Die Linke hält derzeitige Rechtspraxis für skandalös
Nach derzeitiger Rechtslage stellt das Containern - also die Entnahme weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern von Lebensmittelgeschäften - einen Diebstahl und mithin eine Straftat nach § 242 StGB dar. Die Linke sieht in darin jedoch kein zu missbilligendes, sondern vielmehr ein gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten, weil es Lebensmittelverschwendung reduziere. Sie fordert den Bundestag daher auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle von der Strafverfolgung ausgenommen wird, beispielsweise indem solche Lebensmittelabfälle als herrenlose Sachen definiert werden.
Unterstützung aus Lehre und Praxis
Einige Sachverständige unterstützen das Anliegen. Eine strafrechtliche Verfolgung der Betroffenen wegen Diebstahls widerspreche dem Ultima-Ratio-Grundsatz und trage der sich wandelnden Einstellung der Gesellschaft mit Blick auf die Verwendung und Verschwendung von Ressourcen Rechnung, so die Professorin für Strafverfahrensrecht und Strafrecht von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Annika Dießner.
Der Leipziger Rechtsanwalt Max Malkus hält es ebenfalls für geboten und möglich, die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle von der Strafverfolgung auszunehmen, soweit nicht Privathaushalte betroffen sind. In den meisten Fällen finde eine Strafverfolgung wegen Diebstahls ohnehin nicht statt, und in einigen Bundesländern werde das Containern praktisch nicht als Straftat verfolgt.
Auch die Tafel Deutschland begrüßte den Vorstoß der Linken. Die Abhängigkeiten der umwelt-, abfall-, lebensmittel- und steuerrechtlichen Vorschriften müssten von Politik und Gesetzgeber im Zusammenhang betrachtet werden. Außerdem sollte es für den Handel Erleichterungen für Abgaben an die Tafel geben.
Fischer: Entkriminalisierung bloß symbolische Privilegierungsgesetzgebung
Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am BGH a. D., hält die im Entschließungsantrag vorgeschlagene gesetzliche Regelung hingegen für rechtlich und praktisch nicht sinnvoll. Alternativen, die geeignet sind, den grundsätzlich begrüßenswerten Zweck einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion durch Verwertung genießbarer Lebensmittel zu fördern, stünden bereits heute zur Verfügung und sollten gefördert werden. Eine bloß symbolische Privilegierungsgesetzgebung sei in der Sache nicht nützlich.
BVerfG hat bereits entschieden
Michael Kubiciel, Lehrstuhlinhaber an der Universität Augsburg, sieht insbesondere verfassungsrechtlich keinen Handlungsbedarf für den Gesetzentwurf, da das Bundesverfassungsgericht die geltende Rechtslage explizit als verfassungskonform bezeichnet habe. Die Oberstaatsanwältin Nicole Luther von der Staatsanwaltschaft Tübingen hält das Strafrecht nicht für das geeignete Mittel, um auf politische oder gesellschaftliche Missstände - wie hier die auf Verschwendung von Lebensmitteln - hinzuweisen.
Verpflichtung zur Lebensmittelspende
Da beim Containern regelmäßig noch die Straftatbestände der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) erfüllt seien, hält es Anja Schiemann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, Leiterin Fachgebiet Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik, für weitaus sinnvoller, im Rahmen der nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung Lebensmittelmärkte ab einer gewissen Größe zu verpflichten, unverkaufte aber für den menschlichen Verzehr geeignete Lebensmittel zu spenden. Dies dürfe aber für die Marktbetreiber nicht zu Haftungs-, Bußgeld- oder Strafbarkeitsrisiken führen.