Expertenanhörung im Finanzausschuss: Scharfe Kritik an geplanten Prospektvorschriften

In einer Anhörung des Bundestagsfinanzausschusses am 14.06.2018 haben Experten die von der Bundesregierung zur Verbesserung des Anlegerschutzes geplante Änderung der Prospektvorschriften zum Teil heftig kritisiert. Dies teilte der parlamentarische Pressedienst mit. Laut deutscher Kreditwirtschaft drohe sogar eine "Entmündigung der Anleger".

Gesetzentwurf: Ausnahmen von der Prospektpflicht

Wie der Pressedienst berichtet, war Grundlage der Anhörung der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze (BT-Drs. 19/2435). Der Entwurf sieht vor, dass nicht für alle öffentlichen Angebote von Wertpapieren ein Prospekt vorgelegt werden muss. Bei öffentlichen Angeboten mit einem Gesamtgegenwert von 100.000 Euro, aber weniger als acht Millionen Euro, soll statt eines Prospekts ein dreiseitiges Wertpapier-Informationsblatt vorgelegt werden müssen. Für Banken beträgt die Emissionsobergrenze für die Ausnahme von der Prospektpflicht fünf Millionen Euro.

Anlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger

Für nicht qualifizierte Anleger sollen Höchstschwellen für die Geldanlage gelten: "Sofern von einem nicht qualifizierten Anleger ein Betrag von über 1.000 Euro investiert werden soll, ist dies nur dann zulässig, wenn der nicht qualifizierte Anleger entweder über ein frei verfügbares Vermögen in Form von Bankguthaben und Finanzinstrumente von mindestens 100.000 Euro verfügt oder er maximal den zweifachen Betrag seines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens investiert. In jedem Fall ist die Einzelanlage auf 10.000 Euro begrenzt", erklärte Professorin Dörte Poelzig von der Universität Leipzig, die die Anlageschwellen für überflüssig hält. Wichtig seien vor allem Informationen für die Anleger.

Kreditwirtschaft fordert Emissionsobergrenze von acht Millionen Euro auch für Banken

Die Kreditwirtschaft bezeichnete es als "nicht sachgerecht", dass die Emissionsobergrenze für Banken statt acht nur fünf Millionen Euro beträgt: Die Regelung konterkariere nicht zuletzt das Ziel der Kapitalmarktunion, insbesondere auch kleinen Instituten den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern. Auch der Fondsverband BVI konnte keinen sachlichen Grund erkennen, um Emissionen von Banken und börsennotierten Emittenten gegenüber anderen - unregulierten - Emittenten zu benachteiligen.

Kreditwirtschaft: Vorgesehene Einschränkungen für nicht qualifizierte Anleger entmündigen Anleger

Bereits heute müssten Emittenten von Wertpapieren bei Kleinemissionen "Beipackzettel" für Kleinanleger erstellen. "Worin der Mehrwert eines neuen Informationsblatts besteht ist nicht ersichtlich", kritisierte die Kreditwirtschaft. Die geplanten Einschränkungen für nicht qualifizierte Anleger würde Anleger entmündigen, da sie nicht mehr die Investitionshöhe selbst bestimmen könnten. Die Überprüfungen der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Kunden würden zudem einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeuten. Auch der BVI sah keine Notwendigkeit für das neue Informationsblatt.

Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: Wertpapier-Informationsblatt an bestehende Informationsblätter angleichen

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz vertrat die Ansicht, "dass jeder Anleger selbstbestimmt entscheiden können soll, welche Investitionen er tätigen möchte oder eben nicht". Die Entscheidungshoheit solle ihm nicht vom Gesetzgeber genommen werden. An dem Verzicht auf die Prospekterstellung bis zu Emissionen von acht Millionen Euro übte die Schutzvereinigung auch Kritik und verlangte zum Ausgleich, Aufbau und Inhalt des Wertpapier-Informationsblattes an bereits bestehende Informationsblätter anzugleichen. Es müssten auch Angaben zu den Kosten gemacht werden.

Deutsche Börse: Wertpapier-Informationsblatt behindert kleine und mittlere Unternehmen zusätzlich

Die Gruppe Deutsche Börse sprach sich gegen das geplante Informationsblatt aus, weil der Aufwand angesichts der kleinen Emissionen nicht angemessen und für Zwecke des Anlegerschutzes nicht zielführend sei. "Vielmehr errichtet die Pflicht zur Erstellung und Genehmigung eines Wertpapier-Informationsblattes zusätzliche neue administrative Hürden für kleine und mittlere Unternehmen", so die Börse. Die Kapitalmarktfinanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen sei in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ohnehin schon unterdurchschnittlich.

Hochschulprofessor warnt vor Missbrauch der Prospektpflichtausnahmen

Dagegen bezeichnete Professor Lars Kühn von der Humboldt Universität Berlin den Entwurf als einen "gut abgewogenen Kompromiss, gegen den aus wissenschaftlicher Sicht keine durchgreifenden Bedenken bestehen". Allerdings warnte Kühn, dass der Entwurf unseriösen Anbietern von Graumarktprodukten die Tür zum Wertpapiermarkt zu weit öffnen könne. Es bestehe die Gefahr, dass unseriöse Anbieter klassischer Graumarktprodukte die Ausnahmen von der Prospektpflicht nutzen würden, um unter Einschaltung ebenso unseriöser Anlageberater oder Anlagevermittler ("Drückerkolonnen") Wertpapiere im Gegenwert von bis zu acht Millionen Euro zu vertreiben.

