Sozialausschuss: Entlastung Angehöriger von Unterhaltsrückgriff umstritten

Die von der Bundesregierung mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz (BT-Drs. 19/13399) geplante Entlastung von Kinder und Eltern, die gegenüber Beziehern von Sozialhilfe unterhaltsverpflichtet sind, stößt beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und mehreren Sozialverbänden grundsätzlich auf Zustimmung. Wie der parlamentarische Pressedienst berichtete, kritisierten Kommunalvertreter bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 04.11.2019 hingegen die Aufhebung des Unterhaltsrückgriffs. Eltern und Kinder mit einem jeweiligen Jahresbruttoeinkommen von bis zu einschließlich 100.000 Euro sollen danach künftig nicht mehr unterhaltspflichtig sein. Dies führe zu einer Entsolidarisierung der Familie. Zudem würden die entstehenden Kosten einseitig zu Städten und Gemeinden verlagert.

Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Daneben enthält der Gesetzentwurf Vorgaben, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Diese sollen, sofern sie im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind, künftig auch einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten. Außerdem soll die Projektförderung für eine unabhängige Teilhabeberatung dauerhaft sichergestellt werden. Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, sollen künftig mit einem Budget für Ausbildung gefördert werden, wenn sie eine nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder nach dem Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HwO) anerkannte Berufsausbildung erwerben wollen.

Schäfer lobt Möglichkeit zur selbstständigen Sicherung der eigenen Existenz

DGB-Vertreter Ingo Schäfer begrüßte während der Anhörung ausdrücklich den Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff ebenso wie das geplante Budget für Ausbildung. Letzteres sei ein hilfreiches und wichtiges Instrument, um jungen Menschen mit Behinderung den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt und damit einer selbstständigen Sicherung der eigenen Existenz zu ermöglichen, sagte Schäfer.

VdK: Regelung muss konsequenterweise für alle Sozialleistungen gelten

Ines Verspohl vom Sozialverband VdK Deutschland sagte, die geplante Regelung, unterhaltsverpflichtete Kinder gegenüber pflegebedürftigen Eltern zu entlasten, entspreche den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und müsse konsequenterweise für alle Sozialleistungen gelten. Sie sorge für gesellschaftliche Gerechtigkeit. Manche Familie habe drei Pflegefälle, für die sie derzeit aufkommen müsse, andere keinen. "Diese Aufgabe muss die gesamte Gesellschaft schultern, nicht einzelne Familien", sagte sie.

Bundesvereinigung Lebenshilfe zu Grundsatz "ambulant vor stationär"

Antje Welke von der Bundesvereinigung Lebenshilfe hält den Grundsatz "ambulant vor stationär" durch die Neuregelung bei der Unterhaltspflicht nicht für gefährdet. Aus ihrer Sicht ist "keine Sogwirkung hin zu stationärer Pflege" zu befürchten. Die verhältnismäßig hohe Grenze von 100.000 Euro sei angemessen, befand sie.

Völker: Budget für Ausbildung muss über Erstausbildung nach Schulabschluss hinausgehen

Kathrin Völker von der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen begrüßte das geplante Budget für Ausbildung. Allerdings ziele es ausschließlich auf die Erstausbildung am Übergang von der Schule in den Beruf ab. Auch Menschen mit Behinderungen, die schon länger in Werkstätten sind, sollte der Zugang zur Berufsausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch das Budget für Ausbildung ermöglicht werden, forderte sie.

Beyer begrüßt geplante Neuregelung

Da das im Bundesteilhabegesetz enthaltene Budget für Arbeit "zu kurz gesprungen" sei, begrüße er das geplante Budget für Ausbildung, sagte Christoph Beyer von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen.

Hieb kritisiert fehlende Entlastung für Menschen mit Behinderungen selbst

Harry Hieb vom Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz sieht in dem Gesetzentwurf hingegen "ein weiteres Beispiel für die Missachtung der UN-Behindertenrechtkonvention und der Empfehlungen des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen". Zentrales Anliegen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes sei die Entlastung Angehöriger von Pflegebedürftigen und Eltern volljähriger behinderter Kinder hinsichtlich des Einkommenseinsatzes, "nicht jedoch der Menschen mit Behinderungen selbst", wodurch das Ziel eines gleichen Lebensstandards in immer weitere Ferne rücke.

Kosten für Kommunen mit 70 Millionen Euro jährlich beziffert

Aus Sicht von Andreas Krampe vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge ist es durch das Gesetz möglich, mit einem "vergleichsweise überschaubaren finanziellen und rechtlichen Mittelansatz" einen bedeutsamen Zugewinn an sozialer Sicherheit für die Bevölkerung zu erzielen. Die Kosten für die Kommunen bezifferte er mit etwa 70 Millionen Euro jährlich.

Vertreter von Städtetag und Landkreistag gehen von einer halben Milliarde Euro aus

Die Vertreter von Städtetag und Landkreistag gehen hingegen von deutlich höheren Kosten aus. Zudem sei von einer erheblichen Nachfragesteigerung nach stationärer Pflege auszugehen, sagte Regina Offer vom Deutschen Städtetag. Das dämpfende Element der Selbstverantwortung und der familiären Solidarität werde deutlich geschwächt, betonte Johann Keller vom Deutschen Landkreistag. Er gehe davon aus, dass mit Kosten in Höhe von etwa einer halben Milliarde Euro zu rechnen sei.

Redaktion beck-aktuell, 6. November 2019.

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