Experten sehen Fortschritte in der Mitbestimmungsnovelle

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen ist bei Sachverständigen auf ein überwiegend positives Echo gestoßen. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales wurden auch Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Mitbestimmung im europäischen Kontext unterbreitet.

Umsetzung von EU-Recht

Mit dem Gesetzentwurf soll eine EU-Richtlinie umgesetzt werden, in der es um Änderungen der sogenannten Gesellschaftsrichtlinie in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen geht. Artikel 1 des Entwurfs enthält ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und bei grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG), Artikel 2 ändert das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG). Das MgFSG soll für die Ausgestaltung der Mitbestimmung in Gesellschaften deutscher Rechtsform, die aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehen (“Herein-Umwandlung“) gelten. Für beides werden Verhandlungen über die Mitbestimmung in einer daraus hervorgehenden Gesellschaft bereits dann erforderlich, wenn eine beteiligte Gesellschaft eine Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens vier Fünfteln des Schwellenwerts entspricht, der die Unternehmensmitbestimmung im EU-Staat des Wegzugs auslöst (“Vier-Fünftel-Regelung“).

DGB kritisiert unzureichenden Missbrauchsschutz

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lobte am 07.11.2022 in der Anhörung einerseits die Vier-Fünftel-Regelung und den Paragrafen 36 zur Missbrauchsbekämpfung im MgFSG, sah aber trotzdem "hohes Gefahrenpotenzial". Aus Sicht des DGB umfasst der Entwurf nicht die im Koalitionsvertrag vereinbarten umfassenden Regelungen zum Schutz der Unternehmensmitbestimmung vor missbräuchlicher Umgehung. Nach Angaben von Rüdiger Sick von der Hans-Böckler-Stiftung hatten sich 2020 mindestens 307 Unternehmen mit jeweils mehr als 2.000 Beschäftigten der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat entzogen oder deren Anwendung gesetzwidrig ignoriert. 113 Unternehmen hätten legale Konstruktionen zur Mitbestimmungsvermeidung gewählt, etwa Stiftungen oder GmbH & Co. KG, 113 weitere die Mitbestimmung rechtswidrig ignoriert, wobei man die Frage nach der Compliance stellen müsse. Vier von fünf Europäischen Gesellschaften (SE) hätten keine paritätische Mitbestimmung.

Weiterentwicklung der Mitbestimmung im europäischen Kontext

Missbrauch soll laut MgFSG dann vorliegen, wenn innerhalb von vier Jahren ab Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Vorhabens strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass ein Schwellenwert die Mitbestimmungsgesetze im Sitzstaat überschreitet oder sonst Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Jan Grüneberg vom DGB könnte sich statt vier auch fünf Jahre vorstellen, während Hendrik Otto, Vorstandsmitglied der Wepa-Gruppe, eines Hygieneprodukte-Herstellers im Sauerland, eher an einen kürzeren Zeitraum dachte, da vier Jahre doch "relativ lang" seien. Otto lobte im Übrigen die Rechtssicherheit durch die geplanten Regelungen und auch die Verhandlungslösung. Im europäischen Kontext gebe es nun weitere Handlungsoptionen gerade für Familienunternehmen.

Arbeitgeber zeigen sich mit dem Entwurf weitgehend zufrieden

Aus Sicht von Thomas Prinz von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wird das Ziel erreicht, die Mitbestimmung zu erhalten. Er kritisierte allerdings, dass das MgFSG von "möglichem Missbrauch" spricht, was ein unglücklicher Wortlaut sei, da Betriebsübergänge zu einem Missbrauch gemacht würden. Aus Sicht der BDA hat sich das Verhandlungsmodell der SE "sehr bewährt" und werde auch als Vorbild für das deutsche Mitbestimmungsmodell gesehen. Patrick Mückl, Düsseldorfer Fachanwalt für Arbeitsrecht, nannte die Mitbestimmungsregeln “nicht richtlinienkonform“, da die Gesellschaftsrechtsrichtlinie keine Regelung enthalte, um Anwartschaftsrechte zu schützen. Unglücklich sei auch, dass im Missbrauchsparagrafen von “strukturellen Änderungen“ gesprochen werde, was über das Ziel der Richtlinie hinausgehe.

Redaktion beck-aktuell, 8. November 2022.