Familienausschuss: Experten überwiegend gegen Kostenbeitrag junger Menschen in Jugendhilfeeinrichtungen und Pflegefamilien

In einer Anhörung des Familienausschusses des Bundestags am 09.03.2020 haben Experten der Forderung von FDP- und Linksfraktion, den Kostenbeitrag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie in Pflegefamilien abzuschaffen, mehrheitlich zugestimmt. Dies teilte der parlamentarische Pressedienst am 10.03.2020 mit. Der Kostenbeitrag wirke demotivierend und behindere die Verselbstständigung der Betroffenen, so die Experten.

Derzeit Kostenbeitrag von bis zu 75% des Einkommens

Nach der aktuellen Gesetzeslage können junge Menschen, die sich in vollstationärer Betreuung durch eine Pflegeeinrichtung oder einer Pflegefamilie befinden, zu einem Kostenbeitrag von bis zu 75% ihres Einkommens, das sie im Rahmen ihrer Ausbildung oder eines Nebenjobs verdienen, herangezogen werden.

Sachverständige überwiegend für Streichung des Kostenbeitrags

Sowohl Markus Dostal vom Projekt Petra als auch Björn Hagen vom Evangelischen Erziehungsverband, Rechtsanwältin Gila Schindler von der Kanzlei für soziale Unternehmen, Carmen Thiele vom Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien und die Rechtswissenschaftlerin Friederike Wapler von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sprachen sich übereinstimmend dafür aus, auf die Kostenheranziehung zu verzichten. Sie schlossen sich der Argumentation der FDP- und der Linksfraktion an, dass junge Menschen nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden dürften, dass ihre leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, für sie sorgen zu können. Zudem würde die Kostenheranziehung demotivierend auf die jungen Menschen wirken, die auf die Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe angewiesen seien. Sie erschwere außerdem die Bildung eines finanziellen Vermögens und somit die Verselbstständigung der betroffenen jungen Menschen.

Öffnungsklausel problematisch

Auch die Öffnungsklausel in § 94 SGB VIII, die es ermögliche, auf die Kostenheranziehung zu verzichten oder diese zu reduzieren, sei problematisch. Zum einen führe dies zu einem höheren Verwaltungsaufwand in den Jugendämtern, zudem werde von dieser Möglichkeit in den Bundesländern höchst unterschiedlich Gebrauch gemacht.

Rechtswissenschaftler Wiesner gegen vollständige Abschaffung

Abweichend von den anderen Experten sprach sich der Rechtswissenschaftler Reinhard Wiesner von der Freien Universität Berlin gegen eine völlige Abschaffung des Kostenbeitrags aus. Stattdessen plädierte er für eine "deutliche" Verringerung auf beispielsweise 25%. Wiesner argumentierte, eine Vollversorgung aus öffentlichen Mitteln, die die Einnahmen der jungen Menschen völlig unberücksichtigt lasse, verstoße gegen das Grundprinzip des Nachrangs der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII. Zudem helfe dies jungen Menschen auch nicht, zu lernen, dass Kost und Wohnung mit Aufwendungen verbunden sind. Auch junge Menschen, die bei ihren Eltern lebten, würden nicht selten Anteile ihres Einkommens zu Hause abgeben.

Expertin des Deutschen Städtetag für mindestens 50% Kostenbeitrag

Auch Regina Offer vom Deutschen Städtetag wies darauf hin, dass auch in Familien, in denen der Lebensunterhalt durch die Eltern sichergestellt werde, das zivilrechtliche Unterhaltsrecht gelte und das regelmäßige Einkommen der Kinder bis zu einem Betrag zwischen 90 und 100 Euro auf den Unterhalt der Eltern angerechnet werde. Um keine Schlechterstellung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Herkunftsfamilien herbeizuführen, sollte eine Anpassung des Kostenbeitrags nur "vorsichtig erfolgen". Der Kostenbeitrag sollte deshalb 50% des regelmäßigen Einkommens nicht unterschreiten.

Redaktion beck-aktuell, 10. März 2020.

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