Experten halten Ampel-Wahlreform mehrheitlich für verfassungsgemäß

Sachverständige haben im Innenausschuss die geplante Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition überwiegend positiv bewertet. Einzelne Experten äußerten jedoch Zweifel, ob der Entwurf verfassungsgemäß ist. Die Neuregelung will mit ihrem Gesetzentwurf den Bundestag wieder auf seine Regelgröße von 598 Abgeordneten schrumpfen, indem sie Überhang- und Ausgleichsmandate abschafft.

Folgen des Verzichts auf Überhang- und Ausgleichsmandate

Der Verzicht auf Überhang- und Ausgleichsmandate kann zur Folge haben, dass Kandidaten kein Bundestagsmandat erhalten, obwohl sie die meisten Stimmen im Wahlkreis bekommen haben. Nach Einschätzung von Christoph Möllers von der Humboldt-Universität Berlin wird das Szenario, dass ein Wahlkreis von keinem Abgeordneten vertreten wird, aber selten sein. Die Zahl der insgesamt 299 Wahlkreise, in denen dieser Fall eintreten dürfte, werde wohl nur im niedrigen einstelligen Bereich liegen, sagte der Verfassungsrechtler.

Lob für Entwurf

Aus Sicht von Sophie Schönberger von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchschlägt der Entwurf einen "gordischen Knoten". Ihr zufolge erreicht er zwei zentrale Ziele: Er garantiert die Zahl von höchstens 598 Abgeordneten und zugleich ein proportionales Abbild des Wählerwillens. Das habe das geltende Wahlrecht über Jahrzehnte nicht geleistet. Uwe Volkmann von der Goethe-Universität Frankfurt am Main hält den Entwurf ebenfalls für eine große Leistung, die "wir dem politischen System nicht zugetraut haben". Im Gegensatz zu anderen Modellen wirke sich der Ampel-Entwurf auch nicht auf die Wettbewerbschancen der Parteien aus, sagte der Rechtswissenschaftler. Jelena von Achenbach von der Justus-Liebig-Universität Gießen lobte die Reform ebenfalls als fairen und demokratietheoretisch überzeugenden Vorschlag.

Kritiker sehen direktdemokratisches Element in Gefahr

Staatsrechtler Philipp Austermann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung kritisierte den Entwurf der Ampel-Fraktionen hingegen als verfassungswidrig und bürgerfern. Die Ungleichbehandlung der Erststimmen vertrage sich nicht mit dem Grundsatz der gleichen Wahl, sagte er. Zudem entwerte er ein bewährtes direktdemokratisches Element. Damit bezog sich Austermann auf die Erststimme, mit der die Wähler bislang den Direktkandidaten wählen. Nach den Plänen der Ampel-Koalition soll sie künftig Wahlkreisstimme heißen, während für die Sitzzahl einer Partei im Bundestag allein das Ergebnis der Zweitstimmen - neuer Name: Hauptstimmen - maßgeblich sein soll. Ähnlich sieht das die Rechtswissenschaftlerin Stefanie Schmahl von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die Wahlkreisstimme werde zu einem Beiwerk degradiert, bemängelte sie. Bei der Anhörung wurden insgesamt zehn Sachverständige befragt, die von den im Bundestag vertretenen Fraktionen vorgeschlagen worden waren.

Redaktion beck-aktuell, Gitta Kharraz, 7. Februar 2023 (dpa).