Reform rückt Kinderrechte in den Mittelpunkt
Nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen gehe
es darum, was für Konsequenzen diese für Kinder und Jugendliche hätten sowie
für diejenigen, die sich in Jugendämtern und Vormundschaftsvereinen um die
Kinder sorgten, sagte Ekin Deligöz, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin im
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Gesetzgeber
habe sich dazu bekannt, dass die Kinderrechte auch im Bereich des
Vormundschaftrechts im Mittelpunkt stehen sollten. Expertinnen und Experten
müssten nun die Umsetzung beurteilen. Die Politik werde entsprechend der sich
wandelnden Gesellschaft die bestehenden Regelungen regelmäßig hinterfragen und
bei Bedarf neu fassen. "Wir werden schauen, ob das, was wir beabsichtigen, auch
erreicht wird, und aus diesem Gesetz das Beste für Kinder und Jugendliche
herausholen."
Qualifikation verbessern, Fallzahl pro Betreuer senken
Ulrike Urban-Stahl von der FU Berlin unterstrich
die Verantwortung, die in der Tätigkeit der Vormundschaft liege. Es gehe darum,
zu einem Schutzbefohlenen eine verlässliche, dauerhafte Beziehung aufzubauen,
gemeinsam Zeit zu verbringen, um auf die Bedürfnisse und Interessen des Kindes
eingehen zu können – "Vertrauen muss wachsen", führte Stahl aus. Zentrale
Aufgabe der Vormundschaft sei, die Rechte des Kindes, wie sie in der
UN-Kinderrechtskonvention dargelegt seien, in allen die Kinder betreffenden
Situationen zu wahren. Kinder und Jugendliche hätten zu wenig Macht, um ihre
Rechte selbst einzufordern. Zu ihren Rechten gehöre, an Entscheidungen über ihr
Leben beteiligt zu werden. Die Reform des Vormundschaftsrechts setze richtige
und wichtige Impulse. So richte sich heute die Wahl des Vormundes stärker nach
dem Willen des Kindes. Der Vormund sei gehalten, besser mit den
Erziehungspersonen zusammenarbeiten. Es bestehe Bedarf, die im
Vormundschaftsbereich Tätigen fachlicher weiter zu qualifizieren. "Hier liegt
eine echte Chance zur Stärkung der Vormundschaft", sagte Stahl. Das
Vormundschaftsrecht werde heute anders gedacht als vor 20 Jahren. Heute
stehe über die rechtliche Betreuung hinaus viel mehr der Kontakt zu dem
anvertrauten Kind im Mittelpunkt. Das Kind müsse den Eindruck haben: Zu dem oder
der kann ich kommen, wenn es nötig ist. Um mehr Zeit für die Kinder zu haben, müsse die Zahl der Fälle pro Betreuer gesenkt werden, so die Sachverständige.
Positive und negative Erfahrungen Betroffener
Über ihre persönlichen Erfahrungen mit einer
Vormundschaft als junge Menschen berichteten Jana Paul und Daline Raphael vom
Verein Careleaver e.V. Jana Paul berichtete, gute Erfahrungen mit ihrer Vormundin gemacht zu haben. Ihre Vormundin habe während ihrer gesamten Kindheit bis zu
ihrem 18. Lebensjahr eine zentrale Rolle gespielt, sie in ihrer Pflegefamilie
mehrmals pro Jahr besucht. Sie habe ihre Entscheidung bei der Familienwahl
akzeptiert, ihr geholfen, traumatische Erlebnisse zu bewältigen und alles in
Bewegung gesetzt, damit sie auch nach einem Wechsel des zuständigen Jugendamtes
ihre Vormundin habe bleiben können. "Ich bin ihr sehr dankbar", sagte Paul. 13
verschiedene Pflegefamilien hatte Daline Raphael, die von den Schwierigkeiten
erzählte, gehört zu werden. Ihre Vormünde hätten keine Zeit gehabt, eine
Beziehung zu ihr aufzubauen. Die politischen Reformvorhaben dauerten zudem
länger als eine Kindheit. Die Erwachsenen hätten die Macht, aber keinen Bezug zu
den ihnen anvertrauten Kindern. Es sei immer zu wenig Zeit, die Fallzahlen pro
Betreuer zu hoch. "Bei mir wurde immer alles genehmigt." Außer dem Wunsch, mit
ihrer Schwester zusammenzuziehen. Man müsse vor allem den Gedanken der Teilhabe
fördern und die Qualifikation der Vormünde verbessern, forderte Raphael.
Schulungen und Qualitätskriterien für ehrenamtliche Vormünde erforderlich
Ruth Seyboldt vom Bundesforum Vormundschaft und
Pflegschaft e.V. sagte, die Reform des Vormundschaftsrechtes sei ein
Meilenstein auf dem Weg zur kinderrechtsbasierten Vormundschaft und mehr
Kinderschutz und setze wichtige Akzente für eine besonders vulnerable Gruppe.
Sie stärke die Rechte der Kinder, aber auch die Verantwortung der Betreuer.
