Experten mehrheitlich für geplantes Lieferkettengesetz
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Die Bundesregierung will Unternehmen verpflichten, menschenrechtliche Standards in all ihren globalen Produktionsstätten einzuhalten. Ein entsprechender Gesetzentwurf war Gegenstand einer Anhörung am 17.05.2021. Wirtschaftsverbände befürchten eine zu einseitige Lastenverteilung zuungunsten deutscher Unternehmen nach Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes. Insgesamt sprach sich eine breite Mehrheit von Sachverständigen aber für ein solches Gesetz aus.

Eckpunkte des Gesetzes

Die Verantwortung der Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten soll sich laut Gesetzentwurf ab 2023 auf die gesamte Lieferkette erstrecken, abgestuft nach den Einflussmöglichkeiten. Ab dem Jahr 2024 kommen alle Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten dazu. Die Pflichten sollen durch die Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern umgesetzt werden. Mittelbare Zulieferer sollen einbezogen werden, sobald das Unternehmen über substantielle Kenntnisse von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene verfügt. Die Unternehmen werden verpflichtet, eine menschenrechtliche Risikoanalyse durchzuführen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, Beschwerdemöglichkeiten einzurichten und über ihre Aktivitäten zu berichten. Die Linke fordert in ihrem Antrag, der ebenfalls Gegenstand der Anhörung war, eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfes.

Lieferkettengesetz wird noch nicht am Donnerstag verabschiedet

Das Lieferkettengesetz wird nicht, wie zwischenzeitlich mal geplant, an diesem Donnerstag im Bundestag verabschiedet. In der Anhörung seien noch Fragen der Unternehmenshaftung aufgeworfen worden, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Dienstag in Berlin. "Die werden jetzt noch inhaltlich bewertet und diskutiert." Deshalb sei das Gesetz in dieser Woche nicht im Plenum. Er gehe aber davon aus, dass es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werde.

BDA: Kritik an der Prozessstandschaft

Kritik von den Wirtschaftsverbänden gab es unter anderem wegen der vorgesehenen Prozessstandschaft, also der Möglichkeit für Betroffene, die sich in ihren Rechten verletzt sehen, sich in ihrer Klage von Nichtregierungsorganisationen (NGO) unterstützen zu lassen. Neue zivilrechtliche Haftungsregelungen sieht der Gesetzentwurf dagegen nicht vor, ein Punkt, an dem Wirtschaftsverbände erhebliche Zweifel äußerten. So kritisierte Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), das Gesetz schließe eine solche zivilrechtliche Haftung keineswegs aus, es bestünden weiter Haftungsmöglichkeiten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Für den Bundesverband der Deutschen Industrie bezeichnete Joachim Lang die Prozessstandschaft als "überflüssig" und fügte hinzu: "Wir haben die Sorge, dass dies als Anreiz für medienwirksame Klagen von NGOs genutzt wird." Die BDA kritisierte außerdem, dass der Entwurf zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalte, aber keine Möglichkeit aufzeige, wie die Unternehmen die Widersprüche zwischen nationalen und internationalen Normen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) auflösen sollen. Dies sei eine Überforderung, betonte Gunkel.

Lob vom DGB: Rechtssicherheit erwartet

Für die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften verteidigten unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Initiative Lieferkettengesetz den Entwurf. Er wurde jedoch mehrfach als nicht weitgehend genug bewertet. "Der gesetzgeberische Schritt ist konsequent, er wird für Rechtssicherheit sorgen", sagte DGB-Vertreter Frank Zach. Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz nannte den Entwurf einen Paradigmenwechsel, weg von einem freiwilligen Bekenntnis zu Menschenrechten hin zu rechtsverbindlichen Verpflichtungen. Anders als von der BDA dargestellt, enthalte der Entwurf allerdings keine zivilrechtliche Haftung, betonte sie und ergänzte, dass sie das für falsch halte. Auch in Bezug auf die einbezogenen Unternehmen und Lieferketten sei der Entwurf nicht ausreichend, betonte sie. Annette Niederfranke von der International Labour Organisation (ILO) - Vertretung Deutschland regte an, beim Risikomanagement die Sozialpartner vor Ort und auch die internationalen Organisationen mit einzubeziehen und alle acht ILO-Kernarbeitsnormen als Tatbestand in das Gesetz aufzunehmen.

Nachteile für den Mittelstand möglich

Markus Krajewski von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg kritisierte ebenso die fehlende Regelung der zivilrechtlichen Haftung. Das führe zu erheblicher Rechtsunsicherheit und könne im Ergebnis zur Folge haben, dass die von dem Gesetz erfassten besonders großen Unternehmen im Fall einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage bessergestellt würden als vom Gesetz nicht erfasste mittelständische Unternehmen, wenn diese sich gegen eine nach den allgemeinen Regeln erhobene Klage verteidigen müssten. Damit könne sich das Gesetz in seiner vorgelegten Fassung als mittelstandsfeindlich erweisen, so Krajewski.

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes rückt Lage der Uiguren in Blickpunkt

Das Lieferkettengesetz könnte auch die in der chinesischen Region Xinjiang tätigen deutschen Unternehmen in Bedrängnis bringen. Nach einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags könnten Firmen zu einem Abbruch der Zusammenarbeit mit staatlichen Zulieferern gezwungen sein, wenn diesen Menschenverletzungen gegen die Minderheit der muslimischen Uiguren nachgewiesen werden. "Mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes erscheint - unter Anwendung der gesetzlich verankerten Kriterien - eine Pflicht deutscher Unternehmen zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu ihren chinesischen Zulieferern fast unausweichlich", heißt es in der 128-seitigen Expertise, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zuerst hatte die Süddeutsche Zeitung über das von den der Grünen-Abgeordneten Margarete Bause in Auftrag gegebene Gutachten berichtet. In der chinesischen Provinz ist zum Beispiel Volkswagen mit einem Werk vertreten.

Keine Aussage zu Vorwurf des Völkermordes

Menschenrechtsgruppen schätzen, dass Hunderttausende Uiguren, Kasachen, Hui oder andere Mitglieder muslimischer Minderheiten im Nordwesten Chinas in Umerziehungslager gesteckt worden sind. Die Vorwürfe gegen China reichen von Folter über sexuellen Missbrauch bis Zwangsarbeit. China spricht hingegen von Fortbildungszentren. Zur Frage, ob es sich beim Vorgehen der chinesischen Führung gegen die Uiguren um Völkermord handelt, trifft das Gutachten keine klare Aussage. Am Montagabend fand dazu eine Anhörung des Menschenrechtsausschusses des Bundestags statt. Keiner der geladenen Experten - Juristen, Menschenrechtsaktivisten, Politologen und Kulturwissenschaftler - sah den Tatbestand des Völkermords als juristisch belegt an, eher schon den Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Berliner Jura-Professor Florian Jeßberger wies allerdings darauf hin, dass man zwischen der alltagssprachlichen und juristischen Verwendung des Völkermordbegriffs unterscheiden müsse. Die Parlamente Kanadas, Großbritanniens und der Niederlande haben China bereits Völkermord vorgeworfen. Der neue US-Außenminister Antony Blinken hat von Genozid gesprochen, dies aber als seine persönliche Meinung kenntlich gemacht. China weist die Vorwürfe entschieden zurück.

Redaktion beck-aktuell, 18. Mai 2021 (ergänzt durch Material der dpa).