck-aktuell: Wie läuft eine Beratung durch die Ehrenamtlichen der Feminist Law Clinic ab?

Karla Steeb: Wir haben immer ein Team von zwei bis drei Beraterinnen und Beratern pro Fall, damit niemand alleine ist. Im Bereich des Sexualstrafrechts beraten wir meist zum allgemeinen Ablauf eines Verfahrens und verweisen dann an die Volljuristinnen und Volljuristen, mit denen wir zusammenarbeiten. Diese übernehmen dann auch eine Supervision des jeweiligen Falles. Bei anderen Fällen außerhalb des Sexualstrafrechts nehmen wir direkt eine Aussage der Betroffenen auf.

Lilith Rein: Dabei klären wir zunächst die rechtliche und persönliche Situation in einem Gespräch. Danach prüfen unsere Beraterinnen und Berater, welche Schritte möglich und sinnvoll sind und besprechen den Fall in der Supervision mit einer Anwältin oder einem Anwalt. Auf dieser Grundlage erhält die ratsuchende Person eine Einschätzung mit Empfehlungen für das weitere Vorgehen. Wenn ein Anliegen außerhalb unseres Beratungsrahmens liegt, verweisen wir an passende Fachanwältinnen und Fachanwälte oder Beratungsstellen.

beck-aktuell: Was waren im letzten Jahr die größten Hürden bei Ihrer Arbeit? Wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?

Lilith Rein: Grundsätzlich beraten wir nur in Fällen, in denen unsere Beraterinnen und Berater entsprechend ausgebildet sind. Wenn eine Anfrage außerhalb unseres Kompetenzbereichs liegt, übernehmen wir den Fall nicht selbst, sondern verweisen an geeignete Fachstellen oder Anwältinnen und Anwälte.

Lilian van Rey: Inhaltlich sind wir bislang nicht an unsere Grenzen gestoßen, was vor allem an unserem Supervisionsprinzip liegt: Nach jedem Gespräch mit einer ratsuchenden Person besprechen die Beraterinnen und Berater den Fall intern, entwickeln mögliche Handlungsschritte und klären offene Fragen mit erfahrenen Anwältinnen und Anwälten. Durch diesen regelmäßigen Austausch stellen wir sicher, dass jede Beratung rechtlich fundiert und verantwortungsvoll erfolgt.

Eine Herausforderung anderer Art: Unser ehrenamtliches Engagement alleine reicht nicht aus, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen fehlen. Immer öfter müssen Ehrenamtliche Lücken schließen, die eigentlich durch hauptamtliche Ressourcen getragen werden sollten.

"Wir finanzieren uns vor allem durch Spenden und Fördergelder"

beck-aktuell: Apropos Finanzierung – Sie wachsen und wachsen, doch Veranstaltungsräume, Zugfahrten und Dozierende wollen bezahlt werden. Wie finanziert sich die Feminist Law Clinic?

Karla Steeb: Aktuell finanzieren wir uns vor allem durch Spenden und Fördergelder, die jedoch meistens nur für eine bestimmte Zeit gewährt werden. Da unser Engagement vollständig ehrenamtlich getragen wird, sind wir dringend auf der Suche nach weiteren Fördermitgliedern. Aktuell läuft dazu auf Startnext eine große Spendenkampagne.

Lilith Rein: Zudem fließen Preisgelder, die Mitglieder unseres Vorstands persönlich erhalten, vollständig in die Arbeit der Law Clinic. Ergänzend beantragen wir Projektförderungen bei verschiedenen Stiftungen, um unsere Ausbildungs- und Beratungsangebote langfristig abzusichern.

beck-aktuell: Erhält die Feminist Law Clinic von der Uni ausreichend Unterstützung?

Lilian van Rey: Leider haben wir nicht so viel Unterstützung von der Universität Köln bekommen, wie wir es gebraucht hätten. Von der fehlenden Unterstützung im Bereich Organisation waren wir alle ein bisschen enttäuscht.

Karla Steeb: Auffällig war, dass die Uni Köln andere Initiativen durch die Bereitstellung von Büroräumen unterstützt hat, was sie bei uns ohne erkennbaren Grund abgelehnt hat.

beck-aktuell: Auf Instagram hat die Feminist Law Clinic inzwischen über 12.000 Follower. Gibt es Anfeindungen in den Sozialen Medien oder im Alltag?

Lilian van Rey: Wie bei allem, was neu ist, gibt es natürlich eine gewisse Skepsis. Und traurigerweise ist es heutzutage fast normal, dass man online angefeindet wird. Hier geht es uns nicht anders als anderen Initiativen, die sich für feministische Themen einsetzen.

Karla Steeb: Mit persönlichen Anfeindungen in unserem Alltag haben wir glücklicherweise bislang keine Probleme gehabt.

Lilith Rein: Wir schützen uns jedoch auch, indem wir zum Beispiel eingestellt haben, dass man unsere Beiträge nicht kommentieren kann, wenn man uns nicht folgt.

Auszeichnung mit dem Europäischen Jugendkarlspreis

beck-aktuell: Anfang des Jahres hat die Feminist Law Clinic den Europäischen Jugendkarlspreis erhalten. Damit werden vom Europäischen Parlament jedes Jahr Projekte junger Leute ausgezeichnet, die zur Förderung von Demokratie und Zusammenarbeit in Europa beitragen. Hat Sie der Preis motiviert? Wo sehen Sie Ihre Initiative in ein paar Jahren?

Karla Steeb: Wir möchten uns gerne international über die Landesgrenzen hinaus vernetzen. Hier war der Jugendkarlspreis eine gute erste Möglichkeit. Wir möchten gerne mit Initiativen aus anderen Ländern Wissen austauschen und uns gegenseitig unterstützen.

Lilith Rein: Wir hatten auch schon Vorträge aus Italien und aus den USA und es war spannend, hier in den Austausch zu treten und zu sehen, was in der Praxis woanders bereits gut funktioniert.

Lilian van Rey: Wir wollen außerdem unser Angebot weiter ausbauen, indem wir mehr Beraterinnen und Berater ausbilden und dadurch Wartezeiten verkürzen. Zudem wollen wir die offenen Sprechstunden künftig flächendeckender in ganz Deutschland anbieten.

beck-aktuell: Welche Änderungen wünschen Sie sich im Hinblick auf feministische Themen in der juristischen Ausbildung?

Lilith Rein: Wir möchten uns dafür einsetzen, dass das Sexualstrafrecht Teil der juristischen Ausbildung wird. Denn solange das nicht der Fall ist, wird in diesem Bereich auch nicht so viel geforscht. Von staatlicher Stelle wünschen wir uns darüber hinaus, dass die Probleme von FLINTA* und queeren Menschen gesehen und in den politischen Diskurs mit aufgenommen werden.

beck-aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Pauline Brinkmann.

Redaktion beck-aktuell, jss, 10. Oktober 2025.

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