Experten warnen vor Aufhebung der epidemischen Notlage

Fachverbände und Einzelsachverständige sehen den von den Fraktionen von SPD, Grünen und FDP vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes sowie die angekündigte Aufhebung der epidemischen Notlage am 25.11.2021 teilweise kritisch. Mehrere Experten äußerten in einer Anhörung des Hauptausschusses erhebliche Bedenken, ob mit der neuen Rechtsgrundlage die Pandemie bei stark steigenden Infektionszahlen bundesweit effektiv eingedämmt werden kann.

Ampel-Vorschläge im Überblick

Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP planen die Einfügung eines bundeseinheitlich anwendbaren Katalogs möglicher Schutzvorkehrungen in § 28a IfSG. Damit soll es möglich sein, je nach Entwicklung der Lage erforderliche Schutzvorkehrungen zu ergreifen. Der neue Katalog sei auf Vorkehrungen beschränkt, die in der jetzigen Phase der Pandemie sinnvoll und angemessen sein könnten. Die je nach regionaler Lage differenzierte Anwendung bleibe gewährleistet. In § 28a, Abs. 7 IfSG werden die Schutzvorkehrungen benannt, die bundesweit bis zum 19.03.2022 unabhängig von der festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite ergriffen werden können.

Weitere Schutzvorkehrungen begrüßt

Die Fachleute gingen in ihren Äußerungen im Ausschuss teilweise auch auf weitere Regelungen ein, die über Änderungsanträge in das Gesetz eingefügt werden sollen. So wollen die drei Fraktionen weitere Schutzvorkehrungen ermöglichen, darunter Kontaktbeschränkungen. Dies wurde von mehreren Experten ausdrücklich gelobt. Ob die epidemische Notlage auslaufen kann oder verlängert werden sollte, ist auch unter Rechtsexperten umstritten, wie in der Anhörung ebenfalls deutlich wurde.

Notfallmediziner wegen Dynamik beim Infektionsgeschehen beunruhigt

Von einer beunruhigenden Dynamik des Infektionsgeschehens sprach die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Es sei daher zwingend nötig, das Gesetz zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite noch beizubehalten. Die Intensivmediziner forderten ferner Kontaktbeschränkungen, insbesondere Veranstaltungen betreffend, sowie eine Testpflicht in Kliniken und Pflegeheimen für Mitarbeiter und Besucher, auch wenn sie geimpft oder genesen sind. Auch der Deutsche Landkreistag warnte, die Dynamik des Infektionsgeschehens habe sich in einer in diesem Ausmaß nicht vorhersehbaren Weise beschleunigt. Sollte tatsächlich auf die Feststellung der epidemischen Notlage verzichtet werden, sei es zwingend geboten, dass der Bund den Ländern die Möglichkeit gibt, jene Schutzvorkehrungen anzuordnen, die für eine wirksame Eindämmung des Virus erforderlich sind. Der Landkreistag schlug vor, den § 28a IfSG unverändert zu lassen und die als Ersatz vorgesehenen Regelungen neu mit aufzunehmen.

SoVD: Gesetzentwurf setzt falsches Signal

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) erklärte, angesichts der sich zuspitzenden Lage auf den Intensivstationen und schleppend anlaufenden Drittimpfungen (Booster) gehe von der geplanten Änderung des IfSG und dem Gesetzentwurf insgesamt ein falsches Signal aus. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Entscheidung, den Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, auch anlässlich der geplanten Aufhebung der epidemischen Notlage unverständlich, zumal die Folgeregelungen eine geringere Eingriffstiefe hätten. Viele der finanziellen Entlastungs- und Unterstützungsleistungen seien wichtig und richtig. Es sei jedoch nicht der richtige Zeitpunkt, um über Folgeregelungen nachzudenken. Gerade die wirkungsvollsten Schutzvorkehrungen knüpften an die epidemische Notlage an. Lob für die geplante Fortführung der sozialen Schutzschirme kam auch von der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW).

Appell: Feststellung der epidemischen Notlage wichtig

Bedenken gegen den Gesetzentwurf brachte auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) vor. Ohne die Feststellung der epidemischen Notlage nach § 5 IfSG seien die Auswirkungen der Pandemie nicht zu beherrschen, da in der geplanten Neufassung des § 28a Abs. 7 IfSG keine wirksamen Vorkehrungen zur Erreichung von Kontaktbeschränkungen mehr aufgeführt seien. Somit stünde dem bisher ungebremsten Verlauf der Pandemie in diesem Winter kein wirksames Instrumentarium mehr entgegen. Der Deutsche Pflegerat (DPR) argumentierte, in einigen Bundesländern sei das Gesundheitswesen bereits überlastet. Daher sollte das Parlament die Feststellung der epidemischen Notlage nicht ohne Not auslaufen lassen. Abzuwägen sei auch, ob es einen bundeseinheitlichen Fahrplan geben solle oder ob die Entscheidungen der Länder und gegebenenfalls der Einrichtungen flexibel getroffen werden könnten.

DGB: Kompetenz der Länder muss erhalten bleiben

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gab zu Bedenken, es sei offen, nach welchen Parametern künftig auf Landesebene die infektionsschutzrechtlich vorausgesetzte Gefährdungslage festgestellt werden solle. Je nach Pandemiegeschehen könnten in den Ländern Vorkehrungen nötig sein, die über den geplanten Katalog in § 28a Abs. 7 IfSG hinausgingen. Daher müsse die entsprechende Kompetenz der Länder erhalten bleiben. Der DGB lehnte überdies eine Auskunftspflicht über den Corona-Impfstatus von Beschäftigten gegenüber Arbeitgebern ab. Der Arbeitgeberverband BDA erklärte wiederum, um den Infektionsschutz in Betrieben zu stärken und Schutzkonzepte sinnvoll anzupassen, sei ein Fragerecht nach dem Impf- oder Teststatus des Arbeitnehmers unverzichtbar.

DKG mit Finanzregelung zufrieden

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßte die geplante finanzielle Entlastung von Kliniken durch einen Versorgungsaufschlag. Allerdings litten alle Krankenhäuser unter dem Rückgang der Regelversorgung und Erlöseinbrüchen. Daher sollten auch alle Krankenhäuser den finanziellen Rettungsschirm in Anspruch nehmen können.

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2021.