Familienausschuss: Geplantes Kinder- und Jugendstärkungsgesetz von Experten überwiegend kritisiert

Bei einer Anhörung im Familienausschuss des Bundestags haben Experten den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (BT-Drs. 18/12330) überwiegend kritisiert. Dies teilte der parlamentarische Pressedienst am 20.06.2017 mit. Zum Teil sei ein Stopp des Gesetzgebungsverfahrens gefordert worden, da das Vorhaben nicht dem aktuellen Forschungsstand entspreche.

Soziologe fordert Verfahrensstopp – Forschungsstand nicht berücksichtigt

Nach Ansicht des Soziologen Wolfgang Hammer entspricht der Gesetzentwurf nicht dem Forschungsstand und dem Erfahrungswissen über Stärken und Fehlentwicklungen. So finde beispielsweise der 15. Kinder- und Jugendbericht nahezu keine Berücksichtigung. Hammer forderte, das Gesetzgebungsverfahren zu stoppen und in der kommenden Legislaturperiode eine Enquete-Kommission für eine breit angelegte Reform der Kinder- und Jugendhilfe einzurichten.

Kinder- und Jugendpsychiater rügt fehlende "Große Lösung" bei SGB VIII-Reform

So weit wollte Jörg M. Fegert von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie zwar nicht gehen. Die konkreten Verbesserungen im Gesetzentwurf vor allem für Pflegekinder sollten umgesetzt werden. Allerdings kritisierte er, dass mit dem Gesetzgebungsverfahren die ursprüngliche anvisierte "Große Lösung" bei der Reform des SGB VIII aus Anlass der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Behindertenrechtskonvention nicht realisiert werde. In der kommenden Legislaturperiode müsse sich der Gesetzgeber dieses Problems erneut annehmen.

Familientherapeutin: Gesetzentwurf schwächt Herkunftsfamilien von Pflegekindern

Die Familientherapeutin Marie-Luise Conen hingegen monierte die Regelungen des Gesetzentwurfes zu Pflegekindern. Er komme erneut nicht der Forderung von Experten nach, Kinder und ihre Herkunftsfamilien zu stärken. Es fehle eine verbindliche Regelung, die eine gezielte Rückführung von Kindern aus Pflegefamilien in ihre Herkunftsfamilien ermögliche. Der Gesetzentwurf schwäche die Stellung der leiblichen Eltern in einem hohen Maß und ignoriere die Bindungen der Kinder zu ihnen. Deutschland sei mit einer Rückführungsquote von fünf Prozent ein Schlusslicht im internationalen Vergleich. Auch der Sozialpädagoge Reinhard Wiesner von der Freien Universität Berlin mahnte an, dass der Staat zunächst die Verpflichtung habe, die strukturellen Rahmenbedingungen für die Herkunftsfamilien zu verbessern. Stattdessen verlagere sich der Schutz von Kindern zunehmend in Richtung sozialer Kontrolle.

Experten begrüßen Einführung von Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe

Positiv bewertet wurde von den Sachverständigen die Einrichtung von Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe. Der Rechtswissenschaftler Ludwig Salgo von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main plädierte allerdings dafür, aus der Kann-Bestimmung im Gesetzentwurf eine Soll-Bestimmung zu machen. Alles andere wäre "kleinlich". Unabhängige Ombudsstellen hätten sich bewährt und seien anerkannt.

Ausufernde Bürokratie in Kinder- und Jugendarbeit kritisiert

Der Rechtsanwalt Thomas Mörsberger bemängelte prinzipiell eine ausufernde Bürokratie in der Kinder- und Jugendarbeit und bei der Arbeit mit Familien. Dies monierten auch Lisi Maier vom Deutschen Bundesjugendring und Stefan Funck vom Landesjugendamt des Saarlandes am Beispiel der ehrenamtlichen Jugendarbeit. So erschwere die geplante Ausweitung der Meldepflichten für erlaubnispflichtige Einrichtungen auch auf nicht erlaubnispflichtige Einrichtungen die ehrenamtliche Arbeit unnötig und stehe in keinem Verhältnis zum Regelungsbedarf.

Fachverband kritisiert Öffnungsklausel bei vorläufigen Leistungen an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Auf Ablehnung stieß die geplante Öffnungsklausel für die Bundesländer bei vorläufigen Leistungen an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Nach dieser Regelung könnte die Kostenerstattung der Länder an die Kommunen vom Abschluss eines Rahmenvertrages abhängig gemacht werden, monierten Ulrike Schwarz vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Sonja Schmidt von der Diakonie Deutschland. Diese Regelung sei diskriminierend und führe zu einer Zwei-Klassen-Jugendhilfe, sagte Schwarz.

Kommunen fordern vollen Kostenausgleich

Nach Ansicht der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände kommt auf die Kommunen als Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe eine massive Ausgabenerhöhung durch das Gesetzesvorhaben zu. Die Kosten seien im Entwurf nicht korrekt benannt. "Wir erwarten volle Kostentransparenz und einen vollständigen Ausgleich der finanziellen Mehrbelastungen für die Kommunen", sagte Stefan Hahn vom Deutschen Städtetag.

Redaktion beck-aktuell, 20. Juni 2017.