Fall Kavala: Europaratssanktionen gegen Türkei werden wahrscheinlicher

Im Streit um den inhaftierten türkischen Kulturförderer Osman Kavala rücken mögliche Sanktionen des Europarats gegen Ankara näher. Im laufenden Vertragsverletzungsverfahren beauftragte nun das Ministerkomitee den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einer erneuten Prüfung des Falls, wie die Straßburger Organisation gestern mitteilte. 

EGMR rügte Inhaftierung bereits 2019 als politisch motiviert

Der Europarat, der über die Einhaltung der Menschenrechte in seinen Mitgliedstaaten wacht, hatte zuletzt gegen die Türkei in einem historisch fast einmaligen Schritt ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Hintergrund ist die fortgesetzte Weigerung Ankaras, den seit vier Jahren inhaftierten Kavala freizulassen. Dem 64-Jährigen werden in einem Prozess in Istanbul ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten sowie "politische und militärische Spionage" im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Kavala weist die Vorwürfe strikt zurück. Der EGMR hatte schon vor rund zwei Jahren die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft.

Ausschluss der Türkei gilt als eher unwahrscheinlich

Als Mitgliedsland des Europarats ist die Türkei verpflichtet, sich an Urteile des Gerichts zu halten. Sollte der EGMR nun zu dem Schluss kommen, dass die Türkei sein Kavala-Urteil nicht umgesetzt hat, müsste das Ministerkomitee über weitere Schritte oder Sanktionen entscheiden - welche das wären, ist jedoch nicht festgeschrieben. Ein Ausschluss gilt dabei als schärfste Waffe, aber als eher unwahrscheinlich.

Scharfe Kritik aus der Türkei

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die Entscheidung scharf: "Was der Menschenrechtsgerichtshof, was der Europarat auch sagt, es interessiert uns nicht. Wir erwarten, dass unseren Gerichten Respekt entgegengebracht wird." In einer Mitteilung vom Mittwoch hatte das türkische Außenministerium dem Ministerkomitee bereits vorgeworfen, voreingenommen zu sein und sich in unabhängige Gerichtsprozesse in der Türkei einzumischen. Dass der Fall Kavala weiter auf der Tagesordnung stehe, sei "weit entfernt von gutem Willen", hieß es.

Redaktion beck-aktuell, 4. Februar 2022 (dpa).