Rechtsanwalt unterstreicht Bedeutung eines Prospekts

Rechtsanwalt Peter Mattil sagte, die Beteiligungsschwellen von 1.000 beziehungsweise 10.000 Euro könnten geeignet sein, Privatanleger von einer unüberlegten Anlage abzuhalten. Wie schon die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz schilderte auch Mattil Vorzüge eines Prospekts: Mit einem Umfang von oft mehreren hundert Seiten werde dieser zwar selten aufmerksam gelesen, könne aber "hinterher" als Informationsquelle für strukturelle Fehler eines Anlagemodells dienen, wenn eine Krise oder Insolvenz eingetreten sei. Mattil wies auf den Zusammenbruch der P&R-Gruppe (Container-Vermietung) hin, in die 55.000 Anleger 3,5 Milliarden Euro investiert hätten. Die Gruppe habe einen Prospekt von 160 Seiten veröffentlicht, der "alle erdenkliche Informationen enthält - bis auf die wichtigste: Die P&R hat entgegen allen Behauptungen offenbar ein reines Geldkarussell betrieben, ohne jegliche ernsthafte Investitionen für die Anleger." Mattil sprach sich gegen eine Klausel in dem Entwurf aus, die es Emittenten erlaubt, ihre Prospekte in englischer Sprache herauszugeben. Die Anleger müssten wenigstens ein Recht auf Übersetzungen haben.

Wirtschaftsjournalist fordert Erhöhung des Anlegerschutzes

Auch für Stefan Loipfinger (investmentcheck.de) zeigt der "Skandalfall P&R", wie wichtig weitere Erhöhungen Des Anlegerschutzes seien. Die Regeln des Vermögensanlagengesetzes hätten diesen Skandal nicht verhindern können. Vermutlich seien von den investierten 3,5 Milliarden 2,5 Milliarden verschwunden. Er nannte den Rahmen von acht Millionen Euro in einem Jahr, bis zu dem keine Prospektpflicht vorgesehen ist, zu hoch. Ein Emittent könne auf diese Weise binnen zehn Jahren 80 Millionen Euro Anlegerkapital ohne Prospekt einsammeln. Mehr Anlegerschutz sah Loipfinger in dem Gesetzentwurf nur sehr bedingt.

Crowdfunding-Verband fordert Erweiterung der Prospektpflichtausnahmen auf GmbH-Anteile

Nach Angaben des Bundesverbandes Crowdfunding werden die meisten kleinen und mittleren Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH betrieben. Die Rechtsform der Aktiengesellschaft würden typischerweise größere Unternehmen wählen, da die Kosten hoch seien. Um die Finanzierungsbedingungen kleinerer Unternehmen zu verbessern, sollten die Ausnahmen von der Prospektpflicht auf GmbH-Anteile erweitert werden. Sonst werde das von der Prospektverordnung angestrebte Ziel, den Zugang von jungen und mittelständischen Unternehmen zu Kapital zu verbessern, nicht erreicht. Zur Verbesserung der Situation der Crowdfunding-Plattformen sollte es eine vereinfachte Vermittler-Lizenz geben, forderte Karsten Wenzlaff für den Bundesverband Crowdfunding.

Bundesrat verlangt Gleichlauf der Emissionsobergrenzen und Verzicht auf Anlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger

Auch der Bundesrat verlangt Änderungen an dem Gesetzentwurf. Dies geht aus seiner Stellungnahme hervor, die die Bundesregierung als Unterrichtung (BT-Drs. 19/2700) vorgelegt hat. Wie der parlamentarische Pressedienst berichtet, sieht der Bundesrat keine Gründe für die unterschiedlichen Emissionsobergrenzen für die Ausnahme von der Prospektpflicht. Außerdem fordert er einen Verzicht auf die vorgesehenen Anlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger, da damit die Entscheidungshoheit von Privatanlegern eingeschränkt und der Erwerb von bewährten Standardprodukten wie Inhaberschuldverschreibungen, deren Risiko für Privatanleger überschaubar und verständlich sei, limitiert wird.

Bundesregierung: Kreditinstitute können sich auf beide Ausnahmen von der Prospektpflicht stützen

Die Bundesregierung hat die Forderungen des Bundesrates in ihrer Gegenäußerung abgelehnt: Auch Kreditinstitute könnten Wertpapiere bis acht Millionen Euro prospektfrei emittieren. Sie müssten dann aber ein Wertpapier-Informationsblatt erstellen und die Anlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger beachten. Bei Angeboten bis fünf Millionen Euro entfalle diese Verpflichtung, da Kreditinstitute der Solvenzaufsicht nach dem Kreditwendengesetz unterliegen würden, wodurch dem Anlegerschutz Rechnung getragen werde. Die Vorschrift bezieht sich nach Angaben der Regierung auch auf Emissionen von Aktiengesellschaften, deren Aktien bereits zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen seien. Den Wegfall der Anlageschwellen lehnt die Bundesregierung ebenfalls ab. "Entfällt der Prospekt als Informationsquelle und Haftungsdokument, erscheinen Einzelanlageschwellen als zusätzlicher Schutz für nicht qualifizierte Anleger sinnvoll", heiße es in der Gegenäußerung.

Redaktion beck-aktuell, 14. Juni 2018.

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