Reform soll Fachkräfteeinwanderung erleichtern
Nach dem von der Bundesregierung vorgelegten
Gesetzentwurf soll es künftig ausreichen, im Ausland eine zweijährige Berufsausbildung
absolviert zu haben und darüber hinaus mindestens zwei Jahre Berufserfahrung
nachweisen zu können, um in Deutschland arbeiten zu dürfen. Eine formale
Anerkennung des im Heimatland erworbenen Abschlusses braucht es nicht, wenn ein
Arbeitsvertrag vorliegt. Mit einer "Chancenkarte" sollen Ausländer mit einem
über ein Punktesystem nachgewiesenen "guten Potenzial" auch ohne Vertrag
einreisen und sich vor Ort einen Job suchen dürfen. Bei IT-Spezialisten ohne
Hochschulabschluss soll es künftig reichen, wenn sie "bestimmte non-formale
Qualifikationen nachweisen können".
Bundesarbeitsagentur fordert mehr Personal
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bewerte die
Intention der geplanten Änderungen zum Abbau von Zuwanderungshürden sowie die
zu erwartende Arbeitsmarktwirkung positiv. BA-Vertreter Steffen Sottung sagte, der Paradigmenwechsel, dass künftig Fachkräften die Einwanderung ermöglicht
wird, auch wenn der Berufsabschluss nicht vorher formal anerkannt ist, sende
das Signal nach außen, "dass Arbeits- und Fachkräftezuwanderung nach
Deutschland erwünscht ist". Benötigt werde aber ein Personalaufwuchs
in allen betroffenen Verwaltungsbereichen sowie eine bessere Abstimmung der
beteiligten Behörden untereinander.
Arbeitgeber monieren zu lange Verwaltungsverfahren als Hemmschuh
Wesentliches Hemmnis für die gezielte
Erwerbsmigration seien die komplizierten und langwierigen Verwaltungsverfahren,
hieß es von Seiten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände
(BDA). Schon jetzt sei es der Migrationsverwaltung nicht möglich, genügend
Anträge zu bearbeiten, damit alle Menschen mit Arbeitsvertrag nach Deutschland
kommen können, sagte BDA-Vertreter Nicolas Keller. Zugleich forderte er die
Ausweitung der sogenannten Westbalkanregelung. "Wir sollten auf Regelungen
setzen, die in der Praxis gut funktionieren", sagte er. Zudem müsse das
Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit abgeschafft werden.
Gewerkschaften fordern tarifvertragliche Bedingungen
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht
Saisonarbeit und Leiharbeit kritisch. Das Risiko der Einreise in ausbeuterische
Arbeitsverhältnisse sei zuletzt ohnehin angestiegen, sagte DGB-Vertreter Gerd
Wiegel. Die über die Westbalkanregelung eingereisten Arbeitskräfte seien
zumeist in Bereichen tätig, die durch schlechte Arbeitsbedingungen und
schlechte Entlohnung gekennzeichnet seien. Eingewanderte aus Drittstaaten
sollten daher grundsätzlich zu tarifvertraglichen Bedingungen beschäftigt
werden. Die Fachkräfteeinwanderung dürfe nicht zur Absenkung von
Sozialstandards führen, sagte Wiegel.
Städtetag: Verwaltung "jetzt schon am Rande der Dysfunktionalität"
Die Regelungen seien nicht weitgehend genug,
kritisierte Engelhard Mazanke vom Deutschen Städtetag. "Wir brauchen schlankere
Verwaltungsverfahren, längere Aufenthaltstitel, großzügigeren Familiennachzug
und Fiktionsbescheinigungen", sagte er. Es gehe darum, etwa 100.000 Menschen
pro Jahr in das Verwaltungsverfahren aufzunehmen, dabei sei man "jetzt schon am
Rande der Dysfunktionalität". In den Inlandsbehörden gebe es Wartezeiten von
drei bis vier Monaten - in den Auslandsvertretungen von "deutlich über einem
Jahr", sagte Mazanke.
Landkreistag fordert grundlegendere Reform des Aufenthaltsrechts
Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag
forderte eine grundlegendere Reform des Aufenthaltsrechts und eine deutliche
Reduzierung der Aufenthaltstitel. Der Schaffung einer zentralen
Einwanderungsbehörde stehe er kritisch gegenüber, sagte Ritgen und verwies auf
die damit verbundene Gefahr, "ineffiziente Doppelstrukturen" zu schaffen.