Kinder bräuchten Vormünde, die sich aktiv für sie einsetzen. Um ihrer
anspruchsvollen Aufgabe gerecht zu werden, brauche es für ehrenamtliche
Vormünde entsprechende Schulungen und Qualitätskriterien. "Da sind Vereins- und
Amtsvormundschaften stabile Stützen." Der Vormund müsse sich mit einer breiten
Palette an Themen und Fachgebieten, von der Entwicklungspsychologie bis zu
pädagogischer Kompetenz, auskennen und das ihm anvertraute Kind in allen
Lebenslagen begleiten. Zudem seien die Kinder und Jugendlichen an den sie
betreffenden Entscheidungen zu beteiligen. Die Kinder bräuchten Kontinuität
statt allzu viele Betreuungspersonen, vor allem bei Ortswechseln. In der Reform
stecke großes Potenzial. Sie werde aber kein Selbstläufer, sondern müsse in der
praktischen Umsetzung begleitet und gestaltet werden, so Seyboldt.
Potential der Vormundschaftsvereine nutzen
Heike Berger (Sozialdienst katholischer Frauen
Gesamtverein e. V.) plädierte dafür, das Potential der Vormundschaftsvereine zu
nutzen. Die 167 Vormundschaftsvereine in Deutschland, die sich zumeist in
konfessioneller Trägerschaft befänden, verfügten über viel Kompetenz und
Erfahrung, um eine kinderrechtsbasierte Vormundschaft zu gewährleisten. In der
offiziellen Statistik würden leider nur die Amtsvormundschaften geführt. Für
rund 6.000 Kinder und Jugendliche aber hätten im Jahr 2020
Vormundschaftsvereine Vormundschaften und Pflegschaften übernommen. Diese
arbeiteten gemäß staatlich geregelter Anerkennungsvoraussetzungen. Das Angebot
an Vormundschaftsvereinen sei in Deutschland sehr unterschiedlich und erstrecke
sich vor allem auf Bayern und Nordrhein-Westfalen. Es müsse jetzt darum gehen, die Vereine finanzielle besser auszustatten. An die Stelle minutengenauer
Abrechnung müsse eine verlässliche Pauschale pro Fall treten, die Finanzierung
müsse dynamisiert werden, forderte Berger. Wegen der mangelhaften Finanzierung
würden kaum Vereine neu gegründet. Außerdem müsse es möglich sein, sich vom
Gericht als Vormundschaftsverein bestellen zu lassen, so wie es für das
Jugendamt auch gelte, statt einzeln pro Fachkraft.
Jugendämter finanziell ausreichend ausstatten
Ohne die Jugendämter sei eine gute Vormundschaft
nicht denkbar, ja "der beste Vormund ist oft das Jugendamt", sagte Katharina
Lohse, Leiterin des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.
(DIJuF). 80% aller Vormundschaften seien Amtsvormundschaften. An dieser
Zahl werde sich trotz der Zielsetzung, die ehrenamtliche Vormundschaft zu
stärken, nur langsam etwas ändern. Oft könne schlicht kein ehrenamtlicher
Vormund gefunden werden. Und der ehrenamtliche Vormund könne auch nur durch das
Jugendamt ausgewählt, vorbereitet und beaufsichtigt werden. Bei der sinnvollen
Stärkung des Ehrenamtes bleibe das Jugendamt der zentrale Akteur in
Vormundschaftsverfahren. Damit die Jugendämter diese anspruchsvolle Aufgabe gut
erfüllen könnten, müssten diese finanziell ausreichend ausgestattet werden und
deren Mitarbeiter fachlich gut qualifiziert werden, betonte Lohse.
Baustellen in der juristischen Praxis
Auf Baustellen aus der juristischen Praxis wies Judith
Pammler-Klein, Familienrichterin am Amtsgericht Kiel und Fachkoordinatorin für
Familienrecht in Schleswig-Holstein, hin. So habe die Vormundschaftsreform zu
einer erhöhten Belastung der Rechtspfleger geführt, deren Verantwortungsbereich
ausgedehnt worden sei. Die Drei-Monats-Frist zur Bestellung eines endgültigen
Vormundes sei angesichts der Länge des Hauptsacheverfahrens viel zu kurz. Während
die Reform den Jugendämtern erhöhte Ermittlungs- und Darlegungspflichten
auferlegt habe, entscheide das Familiengericht über die Person des Vormunds in
der Regel nach nur einem Termin – viel zu wenig Zeit, um sich einen
grundlegenden Eindruck zu verschaffen. Andererseits führe die deutliche
Ausweitung der Anhörung von Kindern durch eine Vielzahl fremder Personen zu
einer hohen Belastung oder "Anhörungsmüdigkeit" der Kinder, die ihre Geschichte
immer wieder neu erzählen müssten, berichtete Pammler-Klein.
Umsetzung kontinuierlich begleiten
Es gehe 100 Tage nach dessen Inkrafttreten darum, das Gesetz mit Leben zu erfüllen und seine Umsetzung kontinuierlich zu begleiten, sagte Heike Schmid-Obkirchner, Referatsleiterin im BMFSFJ. Um den Kindern in ihrer besonderen Situation gerecht zu werden, gelte es dabei, den in der Sitzung deutlich gewordenen neuralgischen Punkten besondere Beachtung zu schenken. Dem Gesetz Zeit müsse jetzt erst einmal Zeit gegeben werden, um seine Wirkung zu entfalten, sagte Annette Schnellenbach, Referatsleiterin im Bundesjustizministeriumz. Man werde in einem Evaluierungsprozess in die Praxis hineinhorchen und die Umsetzung mit allen Betroffenen kontinuierlich begleiten.