Expertenstreit um Anhebung der Mindestrücklage in der Rentenversicherung

Die unterjährige Liquidität der gesetzlichen Rentenversicherung muss künftig besser gesichert werden. In dieser Einschätzung herrschte Einigkeit unter den zu einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 20.06.2022 geladenen Sachverständigen. Unterschiedliche Ansichten gab es jedoch bei der Frage, auf welche Höhe eine Anhebung der Mindestrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgen sollte.

DRV warnt vor dauerhafter Inanspruchnahme liquiditätssichernder Maßnahmen

Die Fraktion Die Linke bevorzugt in einem Gesetzentwurf (BT-Drs.:20/398) eine Anhebung von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben ab Januar 2023. Der Vorschlag der Rentenkommission aus der vergangenen Legislaturperiode lautete, die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben zu erhöhen. Holger Viebrok von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) betonte zwar, dass die Renten grundsätzlich sicher seien, warnte aber vor einem Vertrauensverlust in die langfristige Funktionsfähigkeit und die Stabilität der Rentenversicherung, wenn liquiditätssichernde Maßnahmen regelhaft in Anspruch genommen werden würden. Die zu begrüßende Anhebung der Mindestrücklage auf 0,4 Monatsausgaben in einem einzelnen Jahr würde mit einer Anhebung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung um etwa 0,3 Prozentpunkte verbunden sein.

Arbeitgeber erachten Anhebung auf 0,3 Monatsausgaben als ausreichend

Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) plädierte dafür, den Vorschlag der Rentenkommission “Verlässlicher Generationenvertrag“ umzusetzen. “Erstens sollte die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben erhöht werden und zweitens sollten die unterjährigen Zahlungen des Bundes an die gesetzliche Rentenversicherung künftig grundsätzlich bereits bis zum November eines Jahres geleistet werden“, sagte er. Der Vorschlag der Rentenkommission sichere die unterjährige Liquidität deutlich besser als die im Gesetzentwurf vorgesehene Anhebung der Mindestrücklage auf 0,4 Monatsausgaben und belaste die Beitrags- und Steuerzahlenden zudem nur halb so hoch. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält 0,4 Monatsausgaben für das sinnvolle Mindestmaß, auf die die Rücklage angehoben werden sollte. DGB-Vertreter Ingo Schäfer erinnerte daran, dass die Rücklage einst bei 1,0 Monatsausgaben gelegen habe, ehe sie aus politischen Gründen mit dem Ziel der Beitragssatzstabilität immer weiter abgesenkt worden sei. Finanzierbar sei die Anhebung durch eine Beitragssatzerhöhung, aber auch über die gesparten Bundesmittel infolge des Rentenanpassungsgesetzes und die Einsparungen des Bundes angesichts der für 2023 erwarteten Beitragssatzsenkung.

SoVD will Anhebung der Mindestrücklage aus Steuermitteln finanzieren

Aus Sicht des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) sind sogar 0,5 Monatsausgaben denkbar, sagte dessen Vertreterin Henriette Wunderlich. Eine derartige Anhebung der Mindestrücklage könne das Vertrauen der Bevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung in besonderer Weise stärken, weil auch in Zukunft mit weiteren krisenbedingten Belastungen des Arbeitsmarktes gerechnet werden müsse. Auch Wunderlich sprach sich dafür aus, die für eine Anhebung auf 0,4 Monatsausgaben einmalig benötigten fünf Milliarden Euro nicht aus Rentenbeiträgen, sondern aus Steuermitteln durch den Bund aufzubringen. Als geeigneten Kompromiss bezeichnete Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft den Vorschlag der Rentenkommission. Die Anhebung auf 0,3 Monatsausgaben führe zu einem Finanzbedarf von 2,5 Milliarden Euro, der einmalig aufzubringen sei. Eine höhere Anhebung würde seiner Ansicht nach nicht nur die Beitragszahler stärker belasten. Sie würde auch mehr als nur den saisonal bedingten Einnahmeschwankungen vorbeugen und die Bundesgarantie zuungunsten der Beitragszahler entlasten, befand Pimpertz.

Redaktion beck-aktuell, 21. Juni 2022.