Breiter Konsens im Bauausschuss über "Bauwende"

Experten begrüßen die Vorschläge der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur "Bauwende" überwiegend. In einer öffentlichen Anhörung des Bauausschusses bekräftigten die Sachverständigen am Mittwoch die Notwendigkeit von mehr Nachhaltigkeit, Klima- und Ressourcenschutz im Baubereich. Wichtig sei die vermehrte Nutzung recycelter Baustoffe sowie die Einbeziehung von Holz als Baustoff.

FDP: Weniger Vorgaben für Bauvorhaben

Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag mehr Flexibilität im Bau- und Wohnungsbereich durch eine "umfassende Technologieoffenheit bei Anforderungen an Gebäude und den Bauprozess". Mit der Überarbeitung der Mantelverordnung müsse der Einsatz von Recyclingbaustoffen erleichtert werden. Zusätzliche Vorgaben, etwa zum Wärmeschutz oder dem Austausch von Ölheizungen, sollten aus dem Gesetz gestrichen, Regulierungen am Wohnungsmarkt zurückgenommen werden.

Bündnis 90/Die Grünen: Ressourcen schonen

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen setzt sich in ihrem Antrag für mehr Ressourcenschonung in der Bau- und Immobilienwirtschaft ein. Die Abgeordneten fordern einen gesetzlich vorgeschriebenen Ressourcenausweis für Gebäude und eine verpflichtende Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden. Auch solle es bis 2025 Pflicht werden, in Neubauten ausschließlich erneuerbare Wärme einzusetzen. Bei einer Novellierung der Musterbauordnung müssten Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in dieser verankert werden.

Experten für mehr Recyclingmaterial im Baubereich

Viele Experten haben sich für mehr Recyclingmaterial im Baubereich ausgesprochen: Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe plädierte dafür, Ausschreibungen zu vereinfachen, um die Quote von Recyclingmaterial im Baubereich zu erhöhen. Eine Abgabe auf Primärrohstoffe lehnte der Experte als kontraproduktiv ab. Sie führe nur dazu, dass neue Baustoffe aus anderen Ländern importiert würden, was wiederum den Lkw-Verkehr und CO2-Emissionen erhöhe. Nach Auffassung von Michael Basten, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Baustoffe - Steine und Erden, liegt das Potential recycelter Baustoffe im "zweistelligen Millionenbereich". Um das Ziel der Dekarbonisierung zu erreichen, unterstützte der Sachverständige die Forderung der FDP nach "Technologieoffenheit". Auch Annette Hillebrandt, Professorin an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurswesen an der Bergischen Universität Wuppertal, befürwortete eine stärkere Nutzung von Recyclingmaterial. Wieder aufbereitete Baustoffe seien durch Abriss in Deutschland genügend vorhanden und meist sogar im Umkreis von "30 Kilometern". Um die Akzeptanz solcher Sekundärrohstoffe zu erhöhen, brauche es vielleicht einfach nur ein wenig Werbung. Der Politik empfahl sie dringend, Nachhaltigkeitsaspekte wie die Rückbau- oder Recyclingfähigkeit von Baustoffen auch in der Musterbauordnung zu verankern.

Zertifizierte Güteklassen für recycelte Baustoffe

Außerdem forderten die Sachverständigen unabhängig zertifizierte Güteklassen. Architekten und Ingenieuren fehle oft die Sicherheit, Rezyklat-Baustoffe problemlos verwenden zu können. Noch gälten diese als "zweite Wahl", so Pakleppa. Solange die Industrie hier nicht mehr Informationen liefere, bleibe man "meilenweit von einer Art Ressourcenausweis" für Baustoffe entfernt, befürchtet auch Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Die Nutzung von nachwachsenden Baustoffen wie Stroh, Hanf oder Seegras sah er zwar positiv. Allerdings sei es unrealistisch zu erwarten, dass solche Baustoffe kurzfristig in großen Mengen verfügbar seien, um sie etwa beim sozialen Wohnungsbau einzusetzen.

Holzbauoffensive zur Erreichung der Pariser Klimaziele?

Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber betonte die Bedeutung des nachwachsenden Rohstoffs Holz hinsichtlich der Erreichung der Pariser Klimaziele und sprach sich für eine Holzbauoffensive aus. 40% der globalen Emissionen entstünden bislang durch das Errichten von Gebäuden. Eine globale Klimastabilisierung sei nicht möglich, wenn dieser wichtige Sektor außen vor bleibe. Heinrich Köster, Präsident der Technischen Hochschule Rosenheim, plädierte für eine Kombination von Baustoffen und hybride Bauweisen. Die Ressource Holz werde sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren aufgrund der klimabedingten Umbrüche in der Waldwirtschaft verknappen, prognostizierte er. Um darauf zu reagieren, brauche es einen technologischen Wandel hin zu einem Holzleichtbau. Den Aspekt der Bezahlbarkeit des Bauens mit Holz griff der Bauunternehmer Ernst Böhm, Gründungsgesellschafter der B&O-Gruppe auf. Holz als Baustoff sei früher etwa 10% teurer als klassische Baustoffe gewesen. Doch dies ändere sich: Digitalisierung und Innovationen im Maschinenbau sorgten dafür, dass der Holzbau in dieser Hinsicht anderen Baustoffen nicht mehr unterlegen sei. Im Bemühen um klima- und ressourcenschonenderes Bauen müsse aber neben der Auswahl der Baustoffe auch die Art der Konstruktion stärker in den Blick genommen werden. Insbesondere bei der Technik gelte es Abstriche zu machen - 80% der Reparaturen fielen im technischen Bereich an.

Reduzierung des Flächenkonsums

Eike Roswag-Klinge, Ingenieur und Professor an der Technischen Universität Berlin, mahnte die Notwendigkeit an, im Rahmen einer Bauwende auch den Flächenkonsum zu reduzieren. Es brauche dafür neue Nutzungskonzepte, Wohnmodelle und eine stärkere Nachverdichtung in den Städten. Auch für einen geringeren Einsatz von Technik in Gebäuden sprach sich der Sachverständige aus: Gerade beim öffentlichen Wohnungsbau könne auf Lüftungen verzichtet werden, so Roswag-Klinge. Der Einsatz von Naturbaustoffen erlaube das. Mehr noch: Das Bauen werde langfristig "robust und günstig" - weil regelmäßige Wartungen und Reparaturen entfielen.

Redaktion beck-aktuell, 5. März 2021.