Schließlich brauche es für die Zuwanderer "Ansprechpartner vor Ort". Ferdinand
Heinz Johann Weber vom Institut für Völkerrecht und Europarecht der
Georg-August-Universität Göttingen hält indes die Übertragung der
Zuständigkeiten auf eine zentrale Behörde mit echten Kompetenzen für "keine schlechte
Idee". Ansprechpartner vor Ort könne es dennoch geben. Der Gesetzentwurf führt
aus seiner Sicht zu einer Überforderung der Verwaltungen. Die
Chancenaufenthaltskarte etwa werde höchstens für ein Jahr erteilt. Das führe im
Anschluss zu einem erheblichen Prüfaufwand.
Hochschullehrer: "Visumverfahren echte Belastung für Zuwanderungsstandort Deutschland"
Roman Lehner vom Institut für Öffentliches Recht
der Georg-August-Universität Göttingen wies ebenso wie Weber daraufhin, dass
die Regelungen für die qualifizierte Arbeitsmigration nach Deutschland schon
jetzt außerordentlich liberal seien. Im Kampf um die "besten Köpfe" erweise
sich aber das Visumverfahren als echte Belastung für den Zuwanderungsstandort
Deutschland. Die ernstzunehmenden Vollzugsmängeln müssten dringend angegangen
werden, forderte er. Der Gesetzgeber allein könne keine Fachkräfte nach
Deutschland lotsen. Jedes noch so "clevere Erwerbsmigrationsregime" sei am Ende
von nur geringem Wert, "wenn die effektive Vollziehung der materiellen
Regelungen nicht gewährleistet ist".
Anwältin: Verwaltungsvereinfachungen im Gesetz "hinten und vorne nicht ausreichend"
Die auf Ausländerbeschäftigungsrecht
spezialisierte Rechtsanwältin Bettina Offer kam zu der Einschätzung, dass die
Verwaltung die Mengen an benötigter Zuwanderung nicht abbilden könne. Was das
Gesetz an Verwaltungsvereinfachungen enthält, sei "hinten und vorne nicht
ausreichend", urteilte sie. Marius Tollenaere, Rechtsanwalt für Migrations- und
Staatsangehörigkeitsrecht, hält die Migrationsverwaltung für nicht in der Lage, "mehr Erteilungen hinzubekommen". Sie sei schon seit mehreren Jahren in einer
Dauerkrise, sagte er. Gebraucht werde wesentlich mehr Personal, das gut
geschult, gut eingruppiert und mit Karriereaussichten ausgestattet sein müsse.
Sozialverband: Wechsel von humanitärer Einwanderung in Erwerbsmigration ermöglichen
Tara Käsmeier vom Paritätischen Gesamtverband
sprach sich dafür aus, Übergänge von der humanitären Einwanderung zur
Erwerbsmigration zu ermöglichen. Die Bereiche der humanitären Einwanderung und
der Erwerbsmigration seien zwar separat zu betrachten und zu regeln. Für
diejenigen, die zunächst eingereist sind, um in Deutschland Schutz zu finden,
sollte es aber möglich sein, "unter bestimmten Voraussetzungen auch in die
Erwerbsmigration zu wechseln, wenn sie die dort genannten Bedingungen
erfüllen", sagte Käsmeier.
Migrationsforschungsinstitut: Chancenkarte zu bürokratisch geregelt
Um Arbeitskräfte aus Drittstaaten zu gewinnen,
müsse sich Deutschland drei Herausforderungen stellen, sagte Pau Palop-García
vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Zum einen
müssten die Menschen das Ziel haben, in Deutschland zu arbeiten und zu leben.
Sie müssten aber auch in der Lage sein, hierherzukommen. Außerdem müssten die
Menschen den Wunsch haben, längerfristig in Deutschland zu bleiben. Mit nur
minimalen Änderungen, so Palop-García, werde man diese Herausforderungen nicht
bestehen. Positiv bewertete er das Instrument der Chancenkarte. Sie sei im
Entwurf aber zu bürokratisch geregelt.
Gehaltsschwellen: Arbeitsmarktforschungsinstitut fordert Orientierung an Flächentarifverträgen
Herbert Brücker, Leiter des Forschungsbereichs "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" am Institut
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, nannte die Erfahrungssäule im Gesetz "sinnvoll". So könne den Restriktionen begegnet werden, die es bei der
Anerkennung beruflicher Abschlüsse gebe. Die nun angedachten Gehaltsschwellen
lägen aber bei 75 Prozent der Gehälter von Fachkräften und würden damit einen
großen Teil von Fachkräften ausschließen. Sinnvoller als die im Entwurf
vorgesehene Abweichung für tarifgebundene Arbeitgeber wäre es aus seiner Sicht
eine Regelung, die sich an Flächentarifverträgen orientiert.