Experten kritisieren Neufassung des Infektionsschutzgesetzes

Das zur Bewältigung der Coronakrise vorgelegte dritte Bevölkerungsschutzpaket wird von Gesundheits- und Sozialexperten überwiegend begrüßt. Kritisch äußerten sich anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags hingegen Rechtsexperten, die in den geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) keine Schaffung einer geeigneten Rechtsgrundlage für Corona-Maßnahmen sehen.

Regeln für Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten präzisiert

Die Regelungen in dem Gesetzentwurf berücksichtigen neue Erkenntnisse über das Coronavirus und setzen einen Rahmen für künftige Impfprogramme. Zugleich beinhaltet die Vorlage der Regierungsfraktionen (BT-Drs. 19/23944) von Union und SPD eine gesetzliche Präzisierung hinsichtlich der Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten. In einem neuen § 28a IfSG werden mögliche Schutzvorkehrungen zur Bekämpfung des Coronavirus konkret aufgeführt.

§ 28a IfSG soll als Rechtsgrundlage für Corona-Einschränkungen dienen

Die Vorschrift enthält einen langen Maßnahmenkatalog wie Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Schließung von Freizeiteinrichtungen, Reisebeschränkungen oder Veranstaltungsverbote. Es handelt sich im wesentlichen um die Maßnahmen, die während des großen Lockdowns im Frühjahr ergriffen wurden und vielfach nun auch während des Teil-Lockdowns im November gelten. "Schwerwiegende Schutzmaßnahmen kommen insbesondere bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen in Betracht", heißt es. Ab einem Wert von 35 kämen "stark einschränkende Schutzmaßnahmen" in Betracht.

Neuer § 28a IfSG als verfassungswidrig kritisiert

Die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr Universität Bochum kritisierte den geplanten § 28a IfSG. Er genüge den Vorgaben von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz nicht. Die Vorschrift lasse keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen. Gerichte würden die Vorschrift höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage akzeptieren. Ähnliche Bedenken äußerten auch andere Rechtsexperten. In der Stellungnahme von Anika Klafki von der Uni Jena heißt es, § 28a IfSG diene dazu, die erheblichen Grundrechtseingriffe im Zuge der Corona-Pandemie auf eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage zu stellen. Dies sei sehr zu begrüßen. "Leider bleibt der Gesetzesentwurf weit hinter dieser ambitionierten Zielvorgabe zurück", so die Rechtswissenschaftlerin. "Von einem Beschluss der Regelung in seiner derzeitigen Fassung wird abgeraten. Stattdessen bedarf es einer sorgsameren und ausführlicheren Regelung der infektionsschutzrechtlichen Bekämpfungsmaßnahmen."

Warnung vor Überlastung ambulanter Versorgungsstrukturen

Auch zu anderen Inhalten des geplanten Gesetzespakets wurde Stellung genommen. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit erklärte, viele der jetzt geplanten Regelungen seien sinnvoll. Gleichwohl gebe es erheblichen zusätzlichen Handlungsbedarf. So deute sich eine Überlastung der ambulanten Versorgungsstrukturen an. Auch seien Bedürfnisse von Patientengruppen, die nicht den großen Versorgungssektoren zuzuordnen seien, unter dem Druck der ersten Pandemiewelle weitgehend übersehen worden, etwa Menschen mit Bedarf an ambulanter Intensivversorgung oder Patienten, die ihre Pflege selbst organisieren.

Besonderer Schutz für Risikogruppen gefordert

Der Caritasverband mahnte, im bevorstehenden Winter müssten Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden. Der Verband sprach sich für eine Modernisierung des IfSG aus mit dem Ziel, Risikogruppen besonders zu schützen.

Einrichtung nationalen Impfregisters angeregt

Die Bundesärztekammer (BÄK) sprach von überwiegend angemessenen Maßnahmen vor dem Hintergrund der aktuell dynamischen pandemischen Lage. Kritisch gesehen werde die geplante Erfassung von Daten im Rahmen der Corona-Impfungen. Die BÄK regte die Einrichtung eines nationalen Impfregisters an, um Impfdaten zeitnah und umfassend auszuwerten und zur Verfügung zu stellen.

Redaktion beck-aktuell, 13. November 2020.