Experten diskutieren über neue Lebensentwürfe

Ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel "Selbstbestimmte Lebensentwürfe stärken – Verantwortungsgemeinschaft einführen" (BT-Drs. 19/16454) war Thema einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am 26.10.2020. Nach dem Willen der Abgeordneten soll neben der Ehe das Modell der Verantwortungsgemeinschaft im Bürgerlichen Gesetzbuch gesetzlich verankert werden.

Bundestag zum Handeln aufgefordert

Die FDP-Fraktion verweist auf die zunehmende Vielfalt der Lebensformen und Lebensentwürfe. Vor diesem Hintergrund soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, Möglichkeiten zu schaffen, um die Lebensrealitäten der Menschen abzubilden. Menschen, die außerhalb einer Ehe oder von Verwandtschaft Verantwortung füreinander übernehmen wollen, sollten besser anerkannt und gefördert werden, heißt es in dem Antrag. 

Regelungsmodelle anderer Länder in den Blick nehmen

Die Direktorin des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Nina Dethloff, erklärte, die Vielfalt der Lebens- und Familienformen sei heute größer denn je und das geltende Recht werde dieser Vielfalt nicht mehr gerecht. Es sei daher nachdrücklich zu begrüßen, wenn dem durch neue Modelle auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse Rechnung getragen würde. Dazu zähle die Schaffung einer Verantwortungsgemeinschaft. Zugleich gelte es, Regelungsmodelle anderer Länder umfassend in den Blick zu nehmen und von den Erfahrungen zu profitieren.

FDP-Vorstoß zur Anpassung an neue Lebensrealitäten begrüßt 

Auch der Hamburger Rechtsanwalt Marko Oldenburger betonte in seiner Stellungnahme, dass die Vorschläge des Antrags den sich wandelnden Lebensrealitäten einschließlich neuer, vielfältiger Lebensführungsentwürfen entsprächen. Obwohl es voraussichtlich große Anstrengungen erfordern würde, die bestehende Vielfalt der Konstellationen in ein gesetzliches Modell zu integrieren, sei die Umsetzung in Anbetracht der damit verbundenen positiven Folgen in besonderem Maße wichtig, auch, um das deutsche Recht für die sich stellenden Aufgaben zu rüsten und an die sich entwickelnden Bedürfnissen der Menschen anzupassen.

Wahlmöglichkeit zwischen Ehe und Verantwortungsgemeinschaft abgelehnt

Gudrun Lies-Benachib Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt, erklärte, der vorliegende Antrag stelle teilweise zu Recht ein Bedürfnis dafür fest, auch für nicht verwandtschaftlich oder die Ehe begründete Gemeinschaften rechtlich verbindliche Konzepte festzuschreiben. Der Vorschlag schließe eine Lücke mit Regelungsbedarf nur für neue, nicht auf die klassische Paarbeziehung zwischen Liebenden zugeschnittene Lebensgemeinschaften. Eine standesamtlich registrierte Verantwortungsgemeinschaft sei nur für Beziehungen von Menschen sinnvoll, denen nicht mit der Ehe bereits jetzt ein Regelungskonzept zur Verfügung gestellt sei, das für das Zusammenleben und die Zeit nach dem Scheitern eine gerechte Verteilung von Aufgaben und Rechten vorsehe. Eine Wahlmöglichkeit zwischen Ehe und registrierter Verantwortungsgemeinschaft in den Konstellationen, in denen Menschen auch heiraten könnten, sei in den seltensten Fällen sinnvoll oder geboten.

Sinn gesetzlicher Regelung einer Verantwortungsgemeinschaft bezweifelt

Zweifel am Sinn einer gesetzlichen Regelung äußerte auch Anatol Dutta von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Für Verantwortungsgemeinschaften jenseits der Ehe erschließe sich für ihn kein Bedarf. Statt einer "Ehe light" sollte lieber das gesetzliche Ehemodell angepasst und dessen Vor- und Nachteile besser ausgeglichen werden. In dem Modell der Verantwortungsgemeinschaft sehe er eher Gefahren, sagte Dutta. Vor allem gehe es zulasten von Frauen.

Warnung vor Schwächung der Ehe

Auch Matthias Dantlgraber, Bundesgeschäftsführer des Familienbunds der Katholiken, hegt Zweifel, ob das vorgeschlagene Rechtsinstitut der Verantwortungsgemeinschaft im Ergebnis zu mehr Verbindlichkeit in der Gesellschaft führen würde. Vielmehr sieht er bei einem unverbindlicheren Konkurrenzinstitut zur Ehe die Gefahr, dass der Staat die im Grundgesetz unter "besonderen Schutz" gestellte Ehe schwächen und den gesellschaftlichen Trend zu mehr Unverbindlichkeit aktiv verstärken und fördern würde. Vor allem aber wäre es nicht im Sinne der Kinder, für deren Entwicklung stabile Beziehungen von großer Wichtigkeit seien.

FDP: Zusammenleben soll nicht erforderlich sein

Wie es in dem Antrag unter anderem heißt, soll eine Verantwortungsgemeinschaft durch mindestens zwei oder mehrere volljährige Personen, die nicht miteinander verheiratet, verpartnert oder in gerader Linie verwandt sind, möglichst unbürokratisch geschlossen werden können. Grundvoraussetzung der Verantwortungsgemeinschaft sei ein tatsächliches persönliches Näheverhältnis. Ein Zusammenleben sei hingegen nicht erforderlich.

Redaktion beck-aktuell, 28. Oktober 2020.