Kommission: Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin möglich

Die vom Berliner Senat zur Klärung des Themas eingesetzte Expertenkommission hält die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen in Berlin juristisch für möglich. Das Grundgesetz ermögliche es, die Vergesellschaftung in einem Gesetz zu regeln. Die Landesverfassung müsse hierfür nicht geändert werden. Uneinig sei man sich etwa bei der Entschädigungsfrage oder der Diskussion über die Verhältnismäßigkeit eines Vergesellschaftungsgesetzes.

Was war die Aufgabe der Kommission?

Bei einem Volksentscheid im September 2021 hatten gut 59% der Wählerinnen und Wähler für die Vergesellschaftung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin gestimmt. Innerhalb des damaligen rot-grün-roten Senats gingen die Ansichten zu dem Thema auseinander. SPD, Grüne und Linke einigten sich auf die Einsetzung der Kommission. Sie sollte prüfen, ob und wenn ja, wie das Anliegen umgesetzt werden kann. Sie hat 13 Mitglieder, fast nur Universitätsprofessorinnen und -professoren, darunter viele Juristinnen und Juristen. Vorsitzende ist die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Sie hat den Bericht am 28.06.2023 an den Berliner Senat übergeben.

Zu welchen Einschätzungen ist die Kommission gekommen?

Der Kommission zufolge ermöglicht das Grundgesetz dem Land Berlin, die Vergesellschaftung von Grund und Boden in einem Gesetz zu regeln. Die Kommission ist außerdem der Ansicht, dass die Landesverfassung für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen nicht geändert werden müsste. Sie sieht keinen Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot darin, dass Unternehmen ab einer Grenze von 3.000 Wohnungen oder einer vergleichbaren Größenordnung vergesellschaftet werden sollen und kleinere Unternehmen nicht. Die Kommissionsmitglieder haben zum Teil auch unterschiedliche Ansichten vertreten, etwa bei der Entschädigungsfrage  oder der Diskussion über die Verhältnismäßigkeit eines Vergesellschaftungsgesetzes.

Wie sieht es mit einer Entschädigung und den Kosten der Vergesellschaftung aus?

Daran, dass die Unternehmen entschädigt werden müssen, besteht laut Kommission zwar kein Zweifel. Die meisten Kommissionsmitglieder sind aber der Auffassung, dass die Höhe der Entschädigung für die Vergesellschaftung unter dem Verkehrswert liegen dürfe, also unter dem realistischen Preis einer Immobilie auf dem freien Markt. Die Kosten der Vergesellschaftung sind derzeit laut Kommission schwer zu beziffern. In den offiziellen Abstimmungsunterlagen zum Volksentscheid 2021 war von 28,8 bis 36 Milliarden Euro die Rede. Nach Einschätzung der Berliner Finanzverwaltung ist das aber nicht mehr aktuell. Eine neue Summe hat der Senat bisher nicht veröffentlicht. Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" geht von deutlich geringeren Kosten aus.

Geht es um Enteignen oder Vergesellschaften?

Bei der Enteignung geht es um sogenannte konkrete Rechtspositionen, zum Beispiel um ein Grundstück für den Bau einer Autobahn. Die Vergesellschaftung hat dagegen zum Ziel, Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige in die Gemeinwirtschaft zu überführen. Im Fall der Wohnungsunternehmen in Berlin geht es also um Vergesellschaftung. Berlin wäre hier Vorreiter. Bisher wurde der Art. 15 GG, der Vergesellschaftung ermöglicht, noch nie angewendet.

Welche Folgen hätte ein Vergesellschaftungsgesetz für den Wohnungsmarkt?

Die Mieten in Berlin sind über mehrere Jahre hinweg deutlich gestiegen. Weil Wohnungen knapp sind und die Stadt wächst, drohen weitere Mietsteigerungen. Die Befürworter der Vergesellschaftung argumentieren, das lasse sich zumindest bremsen, wenn der Anteil der Wohnungen in öffentlicher Hand zunimmt. Kritiker weisen darauf hin, dass durch Vergesellschaftung keine neuen Wohnungen entstünden und es besser sei, durch mehr Neubau für ein größeres Wohnungsangebot zu sorgen und Mietsteigerungen so zu bremsen.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Senat muss sich nicht an den Abschlussbericht halten. Die Kommission betonte mehrfach, sie habe nur die juristische Machbarkeit geprüft. Es ist eine politische Entscheidung, wie damit umzugehen ist. Aber der Druck ist groß, die Ergebnisse nicht zu ignorieren, zumal die Expertenkommission eine Idee des Senats war. Trotzdem ist eher nicht davon auszugehen, dass Wohnungsunternehmen in Berlin schon bald vergesellschaftet werden. Der schwarz-rote Senat, der erst seit Ende April regiert, will zwar auf der Grundlage des Abschlussberichts über sein weiteres Vorgehen entscheiden. Aber er hat angekündigt, nicht gleich an die Umsetzung der Vergesellschaftung zu gehen, selbst wenn die Kommission grundsätzlich grünes Licht geben würde.

Haben die Gerichte auch noch ein Wort mitzureden?

Der Senat will zunächst nur ein Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeiten. Und schon das dürfte mindestens mehrere Monate in Anspruch nehmen. Es soll außerdem erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten. Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" wirft dem Senat deshalb eine Verzögerungstaktik vor. Der Senat argumentiert, das Rahmengesetz solle vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. So will Schwarz-Rot die Panne vermeiden, die Rot-Grün-Rot beim Mietendeckel-Gesetz erlebt hat. Das war schon in Kraft, als die Richter in Karlsruhe es im April 2021 gekippt haben. Die Kommission rechnet jedenfalls fest damit, dass ein Vergesellschaftungsgesetz die Gerichte beschäftigen und letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.

Redaktion beck-aktuell, Andreas Heimann und Andreas Rabenstein, 29. Juni 2023 (dpa).